21.11.2024
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Sie sehen einen Teil der Glaskuppel und einen Turm des Reichstagsgebäudes in Berlin.
ergänzende Informationen

Finanzgericht Hamburg Beschluss29.01.2013

Finanzgericht Hamburg bittet Bundes­ver­fas­sungs­gericht um Überprüfung der Verfas­sungs­mä­ßigkeit des Kernbrenn­stoff­steu­er­ge­setzesKernbrenn­stoff­steuer ist keine in die Gesetz­ge­bungs­kom­petenz des Bundes fallende Verbrauchsteuer

Das Finanzgericht Hamburg ist von der Verfas­sungs­wid­rigkeit des Kernbrenn­stoff­steu­er­ge­setzes überzeugt und wendet sich deshalb an das Bundes­ver­fas­sungs­gericht, das allein die Kompetenz hat, im konkreten Normen­kon­troll­ver­fahren über die Ungültigkeit eines Gesetzes zu entscheiden. Mit diesem Vorla­ge­be­schluss trifft das Finanzgericht Hamburg bundesweit die erste Entscheidung in einem Klageverfahren gegen die im Jahr 2011 als Verbrauchsteuer eingeführte Kernbrenn­stoff­steuer.

Zum 1. Januar 2011 trat das Kernbrenn­stoff­steu­er­gesetz in Kraft, mit dem der Bund eine neue Steuer auf die Verwendung von Kernbrenn­stoffen eingeführt hat. Als die Klägerin im Juli 2011 in dem vor ihr betriebenen Kraftwerk die Kernbrennstäbe wechselte, berechnete sie pflichtgemäß die Steuer und gab beim für sie zuständigen Hauptzollamt eine Steueranmeldung über rund 96 Mio. Euro Kernbrennstoffsteuer ab, legte aber sogleich Rechtmittel ein.

FG Hamburg und FG Münster äußern Zweifel an Verfas­sungs­mä­ßigkeit des Kernbrenn­stoff­steu­er­ge­setzes

Das Kernbrenn­stoff­steu­er­gesetz war von Beginn an rechtlich umstritten. Aufgrund erheblicher Zweifel an der Verfas­sungs­mä­ßigkeit des Kernbrenn­stoff­steu­er­ge­setzes gewährte das Finanzgericht Hamburg der Klägerin bereits mit Beschluss vom 16. September 2011 vorläufigen Rechtsschutz, der allerdings vom Bundesfinanzhof aus formellen Gründen wieder aufgehoben wurde. In weiteren Eilverfahren hat bisher neben dem Finanzgericht Hamburg auch das Finanzgericht München ernstliche Zweifel an der Verfas­sungs­mä­ßigkeit der Kernbrenn­stoff­steuer geäußert, wohingegen das Finanzgericht Baden-Württemberg das Gesetz für verfas­sungsgemäß gehalten hat.

Kernbrenn­stoff­steu­er­gesetz mangels Gesetz­ge­bungs­kom­petenz des Bundes verfas­sungs­widrig

Nach Schluss der mündlichen Verhandlung des Haupt­sa­che­ver­fahrens am 29. Januar 2013 hat das Finanzgerichts Hamburg beschlossen, das Kernbrenn­stoff­steu­er­gesetz dem Bundes­ver­fas­sungs­gericht zur Überprüfung vorzulegen. Das Gesetz sei mangels Gesetz­ge­bungs­kom­petenz des Bundes verfassungswidrig, denn bei der Kernbrenn­stoff­steuer handele es sich nicht um eine in die Gesetz­ge­bungs­kom­petenz des Bundes fallende Verbrauchsteuer.

Hintergrund

Nach dem Kernbrenn­stoff­steu­er­gesetz wird der Verbrauch von Kernbrennstoff (Uran 233 und 235 sowie Plutonium 239 und 241) besteuert, der zur gewerblichen Erzeugung von elektrischem Strom verwendet wird. Die Steuer wird durch die Hauptzollämter von den Kernkraft­werks­be­treibern erhoben und entsteht immer dann, wenn ein Brennelement in einen Kernreaktor eingesetzt und eine sich selbsttragende Kettenreaktion ausgelöst wird. Bei einem Steuersatz von 145 Euro je Gramm Kernbrennstoff wurde bei Einführung der Steuer eine jährliche Einnahme von 2,3 Mrd. Euro erwartet. Von den damals noch 17 Kernkraftwerken sind nach der auf die Reaktor­ka­ta­s­trophe von Fukushima folgenden Energiewende allerdings nur noch 9 Anlagen in Betrieb.

