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Europäisches Gericht Erster Instanz Urteil27.06.2012

Gerichtshof der Europäischen Union verhängt Zwangsgeld in Höhe von 860 Mio. Euro gegen MicrosoftMicrosoft muss Wettbewerbern Zugang zu Inter­ope­ra­bi­li­täts­in­for­ma­tionen zu angemessenen Bedingungen gestatten

Ein von der Kommission verhängtes Zwangsgeld gegen Microsoft, wegen nicht angemessener Bedingungen für den Zugang von Wettbewerbern zu den Inter­ope­ra­bi­li­täts­in­for­ma­tionen, ist im Wesentlichen Gerichtfertigt. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union setzte jedoch das Zwangsgeld von 899 auf 860 Mio. Euro herab, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass die Kommission Microsoft erlaubt hatte, bis zum 17. September 2007 den Vertrieb von „Open Source“-Produkten zu beschränken.

Am 24. März 2004 erließ die Kommission eine Entscheidung, in der festgestellt wurde, dass Microsoft durch zwei verschiedene Verhal­tens­weisen ihre beherrschende Stellung missbraucht hatte, und verhängte daher gegen Microsoft eine Geldbuße von über 497 Mio. Euro.

Sachverhalt

Die erste geahndete Verhaltensweise, um die allein es hier geht, bestand in der Weigerung von Microsoft, ihren Wettbewerbern von Oktober 1998 bis zum 24. März 2004 bestimmte „Inter­ope­ra­bi­li­täts­in­for­ma­tionen“ zur Verfügung zu stellen und deren Nutzung für die Entwicklung und den Vertrieb von Produkten zu gestatten, die mit Microsoft-Produkten auf dem Markt der Betriebssysteme für Arbeits­grup­pen­server konkurrierten. Als Abhilfemaßnahme gab die Kommission Microsoft auf, Zugang zu diesen Informationen zu gewähren und deren Nutzung zu angemessenen und nicht diskri­mi­nie­renden Bedingungen zu gestatten. Zur Unterstützung der Kommission bei der Überwachung der Einhaltung der Entscheidung war die Einsetzung eines unabhängigen Überwa­chungs­be­auf­tragten vorgesehen, dessen Vergütung Microsoft zu tragen hatte und der befugt war, unabhängig von der Kommission Zugang zur Unterstützung, zu Informationen, zu Unterlagen, zu den Geschäftsräumen und zu den Mitarbeitern von Microsoft sowie zum Quellcode der einschlägigen Microsoft-Produkte zu erhalten.

Kommission verhängt Zwangsgelder wegen nicht eingehaltener Fristen seitens Microsoft

Nach Erlass der Entscheidung von 2004 nahmen die Kommission und Microsoft einen Dialog auf, um einen Mechanismus zur Offenlegung der Inter­ope­ra­bi­li­täts­in­for­ma­tionen zu schaffen. Da die Kommission feststellte, dass Microsoft innerhalb der Frist, die in der Entscheidung von 2004 gesetzt worden war, keine vollständige Fassung der Inter­ope­ra­bi­li­täts­in­for­ma­tionen vorgelegt hatte und dass die Vergütungssätze, die Microsoft für den Zugang zu diesen Informationen verlangte, unangemessen waren, erließ sie mehrere Entscheidungen, mit denen Zwangsgelder gegen Microsoft verhängt wurden.

Verfahrensgang

Mit einer Entscheidung vom 12. Juli 2006 verhängte die Kommission ein Zwangsgeld von 280,5 Mio. Euro, da Microsoft im Zeitraum vom 16. Dezember 2005 bis zum 20. Juni 2006 nicht der Entscheidung von 2004 nachgekommen war.

In einem Urteil vom 17. September 20073 bestätigte das Gericht im Wesentlichen die Entscheidung von 2004. Den Artikel der Entscheidung, der sich auf den unabhängigen Überwa­chungs­be­auf­tragten bezog, hob das Gericht jedoch teilweise auf.

Mit Entscheidung vom 27. Februar 2008 wurde für den Zeitraum vom 21. Juni 2006 bis zum 21. Oktober 2007 ein neues Zwangsgeld in Höhe von 899 Mio. Euro gegen Microsoft verhängt, weil die von Microsoft für den Zugang zu den Inter­ope­ra­bi­li­täts­in­for­ma­tionen vorgeschlagenen Vergütungssätze nicht angemessen seien.

Microsoft hat beim Gericht beantragt, diese Entscheidung für nichtig zu erklären oder, hilfsweise, das Zwangsgeld aufzuheben oder herabzusetzen.

