18.10.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil12.03.2020

Reisende haben nach Flugan­nul­lierung auch Anspruch auf Ausgleichs­zahlung für Verspätung des AlternativflugsEuGH bejaht doppelte Entschädigung bei Flugan­nul­lierung und anschließender Flugverspätung

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass ein Fluggast, der eine Ausgleichs­leistung für die Annullierung eines Fluges erhalten und einen Alternativflug akzeptiert hat, Anspruch auf eine Ausgleichs­zahlung wegen Verspätung des Alter­na­tiv­fluges hat.

Im zugrunde liegenden Fall buchten Reisende bei Finnair einen Direktflug von Helsinki (Finnland) nach Singapur. Dieser für den 11. Oktober 2013 um 23.55 Uhr vorgesehene Flug wurde jedoch aufgrund eines in der Maschine aufgetretenen technischen Problems annulliert. Nach Annahme eines entsprechenden Angebots der Finnair wurden die Reisenden auf den Flug Helsinki-Singapur via Chongqing (China), Abflugzeit am darauf folgenden Tag, dem 12. Oktober 2013, um 17.40 Uhr und geplante Ankunftszeit in Singapur am 13. Oktober um 17.25 Uhr, umgebucht. Finnair führte den Alternativflug Helsinki-Chongqing-Singapuraus. Wegen einer ausgefallenen Servolenkung für das Steuerruder der betreffenden Maschine verzögerte sich jedoch ihre anderweitige Beförderung. Sie kamen daher in Singapur am 14. Oktober 2013 um 00.15 Uhr an.

Reisende beantragen Ausgleichs­zahlung für Flugan­nul­lierung und Flugverspätung

Die Reisenden erhoben Klage gegen Finnair auf Verurteilung der Flugge­sell­schaft zur Zahlung eines Betrags nach der Flugga­st­rech­te­ver­ordnung* an jeden von ihnen in Höhe von 600 Euro zuzüglich Zinsen wegen der Annullierung des ursprünglichen Fluges Helsinki - Singapur. Außerdem beantragten sie, Finnair auch zur Zahlung eines Betrags an jeden von ihnen in Höhe von 600 Euro zuzüglich Zinsen wegen der mehr als dreistündigen Verspätung der Ankunft des Alter­na­tiv­fluges Helsinki - Chongqing - Singapur zu verurteilen.

Finnair verweigert Ausgleichs­zahlung für Flugverspätung mit Verweis auf außer­ge­wöhnliche Umstände

Finnair gewährte eine Ausgleichs­leistung von 600 Euro wegen der Annullierung des ursprünglichen Fluges Helsinki - Singapur. Die Gesellschaft weigerte sich jedoch, die zweite von den Reisenden begehrte Ausgleichs­zahlung zu leisten, zum einen, weil sie keinen Anspruch auf eine zweite Ausgleichs­zahlung nach der Verordnung hätten, und zum anderen, weil der Alternativflug wegen "außer­ge­wöhn­licher Umstände" im Sinne dieser Verordnung verzögert gewesen sei. Eine der drei Servolenkungen des Steuerruders zur Lenkung des Flugzeugs, das diesen Flug ausgeführt habe, sei ausgefallen, wobei der Hersteller des Flugzeuges mitgeteilt habe, dass mehrere Maschinen dieses Typs einen versteckten Fabrikations- bzw. Konstruk­ti­o­ns­fehler aufwiesen, der die Servolenkungen des Steuerruders betreffe. Außerdem handle es sich bei der Servolenkung des Steuerruders um ein sogenanntes "On condition"-Teil, das nur bei Defekt des früheren Teils durch ein neues Teil ersetzt werde.

