Nach der Richtlinie über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung* hat jeder Arbeitnehmer Anspruch auf Jahresurlaub.
In Spanien sind die Urlaubszeiten im Einklang mit etwaigen kollektivvertraglichen Bestimmungen über die Jahresurlaubsplanung vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer einvernehmlich festzusetzen.
Das spanische Recht sieht darüber hinaus vor, dass der Arbeitnehmer, wenn der Urlaub zeitlich mit einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Schwangerschaft, Geburt oder Stillzeit zusammenfällt, berechtigt ist, seinen Urlaub, der der Zeit der Arbeitsunfähigkeit entspricht, später zu nehmen**. Im vorliegenden Fall enthält die Kollektivvereinbarung für Kaufhäuser für den Zeitraum 2009-2010 eine ähnliche Bestimmung. Das spanische Recht regelt aber nicht die Fälle, in denen der Urlaub mit einer Arbeitsunfähigkeit wegen Krankheit zusammenfällt.
Mehrere die Arbeitnehmer vertretende Gewerkschaften erhoben bei spanischen Gerichten Kollektivklagen auf Anerkennung des Rechts von Arbeitnehmern, die der Kollektivvereinbarung für Kaufhäuser unterliegen, ihren bezahlten Jahresurlaub auch dann in Anspruch zu nehmen, wenn er mit Fehlzeiten wegen Arbeitsunfähigkeit zusammenfällt. Die Asociación Nacional de Grandes Empresas de Distribución (ANGED, Nationale Vereinigung großer Handelsunternehmen) vertritt dagegen die Auffassung, dass Arbeitnehmer, die bereits vor Beginn eines im Voraus festgelegten Urlaubszeitraums arbeitsunfähig geworden seien oder während dieses Zeitraums arbeitsunfähig würden, nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit nicht berechtigt seien, ihren Urlaub in Anspruch zu nehmen, abgesehen von den in der nationalen Regelung ausdrücklich vorgesehenen Fällen.
Das mit der Rechtssache befasste Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) fragt den Gerichtshof, ob die Richtlinie der spanischen Regelung entgegensteht, wonach ein Arbeitnehmer, der während des bezahlten Jahresurlaubs arbeitsunfähig wird, nicht berechtigt ist, diesen Jahresurlaub später in Anspruch zu nehmen. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Frage in seinem Urteil bejaht.
Der Gerichtshof weist hierzu darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen ist (vgl. Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil v. 22.11.2011 - C-214/10 -). In dieser Eigenschaft ist der Urlaubsanspruch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausdrücklich verankert. Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub darf auch nicht restriktiv ausgelegt werden.
Der Gerichtshof stellt darüber hinaus fest, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub es dem Arbeitnehmer ermöglichen soll, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen. Dieser Zweck weicht somit vom Zweck des Anspruchs auf Krankheitsurlaub ab, der es dem Arbeitnehmer ermöglicht, von einer Krankheit, die eine Arbeitsunfähigkeit verursacht, zu genesen.
Unter Berücksichtigung des Zwecks des bezahlten Jahresurlaubs hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass ein Arbeitnehmer, der vor Beginn eines Zeitraums bezahlten Urlaubs arbeitsunfähig geworden ist, berechtigt ist, den Urlaub zu einer anderen als der mit dem Krankheitsurlaub zusammenfallenden Zeit zu nehmen. In seinem Urteil stellt der Gerichtshof klar, dass der Zeitpunkt, zu dem die Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist, irrelevant ist. Der Arbeitnehmer ist infolgedessen berechtigt, seinen bezahlten Jahresurlaub, der mit einem Krankheitsurlaub zusammenfällt, zu einer späteren Zeit zu nehmen, unabhängig davon, wann die Arbeitsunfähigkeit eingetreten ist. Es wäre nämlich vom Zufall abhängig und widerspräche dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub, wenn dem Arbeitnehmer dieses Recht nur unter der Voraussetzung gewährt würde, dass er bereits zu Beginn des bezahlten Jahresurlaubs arbeitsunfähig war.
In diesem Zusammenhang weist der Gerichtshof darauf hin, dass der neue Jahresurlaub (dessen Dauer der Überschneidung des ursprünglich festgelegten Urlaubs mit dem Krankheitsurlaub entspricht), den der Arbeitnehmer nach Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit in Anspruch nehmen kann, gegebenenfalls außerhalb des entsprechenden Bezugszeitraums für den Jahresurlaub festgelegt werden kann.
Erläuterungen
* Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. L 299, S. 9). Der Anspruch auf Jahresurlaub ergibt sich aus Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie.
** Dieselbe Möglichkeit besteht, wenn die für einen Arbeitnehmer festgelegte Urlaubszeit mit einem Zeitraum der Suspendierung seines Arbeitsvertrags bei Geburt, Tod der Mutter bei der Geburt, vorzeitiger Geburt, Krankenhausbehandlung des Neugeborenen, Adoption oder Annahme zusammenfällt.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 21.06.2012
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online