23.11.2024
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Bundesverwaltungsgericht Urteil26.11.2014

Sonn- und Feiertagsarbeit nur begrenzt zulässigVideotheken, Callcenter Lotto- und Totoge­sell­schaften bleiben geschlossen - Beschäftigung im Buchma­cher­gewerbe am Veran­stal­tungsort erlaubt

Das Bundes­verwaltungs­gericht hat auf Normen­kontroll­anträge einer Gewerkschaft und zweier evangelischer Gemein­de­verbände entschieden, dass eine Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen in den Bereichen Videotheken und öffentliche Bibliotheken, Callcentern und Lotto- und Totoge­sell­schaften unzulässt ist und die Hessische Bedarfs­gewerbe­verordnung insoweit für nichtig erklärt. Soweit die Verordnung eine solche Beschäftigung in den Bereichen Brauereien, Betriebe zur Herstellung von alkoholfreien Getränken oder Schaumwein, Fabriken zur Herstellung von Roh- und Speiseeis zulässt, hat das Bundes­verwaltungs­gericht keine abschließende Entscheidung über die Gültigkeit der Verordnung getroffen, weil es an ausreichenden tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz fehlte. Hingegen hat das Bundes­verwaltungs­gericht die Verordnung für wirksam befunden, soweit sie eine Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen in dem Bereich des Buchma­cher­ge­werbes zulässt.

Nach dem Arbeits­zeit­gesetz dürfen Arbeitnehmer an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen grundsätzlich nicht beschäftigt werden. Das Arbeits­zeit­gesetz sieht hiervon zahlreiche Ausnahmen vor und ermächtigt u. a. die Landes­re­gie­rungen, weitere Ausnahmen zur Vermeidung erheblicher Schäden unter Berück­sich­tigung des Schutzes der Arbeitnehmer und der Sonn- und Feiertagsruhe für Betriebe zuzulassen, in denen die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- oder Feiertagen zur Befriedigung täglicher oder an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich ist, sofern die Arbeiten nicht an Werktagen vorgenommen werden können. Die Hessische Landesregierung hat gestützt auf diese Ermächtigung durch eine Rechts­ver­ordnung (Hessische Bedarfs­ge­wer­be­ver­ordnung) die Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen zeitlich beschränkt zugelassen, u. a. in den Bereichen: Videotheken und öffentliche Bibliotheken, Geträn­k­e­in­dustrie und -großhandel, Fabriken zur Herstellung von Roh- und Speiseeis und Großhandel damit, Buchma­cher­gewerbe, Callcenter sowie Lotto- und Totoge­sell­schaften. Auf Normen­kon­trol­lanträge einer Gewerkschaft und von zwei evangelischen Gemein­de­ver­bänden hat der Verwal­tungs­ge­richtshof Kassel die Verordnung insoweit für nichtig erklärt.

BVerwG bestätigt Urteil des Hessischen Verwal­tungs­ge­richtshofs

Auf die Revision des Landes Hessen hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht dieses Urteil teilweise bestätigt. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat neben Religi­o­ns­ge­mein­schaften auch Gewerkschaften die Befugnis zuerkannt, verwal­tungs­ge­richtliche Normen­kon­trol­lanträge zu stellen, die sich gegen unter­ge­setzliche Rechtsnormen, wie Rechts­ver­ord­nungen der Landes­re­gie­rungen, richten, welche dem Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe dienen sollen, nach Auffassung der Gewerkschaft aber hinter dem gesetzlich gebotenen Schutzniveau zurückbleiben.

