15.11.2024
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Hessisches Landesarbeitsgericht Urteil22.04.2009

Hessisches Landes­a­r­beits­gericht: Altersstaffeln im Tarifvertrag und AGG sind unwirksamVerstoß gegen das Benach­tei­li­gungs­verbot wegen des Alters

Nach einer Entscheidung des Hessischen Landes­a­r­beits­ge­richts ist eine tarifliche Regelung, in der die Grundvergütung der Höhe nach Leben­s­al­ter­s­stufen gestaffelt wird, wegen unmittelbarer Benachteiligung wegen des Alters i.S.d. §§ 1, 3 AGG unwirksam. Die hierdurch eintretende unmittelbare Benachteiligung ist nicht im Sinne des AGG gerechtfertigt. Folge dieses Verstoßes gegen das Benach­tei­li­gungs­verbot wegen des Alters ist, dass die leistungs­ge­wäh­renden, nicht benach­tei­li­genden Tarif­ver­trags­be­stim­mungen auf diejenigen Personen zu erstrecken sind, die entgegen den Benach­tei­li­gungs­verboten von den tariflichen Leistungen ausgeschlossen wurden. Der Arbeitgeber könne sich im Hinblick auf den Verstoß gegen das gesetzliche Diskri­mi­nie­rungs­verbot nicht auf Vertrau­ens­schutz­ge­sichts­punkte berufen. Dies hat das Hessische Landes­a­r­beits­gericht entschieden.

Hintergrund des Rechtsstreits war das Verlangen eines 31 Jahre alten Angestellten des öffentlichen Dienstes auf Erhalt der Vergütung nach der höchsten Leben­s­al­ter­sstufe der die Vergütung regelnden Tarif­vor­schriften. Nach den auf das Arbeits­ver­hältnis anzuwendenden Tarif­vor­schriften war die Grundvergütung der Höhe nach abhängig von dem Lebensalter nach einer im Tarifvertrag aufgeführten Staffelung zu zahlen. Folge war, dass jüngere Mitarbeiter bei gleicher Tätigkeit eine niedrigere Grundvergütung erhielten als ältere Beschäftigte.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Keine Benachteiligung wegen des Alters zulässig

Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Arbeitnehmers hatte Erfolg. Nach Auffassung des Berufungs­ge­richts ist die nach Leben­s­al­ter­s­stufen gestaffelte Regelung wegen unmittelbarer Benachteiligung wegen des Alters, die nicht sachlich gerechtfertigt ist, unwirksam.

Das AGG verbiete eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters. Dieses Verbot schütze auch jüngere Arbeitnehmer gegen Benach­tei­li­gungen im Verhältnis zu älteren Beschäftigten. Die weniger günstige Behandlung könne grundsätzlich auch in der Einräumung einer ungünstigeren Vertrags­be­dingung liegen.

Die in § 27 A BAT enthaltende Regelung stelle eine unmittelbare Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer wegen ihres Alters dar, weil die Grundvergütung der jeweiligen Vergü­tungs­gruppen an das tatsächliche Lebensalter des Beschäftigten anknüpft. Damit stehe bei gleicher Tätigkeit dem lebensälteren Arbeitnehmer lediglich wegen seines höheren Lebensalters eine höhere Grundvergütung zu als dem jüngeren Beschäftigten.

Vergü­tungs­systeme, die Gehalt nach Lebensalter sind unwirksam

Die hierin liegende Benachteiligung wegen seines Alters sei auch nicht aufgrund gesetzlich vorgesehener Ausnahmen zulässig. Nach herrschender Meinung – der sich das Berufungs­gericht anschloss – seien Vergü­tungs­systeme, die die Höhe der Vergütung nach dem Lebensalter staffeln, grundsätzlich unwirksam. Die maßgeblichen Tarifregelungen seien auch nicht durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt, da das Lebensalter hierfür kein akzeptabler Anknüp­fungspunkt sei.

Auf Grund dieser ungerecht­fer­tigten Benachteiligung könne der Kläger die geltend gemachte Vergütung nach der höchsten Altersstufe für die Vertragsdauer des bereits beendeten Arbeits­ver­hält­nisses verlangen. Zwar finde sich im AGG keine ausdrückliche Festlegung, was inhaltlich anstelle der für unwirksam erklärten benach­tei­li­genden Regel treten solle. Allerdings komme nur eine Anpassung „nach oben“ in Betracht, um den Nachteil durch die diskri­mi­nierende Ausgestaltung der Alter­s­s­tu­fen­re­ge­lungen auszuschließen.

Anpassung "nach oben"

Nur durch diese Angleichung „nach oben“ könne die Gleich­be­handlung des Klägers bezogen auf die geschuldete Grundvergütung mit lebensälteren Beschäftigten hergestellt werden. Es komme nicht darauf an, dass möglicher Weise im Einzelfall eine relative Bevorzugung bei gleichzeitig einhergehender Benachteiligung gegeben sei, wenn ein Arbeitnehmer nicht in der niedrigsten, aber auch nicht in der höchsten Leben­s­al­ter­sstufe einzuordnen sei. Hierdurch zeige sich nur, dass auch mit einer vermittelnden Angleichung die tatsächlich eingetretene Benachteiligung nicht beseitigt, sondern wiederum nur abgemildert werden könnte. Eine Anpassung „nach unten“ als Ersatzregelung scheide ebenfalls aus. Sie würde allenfalls zu einer rechtlichen, nicht aber zu einer tatsächlichen Gleich­be­handlung führen. Das Berufungs­gericht sah auch keine Möglichkeit, die Anpassung für die Vergangenheit den Tarif­ver­trags­parteien zu überlassen.

Tarifverträge müssen sich an Diskri­mi­nie­rungs­verbot messen lassen

Der geltend gemachte Anspruch scheitere auch nicht an Vertrau­ens­schutz­a­spekten. Die Benach­tei­li­gungs­verbote des AGG würden ohne Überg­angs­re­gelung gelten und sich auf alle Sachverhalte, die sich seit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes im August 2006 in seinem Geltungsbereich verwirklicht haben, erstrecken. Danach müssten sich auch Tarifverträge, die bereits vor seinem Inkrafttreten vereinbart waren, an seinen Diskri­mi­nie­rungs­verboten messen lassen. Eine solche Anknüpfung sei zulässig. Besondere Gründe des Vertrau­ens­schutzes zu Gunsten des Arbeitgebers, die eine andere Bewertung rechtfertigten, seien nicht zu erkennen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 14/09 des LAG Hessen vom 29.06.2009

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