24.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil21.06.2012

EuGH zum Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bei vorübergehender Arbeits­un­fä­higkeit durch KrankheitErkrankter Arbeitnehmer kann Urlaub zum späteren Zeitpunkt nach Genesung nachholen

Ein Arbeitnehmer, der während seines bezahlten Jahresurlaubs arbeitsunfähig wird, ist berechtigt, später eine der Dauer seiner Krankheit entsprechende Urlaubszeit in Anspruch zu nehmen. Dieses Recht wird unabhängig davon gewährt, wann die Arbeits­un­fä­higkeit eingetreten ist. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Nach der Richtlinie über bestimmte Aspekte der Arbeits­zeit­ge­staltung* hat jeder Arbeitnehmer Anspruch auf Jahresurlaub.

In Spanien sind die Urlaubszeiten im Einklang mit etwaigen kollek­tiv­ver­trag­lichen Bestimmungen über die Jahres­ur­laubs­planung vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer einvernehmlich festzusetzen.

Anspruch auf nichtgenommenen Urlaub wegen vorübergehender Arbeits­un­fä­higkeit durch Schwangerschaft, Geburt oder Stillzeit bleibt bestehen

Das spanische Recht sieht darüber hinaus vor, dass der Arbeitnehmer, wenn der Urlaub zeitlich mit einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Schwangerschaft, Geburt oder Stillzeit zusammenfällt, berechtigt ist, seinen Urlaub, der der Zeit der Arbeits­un­fä­higkeit entspricht, später zu nehmen**. Im vorliegenden Fall enthält die Kollek­tiv­ver­ein­barung für Kaufhäuser für den Zeitraum 2009-2010 eine ähnliche Bestimmung. Das spanische Recht regelt aber nicht die Fälle, in denen der Urlaub mit einer Arbeits­un­fä­higkeit wegen Krankheit zusammenfällt.

Frage des Anspruchs auf Urlaub bei vorübergehender Arbeits­un­fä­higkeit aufgrund von Krankheiten strittig

Mehrere die Arbeitnehmer vertretende Gewerkschaften erhoben bei spanischen Gerichten Kollektivklagen auf Anerkennung des Rechts von Arbeitnehmern, die der Kollek­tiv­ver­ein­barung für Kaufhäuser unterliegen, ihren bezahlten Jahresurlaub auch dann in Anspruch zu nehmen, wenn er mit Fehlzeiten wegen Arbeits­un­fä­higkeit zusammenfällt. Die Asociación Nacional de Grandes Empresas de Distribución (ANGED, Nationale Vereinigung großer Handels­un­ter­nehmen) vertritt dagegen die Auffassung, dass Arbeitnehmer, die bereits vor Beginn eines im Voraus festgelegten Urlaubs­zeitraums arbeitsunfähig geworden seien oder während dieses Zeitraums arbeitsunfähig würden, nach Beendigung der Arbeits­un­fä­higkeit nicht berechtigt seien, ihren Urlaub in Anspruch zu nehmen, abgesehen von den in der nationalen Regelung ausdrücklich vorgesehenen Fällen.

Nationales Gericht erbittet Vorabenst­scheidung des EuGH zur Vereinbarkeit nationaler Regelungen mit EU-Richtlinie

Das mit der Rechtssache befasste Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) fragt den Gerichtshof, ob die Richtlinie der spanischen Regelung entgegensteht, wonach ein Arbeitnehmer, der während des bezahlten Jahresurlaubs arbeitsunfähig wird, nicht berechtigt ist, diesen Jahresurlaub später in Anspruch zu nehmen. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat diese Frage in seinem Urteil bejaht.

Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub darf nicht restriktiv ausgelegt werden

Der Gerichtshof weist hierzu darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen ist (vgl. Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil v. 22.11.2011 - C-214/10 -). In dieser Eigenschaft ist der Urlaubsanspruch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausdrücklich verankert. Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub darf auch nicht restriktiv ausgelegt werden.

Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub dient Erholung, Entspannung und Freizeit

Der Gerichtshof stellt darüber hinaus fest, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub es dem Arbeitnehmer ermöglichen soll, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen. Dieser Zweck weicht somit vom Zweck des Anspruchs auf Krank­heits­urlaub ab, der es dem Arbeitnehmer ermöglicht, von einer Krankheit, die eine Arbeits­un­fä­higkeit verursacht, zu genesen.

Bezahlter Urlaub darf zu späterem Zeitpunkt nachgeholt werden

Unter Berück­sich­tigung des Zwecks des bezahlten Jahresurlaubs hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass ein Arbeitnehmer, der vor Beginn eines Zeitraums bezahlten Urlaubs arbeitsunfähig geworden ist, berechtigt ist, den Urlaub zu einer anderen als der mit dem Krank­heits­urlaub zusam­men­fa­l­lenden Zeit zu nehmen. In seinem Urteil stellt der Gerichtshof klar, dass der Zeitpunkt, zu dem die Arbeits­un­fä­higkeit eingetreten ist, irrelevant ist. Der Arbeitnehmer ist infolgedessen berechtigt, seinen bezahlten Jahresurlaub, der mit einem Krank­heits­urlaub zusammenfällt, zu einer späteren Zeit zu nehmen, unabhängig davon, wann die Arbeits­un­fä­higkeit eingetreten ist. Es wäre nämlich vom Zufall abhängig und widerspräche dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub, wenn dem Arbeitnehmer dieses Recht nur unter der Voraussetzung gewährt würde, dass er bereits zu Beginn des bezahlten Jahresurlaubs arbeitsunfähig war.

In diesem Zusammenhang weist der Gerichtshof darauf hin, dass der neue Jahresurlaub (dessen Dauer der Überschneidung des ursprünglich festgelegten Urlaubs mit dem Krank­heits­urlaub entspricht), den der Arbeitnehmer nach Wiedererlangung der Arbeits­fä­higkeit in Anspruch nehmen kann, gegebenenfalls außerhalb des entsprechenden Bezugszeitraums für den Jahresurlaub festgelegt werden kann.

Erläuterungen

* Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeits­zeit­ge­staltung (ABl. L 299, S. 9). Der Anspruch auf Jahresurlaub ergibt sich aus Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie.

** Dieselbe Möglichkeit besteht, wenn die für einen Arbeitnehmer festgelegte Urlaubszeit mit einem Zeitraum der Suspendierung seines Arbeitsvertrags bei Geburt, Tod der Mutter bei der Geburt, vorzeitiger Geburt, Kranken­h­aus­be­handlung des Neugeborenen, Adoption oder Annahme zusammenfällt.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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