Freizeit­ge­staltung des Wochenendes kann vorausschauend schon an Werktagen organisiert werden

In der Sache ist die Beschäftigung von Arbeitnehmern in Videotheken und öffentlichen Bibliotheken an Sonn- oder Feiertagen zur Befriedigung an diesen Tagen besonders hervortretender Bedürfnisse der Bevölkerung nach einer Freizeit­ge­staltung nicht erforderlich, weil DVDs, Computerspiele oder Bücher für eine Nutzung am Sonn- oder Feiertag vorausschauend schon an Werktagen ausgeliehen werden können. Es stellt keinen erheblichen Schaden i.S.d. des Gesetzes dar, wenn der Schutz der Sonn- und Feiertagsruhe nicht hinter den Wunsch zurücktreten muss, spontan auftretende Bedürfnisse auch sofort erfüllt zu bekommen. Aus den gleichen Gründen ist eine Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen in Lotto- und Totoge­sell­schaften zur elektronischen Geschäfts­ab­wicklung nicht erforderlich.

Erfor­der­lichkeit der Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen nicht ersichtlich

Soweit die Verordnung eine Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen in Callcentern zulässt, ist sie mit der gesetzlichen Ermächtigung nicht vereinbar, weil sie eine solche Beschäftigung in allen gegenwärtig und künftig vorhandenen Callcentern zulässt, gleichgültig für Unternehmen welcher Branche oder für welchen Tätig­keits­bereich das Callcenter tätig wird. Dass der Betrieb von Callcentern in diesem Umfang erforderlich ist, um tägliche oder an Sonn- und Feiertagen besonders hervortretende Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen, lässt sich nicht feststellen.

Beschäftigung von Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen in der Geträn­k­e­in­dustrie und Roh- und Speiseeis-Fabriken möglicherweise zulässig

Entgegen der Auffassung des Verwal­tungs­ge­richtshofs ist die Zulassung einer Beschäftigung von Arbeitnehmern in den Bereichen der Geträn­k­e­in­dustrie und den Fabriken zur Herstellung von Roh- und Speiseeis sowie dem damit zusam­men­hän­genden Großhandel nicht schon deshalb nichtig, weil derartige Ausnahmen wegen ihrer Wesentlichkeit für den Sonn- und Feiertagsschutz nur durch den parla­men­ta­rischen (Bundes-)Gesetzgeber, nicht aber durch eine bloße Rechts­ver­ordnung einer Landesregierung hätte zugelassen werden dürfen. Die Produktion in diesen Betrieben ist allerdings nur dann auch an Sonn- und Feiertagen zur Deckung täglicher Bedürfnisse der Bevölkerung erforderlich, wenn die Kapazitäten der Hersteller nicht ausreichen, um ohne eine Produktion rund um die Woche auch in Spitzenzeiten der Nachfrage, also insbesondere im Sommer bei länger anhaltenden Hitzeperioden, einen dann gegebenen erhöhten Bedarf täglich decken zu können. Hierzu fehlen bisher tatsächliche Feststellungen. Deshalb hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht insoweit die Sache zur weiteren Klärung des Sachverhalts an den Verwal­tungs­ge­richtshof zurückverweisen.

Annahme von Wetten stellt spezifischen Sonn- und Feiertagsbedarf dar

Die Beschäftigung im Buchma­cher­gewerbe durfte an Sonn- und Feiertagen zugelassen werden. Sie bezieht sich nach der Verordnung nur auf die Entgegennahme von Wetten für Veranstaltungen, die an diesen Tagen stattfinden und für die sich deshalb aus anderen Vorschriften ergeben muss, dass sie an diesen Tagen etwa aus Gründen der Freizeit­ge­staltung der Bevölkerung auch stattfinden dürfen. Ferner dürfen die Wetten nur an der Stätte der Veranstaltung entgegen genommen werden. Erfasst werden damit insbesondere Renns­port­ver­an­stal­tungen, etwa auf Pferde­renn­bahnen. Insoweit handelt es sich bei der Annahme von Wetten um einen spezifischen Sonn- und Feiertagsbedarf, der als Bestandteil des Freizei­ter­leb­nisses, um nicht den Freizeitgenuss insgesamt zu gefährden, nur an Ort und Stelle befriedigt werden kann.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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