Mehrere Klagen für verschiedene Kernkraftwerke beim Finanzgericht anhängig

Allein beim Finanzgericht Hamburg sind eine Reihe von Klagen für verschiedene Kernkraftwerke anhängig, deren Gesamt­s­treitwert sich auf rund 1,5 Mrd. Euro beläuft. Zuständig für diese Klagen ist beim Finanzgericht Hamburg der 4. Senat, der als Gemeinsamer Senat für die Länder Freie und Hansestadt Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein eine länder­über­greifende Zuständigkeit für Zoll-, Verbrauchsteuer- und Markt­ord­nungsrecht hat.

FG hält Kernbrenn­stoff­steuer für keine Verbrauchsteuer im Sinne der finanz­ver­fas­sungs­recht­lichen Kompetenzregeln

Der vorlegende 4. Senat ist davon überzeugt, dass das Kernbrenn­stoff­steu­er­gesetz formell verfas­sungs­widrig ist, weil die Kernbrenn­stoff­steuer keine Verbrauchsteuer im Sinne der finanz­ver­fas­sungs­recht­lichen Kompetenzregeln sei und dem Bund auch im Übrigen keine (alleinige) Gesetz­ge­bungs­kom­petenz zur Verfügung stehe.

Kernbrenn­stoff­steuer ist keine herkömmliche Verbrauchsteuer

Der Bund habe die sich aus Art. 105, 106 Grundgesetz ergebende Gesetz­ge­bungs­kom­petenz für Verbrauch­steuern nicht in Anspruch nehmen können, weil die Kernbrenn­stoff­steuer weder eine herkömmliche Verbrauchsteuer sei noch die Typusmerkmale einer Verbrauchsteuer erfülle. Prägendes Wesensmerkmal der Verbrauch­steuern sei insbesondere ihr Ziel, den privaten Verbraucher zu belasten. Auch wenn Verbrauch­steuern typischerweise nicht unmittelbar beim Konsumenten erhoben würden, sondern indirekt beim Handel oder bei der Industrie, müssten sie doch darauf angelegt sein, auf den Konsumenten abgewälzt zu werden.

Kernbrenn­stoff­steuer dient zur Abschöpfung der Gewinne der Kernkraft­werks­be­treiber

Dies sei bei der Kernbrenn­stoff­steuer nicht der Fall. Schon in der Begründung des Kernbrenn­stoff­steu­er­ge­setzes sei festgehalten worden, dass eine Überwälzung der Steuer allenfalls in geringem Umfang möglich sein werde. Eine Betrachtung des Strommarktes bestätige erwartungsgemäß, dass die Kernbrenn­stoff­steuer auf die Strom­preis­bildung ohne Einfluss geblieben sei. Dies führt den 4. Senat zu der Feststellung, dass die Kernbrenn­stoff­steuer nicht auf Abwälzung angelegt sei, sondern, wie auch entsprechende Äußerungen im Gesetz­ge­bungs­ver­fahren belegten, das Ziel verfolge, die Gewinne der Kernkraft­werks­be­treiber abzuschöpfen. Die Besteuerung von Gewinnen erfolge nach dem Steuersystem des Grundgesetzes allerdings nicht durch Verbrauch­steuern, sondern typischerweise durch eine der Ertragsteuern, die jedoch nicht in der alleinigen Gesetz­ge­bungs­kom­petenz des Bundes lägen.

FG stellt Überprüfung eines möglichen Verstoßes gegen höherrangiges Europarecht zunächst zurück

Zur Verfas­sungs­mä­ßigkeit der Kernbrennsteuer im Übrigen – die Klägerin rügt insbesondere noch den Verstoß gegen den Gleichheitssatz und die Verletzung der Eigen­tums­ga­rantie – hat sich der 4. Senat nicht geäußert; sie wird vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht im Rahmen des Normen­kon­troll­ver­fahrens von Amts wegen zu prüfen sein. Eine Überprüfung, ob das Kernbrenn­stoff­steu­er­gesetz gegen höherrangiges Europarecht verstößt – etwa gegen Beihil­fe­vor­schriften oder den Euratom-Vertrag – hat der 4. Senat zunächst zurückgestellt. Die schriftliche Begründung des Beschluss liegt noch nicht vor.

Quelle: Finanzgericht Hamburg/ra-online

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