Acht Krankenkassen, darunter die drei Klägerinnen, informierten am 25. Januar 2010 in einer Pressekonferenz in Berlin über das Thema "Finanzentwicklung in der GKV Einstieg in den Zusatzbeitrag". Sie äußerten u.a., Zusatzbeiträge würden nach Expertenmeinung nun die Regel. Da die beteiligten Krankenkassen seit 1. Februar 2010 Zusatzbeiträge von ihren Mitgliedern erheben, gab ihnen das Bundeskartellamt auf, einen Fragenkatalog zu beantworten, weil der Anfangsverdacht einer "unzulässigen Preisabsprache zwischen Unternehmen" im Sinne des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen bestehe. Hiergegen haben die betroffenen Krankenkassen klageweise Landessozialgerichte angerufen.
Die beklagte Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundeskartellamt, hat jeweils den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit als unzulässig gerügt. Während das Hessische Landessozialgericht und das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen die Sozialgerichtsbarkeit für zuständig angesehen haben, hat das Landessozialgericht Hamburg diesen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Streit an das Oberlandesgericht Düsseldorf verwiesen. All diese Beschlüsse sind mit der Rechtswegbeschwerde angefochten.
Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass für die erhobenen Klagen gegen die Auskunftsbeschlüsse des Bundeskartellamts der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet ist, nicht aber die Oberlandesgerichte zuständig sind. Die Streitigkeiten betreffen nämlich die Reichweite des Selbstverwaltungsrechts der Klägerinnen. Es geht um ihren Anspruch auf Unterlassung kompetenzwidriger Aufsichtsmaßnahmen, wenn sie Zusatzbeiträge erheben und dabei ihrer Pflicht nachkommen, mit anderen Krankenkassen zu kooperieren. Dies ist jeweils ein öffentlich-rechtlicher Streit in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, der zwingend und ausschließlich der Sozialgerichtsbarkeit zugeordnet ist. Nur im Rahmen des Selbstverwaltungsrechts der Klägerinnen interessiert das Kartellrecht. Darüber, ob die Auskunftsbeschlüsse des Bundeskartellamts in der Sache mit Gesetz und Recht vereinbar sind, müssen nun die Landessozialgerichte befinden.
Sozialgerichtsgesetz
§ 29
(2) Die Landessozialgerichte entscheiden im ersten Rechtszug über
[…]
2. Aufsichtsangelegenheiten gegenüber Trägern der Sozialversicherung …, bei denen die Aufsicht von einer Landes- oder Bundesbehörde ausgeübt wird.
§ 51
(1) Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden über öffentlich-rechtliche Streitigkeiten
[…]
2. in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, …, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden; dies gilt nicht für Streitigkeiten in Angelegenheiten nach § 110 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch aufgrund einer Kündigung von Versorgungsverträgen, die für Hochschulkliniken oder Plankrankenhäuser … gelten,
[…]
(2) Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit entscheiden auch über privatrechtliche Streitigkeiten in Angelegenheiten der gesetzlichen Krankenversicherung, auch soweit durch diese Angelegenheiten Dritte betroffen werden. § 87 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen findet keine Anwendung.
§ 54
(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, dass die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.
(1) Gegen Verfügungen der Kartellbehörde ist die Beschwerde zulässig...
(2) Die Beschwerde steht den am Verfahren vor der Kartellbehörde Beteiligten … zu.
[…]
(4) Über die Beschwerde entscheidet ausschließlich das für den Sitz der Kartellbehörde zuständige Oberlandesgericht, in den Fällen der §§ 35 bis 42 ausschließlich das für den Sitz des Bundeskartellamts zuständige Oberlandesgericht, und zwar auch dann, wenn …
§ 4 - Krankenkassen
(1) Die Krankenkassen sind rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung.
[…]
(3) Im Interesse der Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der gesetzlichen Krankenversicherung arbeiten die Krankenkassen und ihre Verbände sowohl innerhalb einer Kassenart als auch kassenartenübergreifend miteinander und mit allen anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens eng zusammen.
(1) Soweit der Finanzbedarf einer Krankenkasse durch die Zuweisungen aus dem Fonds nicht gedeckt ist, hat sie in ihrer Satzung zu bestimmen, dass von ihren Mitgliedern ein Zusatzbeitrag erhoben wird. Der Zusatzbeitrag ist auf 1 vom Hundert der beitragspflichtigen Einnahmen des Mitglieds begrenzt. Abweichend von Satz 2 erhebt die Krankenkasse den Zusatzbeitrag ohne Prüfung der Höhe der Einnahmen des Mitglieds, wenn der monatliche Zusatzbeitrag den Betrag von 8 Euro nicht übersteigt [...]
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 28.09.2010
Quelle: Bundessozialgericht/ra-online