Microsoft kann innovativen Charakter der Technologien nicht ausreichend nachweisen

In seinem Urteil bestätigt das Gericht im Wesentlichen die Entscheidung der Kommission und weist alle Argumente zurück, die Microsoft für deren Nichti­g­er­klärung anführt. Das Gericht stellt erstens fest, dass Microsoft unter Berück­sich­tigung der von ihr und der Kommission ausgearbeiteten Preis­fin­dungs­grundsätze in der Lage war, zu beurteilen, ob die Vergütungssätze, die sie bis zum 21. Oktober 2007 für den Zugang zu den Inter­ope­ra­bi­li­täts­in­for­ma­tionen forderte, im Sinne der Entscheidung von 2004 angemessen waren. Zweitens ist das – von der Kommission bei der Prüfung der Angemessenheit der von Microsoft geforderten Vergütungssätze herangezogene – Kriterium des innovativen Charakters der betreffenden Technologien ein geeigneter Indikator dafür, ob diese Sätze den eigenständigen Wert einer Technologie widerspiegeln und nicht ihren strategischen Wert, d. h. den Wert, der sich aus der bloßen Möglichkeit ergibt, mit den Betrie­bs­systemen von Microsoft zu interoperieren. Drittens ist in diesem Zusammenhang die Kommission berechtigt, den innovativen Charakter dieser Technologien unter Bezugnahme auf dessen Bestandteile zu untersuchen, nämlich die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit, zumal Microsoft nicht geltend gemacht hat, dass es undenkbar sei, die den betreffenden Technologien zugrunde liegende erfinderische Tätigkeit in einem anderen Kontext zu beurteilen als dem der Erteilung eines Patents. Wenn im Rahmen der vorliegenden Rechtssache der innovative Charakter der Technologien, die Gegenstand der angefochtenen Entscheidung sind, unter Bezugnahme auf die Neuheit und die erfinderische Tätigkeit beurteilt wird, hat dies nicht zur Folge, dass die Rechte am geistigen Eigentum, Geschäfts­ge­heimnisse oder andere vertrauliche Informationen pauschal entwertet werden, und erst recht nicht, dass dieser Charakter generell eine Voraussetzung dafür wird, dass ein Produkt oder eine Information unter ein solches Recht fällt oder ein Geschäfts­ge­heimnis darstellt. Eine solche Vorgehensweise soll lediglich ausschließen, dass Microsoft eine Vergütung erhält, die den strategischen Wert der Inter­ope­ra­bi­li­täts­in­for­ma­tionen widerspiegelt, was die Entscheidung von 2004 verbietet. Ferner ist es Microsoft nicht gelungen, die Feststellung der Kommission zu widerlegen, dass 166 der 173 zu den Inter­ope­ra­bi­li­täts­in­for­ma­tionen gehörenden Technologien nicht innovativ waren.

Höhe des Zwangsgeldes herabgesetzt

Allerdings ist es nach Ansicht des Gerichts geboten, die Höhe des Zwangsgelds zu überprüfen, um ein Schreiben der Kommission vom 1. Juni 2005 zu berücksichtigen. In diesem Schreiben gestand die Kommission Microsoft das Recht zu, den Vertrieb der Produkte, die ihre „Open Source“-Wettbewerber auf Basis der weder unter ein Patent fallenden noch innovativen Inter­ope­ra­bi­li­täts­in­for­ma­tionen entwickelt hatten, bis zur Verkündung des Urteils in der Rechtssache T-201/04, d. h. bis zum 17. September 2007, zu beschränken. Auch wenn die angefochtene Entscheidung mit der Unange­mes­senheit der von Microsoft angebotenen Vergütungssätze begründet war und nicht mit der Verweigerung des Zugangs zu den Inter­ope­ra­bi­li­täts­in­for­ma­tionen, könnte nämlich dem Umstand, dass die Kommission im Hinblick auf den anhängigen Rechtsstreit akzeptiert hat, dass Microsoft zeitweise eine Praxis anwendet, die zur Aufrecht­er­haltung einer Situation führen kann, die mit der Entscheidung von 2004 beseitigt werden sollte, im Rahmen der Frage, wie schwer das geahndete Verhalten wiegt und in welcher Höhe somit das Zwangsgeld festzusetzen ist, Rechnung getragen werden.

In diesem Zusammenhang stellt das Gericht in Anbetracht des Akteninhalts fest, dass die im Schreiben vom 1. Juni 2005 eingeräumte Befugnis nur einen geringen Teil der Auswirkungen des geahndeten Verhaltens mit sich gebracht hätte, so dass die Höhe des gegen Microsoft verhängten Zwangsgelds auf 860 Mio. Euro festzusetzen ist.

Quelle: Gericht der Europäischen Union/ra-online

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