Zum 1. Januar 2011 trat das Kernbrennstoffsteuergesetz in Kraft, mit dem der Bund eine neue Steuer auf die Verwendung von Kernbrennstoffen eingeführt hat. Als die Klägerin im Juli 2011 in dem vor ihr betriebenen Kraftwerk die Kernbrennstäbe wechselte, berechnete sie pflichtgemäß die Steuer und gab beim für sie zuständigen Hauptzollamt eine Steueranmeldung über rund 96 Mio. Euro Kernbrennstoffsteuer ab, legte aber sogleich Rechtmittel ein.
Das Kernbrennstoffsteuergesetz war von Beginn an rechtlich umstritten. Aufgrund erheblicher Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Kernbrennstoffsteuergesetzes gewährte das Finanzgericht Hamburg der Klägerin bereits mit Beschluss vom 16. September 2011 vorläufigen Rechtsschutz, der allerdings vom Bundesfinanzhof aus formellen Gründen wieder aufgehoben wurde. In weiteren Eilverfahren hat bisher neben dem Finanzgericht Hamburg auch das Finanzgericht München ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Kernbrennstoffsteuer geäußert, wohingegen das Finanzgericht Baden-Württemberg das Gesetz für verfassungsgemäß gehalten hat.
Nach Schluss der mündlichen Verhandlung des Hauptsacheverfahrens am 29. Januar 2013 hat das Finanzgerichts Hamburg beschlossen, das Kernbrennstoffsteuergesetz dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung vorzulegen. Das Gesetz sei mangels Gesetzgebungskompetenz des Bundes verfassungswidrig, denn bei der Kernbrennstoffsteuer handele es sich nicht um eine in die Gesetzgebungskompetenz des Bundes fallende Verbrauchsteuer.
Nach dem Kernbrennstoffsteuergesetz wird der Verbrauch von Kernbrennstoff (Uran 233 und 235 sowie Plutonium 239 und 241) besteuert, der zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendet wird. Die Steuer wird durch die Hauptzollämter von den Kernkraftwerksbetreibern erhoben und entsteht immer dann, wenn ein Brennelement in einen Kernreaktor eingesetzt und eine sich selbsttragende Kettenreaktion ausgelöst wird. Bei einem Steuersatz von 145 Euro je Gramm Kernbrennstoff wurde bei Einführung der Steuer eine jährliche Einnahme von 2,3 Mrd. Euro erwartet. Von den damals noch 17 Kernkraftwerken sind nach der auf die Reaktorkatastrophe von Fukushima folgenden Energiewende allerdings nur noch 9 Anlagen in Betrieb.
Allein beim Finanzgericht Hamburg sind eine Reihe von Klagen für verschiedene Kernkraftwerke anhängig, deren Gesamtstreitwert sich auf rund 1,5 Mrd. Euro beläuft. Zuständig für diese Klagen ist beim Finanzgericht Hamburg der 4. Senat, der als Gemeinsamer Senat für die Länder Freie und Hansestadt Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein eine länderübergreifende Zuständigkeit für Zoll-, Verbrauchsteuer- und Marktordnungsrecht hat.
Der vorlegende 4. Senat ist davon überzeugt, dass das Kernbrennstoffsteuergesetz formell verfassungswidrig ist, weil die Kernbrennstoffsteuer keine Verbrauchsteuer im Sinne der finanzverfassungsrechtlichen Kompetenzregeln sei und dem Bund auch im Übrigen keine (alleinige) Gesetzgebungskompetenz zur Verfügung stehe.
Der Bund habe die sich aus Art. 105, 106 Grundgesetz ergebende Gesetzgebungskompetenz für Verbrauchsteuern nicht in Anspruch nehmen können, weil die Kernbrennstoffsteuer weder eine herkömmliche Verbrauchsteuer sei noch die Typusmerkmale einer Verbrauchsteuer erfülle. Prägendes Wesensmerkmal der Verbrauchsteuern sei insbesondere ihr Ziel, den privaten Verbraucher zu belasten. Auch wenn Verbrauchsteuern typischerweise nicht unmittelbar beim Konsumenten erhoben würden, sondern indirekt beim Handel oder bei der Industrie, müssten sie doch darauf angelegt sein, auf den Konsumenten abgewälzt zu werden.
Dies sei bei der Kernbrennstoffsteuer nicht der Fall. Schon in der Begründung des Kernbrennstoffsteuergesetzes sei festgehalten worden, dass eine Überwälzung der Steuer allenfalls in geringem Umfang möglich sein werde. Eine Betrachtung des Strommarktes bestätige erwartungsgemäß, dass die Kernbrennstoffsteuer auf die Strompreisbildung ohne Einfluss geblieben sei. Dies führt den 4. Senat zu der Feststellung, dass die Kernbrennstoffsteuer nicht auf Abwälzung angelegt sei, sondern, wie auch entsprechende Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren belegten, das Ziel verfolge, die Gewinne der Kernkraftwerksbetreiber abzuschöpfen. Die Besteuerung von Gewinnen erfolge nach dem Steuersystem des Grundgesetzes allerdings nicht durch Verbrauchsteuern, sondern typischerweise durch eine der Ertragsteuern, die jedoch nicht in der alleinigen Gesetzgebungskompetenz des Bundes lägen.
Zur Verfassungsmäßigkeit der Kernbrennsteuer im Übrigen – die Klägerin rügt insbesondere noch den Verstoß gegen den Gleichheitssatz und die Verletzung der Eigentumsgarantie – hat sich der 4. Senat nicht geäußert; sie wird vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen des Normenkontrollverfahrens von Amts wegen zu prüfen sein. Eine Überprüfung, ob das Kernbrennstoffsteuergesetz gegen höherrangiges Europarecht verstößt – etwa gegen Beihilfevorschriften oder den Euratom-Vertrag – hat der 4. Senat zunächst zurückgestellt. Die schriftliche Begründung des Beschluss liegt noch nicht vor.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 29.01.2013
Quelle: Finanzgericht Hamburg/ra-online