18.10.2024
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Hessischer Verwaltungsgerichtshof Urteil12.09.2013

Beschäftigung von Arbeitnehmern in Callcentern an Sonn- und Feiertagen unzulässigHessischer Verwaltungs­gerichts­hof erklärt wesentliche Bestimmungen der hessischen Bedarfs­gewerbe­verordnung für unwirksam

Die Beschäftigung von Arbeitnehmern in Callcentern an Sonn- und Feiertagen ist unzulässig. Dies entschied der Hessische Verwaltungs­gerichts­hof und erklärte einige Bestimmungen der Verordnung der hessischen Landesregierung über die Beschäftigung von Arbeit­neh­me­rinnen und Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen (Bedarfs­gewerbe­verordnung) vom 12. Oktober 2011 für unwirksam.

Die aufgrund von Normen­kon­trol­lan­trägen der Gewerkschaft ver.di und zweier südhessischer Dekanate der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau ergangene Entscheidung betrifft vor allem die Beschäftigung von Personal in so genannten Callcentern, zum Beispiel im Versandhandel, beim Online-Banking oder im Reisegewerbe. Für diese Bereiche war in der Bedarfs­ge­wer­be­ver­ordnung die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen ganzjährig für jeweils bis zu acht Stunden zugelassen worden.

Verord­nungs­er­mäch­tigung im Arbeits­zeit­gesetz lässt tiefgreifende Ausnahmen vom Gebot der Sonn- und Feiertagsruhe nicht zu

Die Ungültigkeit dieser Ausnah­me­be­stimmung beruht nach der mündlichen Urteils­be­gründung auf dem Fehlen einer ausreichenden Verord­nungs­er­mäch­tigung durch den zuständigen Bundes­ge­setzgeber im Arbeits­zeit­gesetz vom 6. Juni 1994. Zwar enthalte dieses seither mehrfach geänderte Gesetz eine gestaffelte Verord­nungs­er­mäch­tigung für Ausnah­me­re­ge­lungen der Bundesregierung und der Landes­re­gie­rungen. Jedoch müsse nach der Rechtsprechung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts und des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts bei Eingriffen in Grundrechte der Gesetzgeber selbst alle wesentlichen Grund­ent­schei­dungen selbst treffen und dürfe diese nicht der Exekutive überlassen. Deshalb lasse die Verord­nungs­er­mäch­tigung im Arbeits­zeit­gesetz so tiefgreifende Ausnahmen vom Gebot der Sonn- und Feiertagsruhe nicht zu. Dieses im Grundgesetz und in der Verfassung des Landes Hessen verankerte Gebot diene nicht nur dem Schutz des Grundrechts auf Religi­o­ns­freiheit, sondern auch der Gewährleistung anderer Grundrechte wie etwa der Koali­ti­o­ns­freiheit, auf die sich die Gewerkschaften berufen könnten.

Arbeitsverbot an Sonn- und Feiertagen gilt auch für Brauereien und Betriebe der Geträn­ke­wirt­schaft

Als dem Gesetzgeber vorbehaltene Grund­ent­schei­dungen in diesem Sinne hat der Verwal­tungs­ge­richtshof auch die Ausnahmen vom Arbeitsverbot an Sonn- und Feiertagen für Brauereien und andere Betriebe der Geträn­ke­wirt­schaft sowie für Fabriken zur Herstellung von Roh- und Speiseeis angesehen. Für diese Gewerbezweige und entsprechende Großhan­dels­be­triebe hatte die Landesregierung in der Bedarfs­ge­wer­be­ver­ordnung für die Sommerhalbjahre die Beschäftigung von Arbeit­neh­me­rinnen und Arbeitnehmern an diesen geschützten Tagen jeweils bis zu acht Stunden zugelassen.

Weitere Ausnahmen zum Schutzgebot für Sonn- und Feiertage "zur Vermeidung erheblicher Schäden" erforderlich

Die ebenfalls für unwirksam erklärten Ausnah­me­re­ge­lungen für Videotheken und Bibliotheken in kommunaler oder kirchlicher Trägerschaft (ganzjährig ab 13 Uhr für jeweils bis zu sechs Stunden) sowie für Lotto- und Totoge­sell­schaften mit der elektronischen Geschäfts­ab­wicklung (ohne Annahmestellen ganzjährig für bis zu acht Stunden) hat der Senat zwar wegen ihrer geringen Auswirkungen nicht als dem Gesetzgeber vorbehaltene Grund­ent­schei­dungen angesehen, so dass hier eine Regelung durch Rechtverordnung verfas­sungs­rechtlich zulässig gewesen sei. Die Verord­nungs­er­mäch­tigung durch den Bundes­ge­setzgeber setze aber voraus, dass weitere Ausnahmen zum Schutzgebot für Sonn- und Feiertage „zur Vermeidung erheblicher Schäden“ erforderlich sind. Dies sei weder bei Videotheken bzw. Büchereien noch bei Toto- und Lotto­ge­sell­schaften der Fall, denn die mit der Einhaltung des Arbeitsverbots an Sonn- und Feiertagen verbundene Verlagerung der Arbeiten auf Werktage habe für die betroffenen Einrichtungen und ihre Kunden nur geringfügige Nachteile zur Folge.

Ausnah­me­re­gelung für Buchma­cher­gewerbe ebenfalls unwirksam

Auch die Ausnah­me­re­gelung für „im Buchma­cher­gewerbe zur Annahme von Wetten für Veranstaltungen für bis zu sechs Stunden“ hat der Senat für unwirksam erklärt, da nicht hinreichend bestimmt normiert sei, für welche Art von Veranstaltungen die Ausnah­me­re­gelung greifen solle.

Quelle: Hessischer Verwaltungsgerichtshof/ra-online

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