Nationales Gericht erbittet Entscheidung des EuGH

Unter diesen Umständen hat das Helsing in hovioikeus (Berufungs­gericht Helsinki, Finnland) den Gerichtshof befragt, ob ein Fluggast, der wegen der Annullierung eines Fluges eine Ausgleichs­zahlung erhalten und den ihm angebotenen Alternativflug akzeptiert hat, Anspruch auf eine Ausgleichs­zahlung wegen Verspätung des Alter­na­tiv­fluges hat, wenn diese Verspätung ein Ausmaß erreicht, das zu einer Ausgleichs­zahlung berechtigt, und das Luftfahrt­un­ter­nehmen des Alter­na­tiv­fluges dasselbe ist wie das des annullierten Fluges.

EuGH bejaht Ausgleichs­an­spruch für Annullierung und Verspätung

Hierzu stellte der Gerichtshof fest, dass die Verordnung keine Bestimmung enthält, mit der die Rechte der Fluggäste, die wie im vorliegenden Fall anderweitig befördert werden, beschränkt werden sollen; das gilt auch für ihren etwaigen Ausgleichs­an­spruch. Daher hat nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein Fluggast, der, nachdem er den vom Luftfahrt­un­ter­nehmen infolge der Annullierung seines Fluges angebotenen Alternativflug akzeptiert hat, sein Endziel nicht früher als drei Stunden nach der von diesem Luftfahrt­un­ter­nehmen für den Alternativflug geplanten Ankunftszeit erreicht hat, Anspruch auf eine Ausgleichs­zahlung.

Fluggäste, die Annullierungen oder große Verspätungen hinnehmen mussten, hatten nämlich diese Unannehm­lich­keiten sowohl in Verbindung mit der Annullierung ihres ursprünglich gebuchten Fluges als auch später aufgrund der großen Verspätung ihres Alter­na­tiv­fluges. Daher steht es im Einklang mit dem Ziel, diesen großen Unannehm­lich­keiten abzuhelfen, wenn diesen Fluggästen ein Ausgleichs­an­spruch für jede dieser aufeinander folgenden Unannehm­lich­keiten gewährt wird.

Bei der Wartung auftretende technische Mängel können grundsätzlich keine "außer­ge­wöhn­lichen Umstände" darstellen

Das vorlegende Gericht fragt zudem, ob sich ein Luftfahrt­un­ter­nehmen für die Befreiung von seiner Verpflichtung zu Ausgleichs­zah­lungen auf "außer­ge­wöhnliche Umstände" berufen kann, die mit dem Defekt eines Teils zusammenhängen, das nur wegen Defekts des früheren Teils ausgetauscht wird, sofern er ständig ein Ersatzteil vorrätig hält. Der Gerichtshof wies darauf hin, dass nach seiner Rechtsprechung als "außer­ge­wöhnliche Umstände" Vorkommnisse angesehen werden können, die ihrer Natur oder Ursache nach nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrt­un­ter­nehmens sind und von ihm tatsächlich nicht beherrschbar sind, wobei diese beiden Bedingungen kumulativ sind. Technische Mängel, die sich bei der Wartung von Flugzeugen zeigen, können als solche grundsätzlich keine "außer­ge­wöhn­lichen Umstände" darstellen.

Unternehmen kann sich bei Defekt eines "On condition"-Teils nicht auf "außer­ge­wöhnliche Umstände" berufen

Der Defekt eines sogenannten "On condition"-Teils, auf dessen Austausch sich das Luftfahrt­un­ter­nehmen durch ständiges Vorrätighalten eines Ersatzteils vorbereitet hat, ist aber ein Vorkommnis, das seiner Natur oder Ursache nach Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrt­un­ter­nehmens und von ihm tatsächlich zu beherrschen ist, es sei denn, ein solcher Defekt ist nicht untrennbar mit dem System zum Betrieb des Flugzeugs verbunden, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Ein Luftfahrt­un­ter­nehmen kann sich also für die Befreiung von seiner Verpflichtung zu Ausgleichs­zah­lungen nicht auf "außer­ge­wöhnliche Umstände" berufen, die mit dem Defekt eines sogenannten "On condition"-Teils zusammenhängen.

Erläuterungen
* Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unter­stüt­zungs­leis­tungen für Fluggäste im Fall der Nicht­be­för­derung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl. 2004, L 46, S. 1).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online (pm/kg)

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