18.10.2024
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Dokument-Nr. 20741

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil11.03.2015

Unternehmen müssen Informationen über finanzielle Transaktion zur Vermeidung von Insider-Geschäften offenlegenEuGH erläutert Begriff der "präzisen Information"

Um Insider-Geschäfte zu verhindern, muss eine Information offengelegt werden, auch wenn ihr Besitzer nicht weiß, welchen genauen Einfluss sie auf den Kurs der Finan­z­in­strumente haben wird. Andernfalls könnte der Besitzer der Information vorgeben, dass insoweit Unsicherheit bestehe, um zum Nachteil der anderen Marktteilnehmer von ihr zu profitieren. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

Eine Richtlinie der Union* verbietet Insider-Geschäfte und verpflichtet die Emittenten von Finan­z­in­stru­menten, jede sie unmittelbar betreffende Insider-Information öffentlich bekannt zu machen, d. h. jede präzise Information, die geeignet ist, den Kurs der betreffenden Finan­z­in­strumente erheblich zu beeinflussen. In einer anderen Richtlinie der Union** wird hinzugefügt, dass eine Information dann als präzise anzusehen ist, wenn sie als Grundlage für die Beurteilung dienen kann, ob die Kurse der betreffenden Finan­z­in­strumente durch die Umstände oder das Ereignis, auf die oder das sie sich bezieht, beeinflusst werden können.

Sachverhalt

In den Jahren 2006 und 2007 schloss die Wendel SA, eine auf Investitionen spezialisierte französische Gesellschaft, mit vier Banken Verträge über „Total Return Swaps“ (Kreditderivate zum Ertrags­trans­fer***), die sich auf insgesamt 85 Mio. Aktien von Saint-Gobain (eines Herstellers von Baustoffen) bezogen und Wendel eine wirtschaftliche Beteiligung an Saint-Gobain verschafften. 2007 traf Wendel offiziell die Entscheidung, die wirtschaftliche Beteiligung an Saint-Gobain in physischen Aktienbesitz umzuwandeln, und erwarb infolgedessen mehr als 66 Mio. Aktien von Saint-Gobain (etwa 17,6 % des Gesell­schafts­ka­pitals).

Finanz­ma­rkt­behörde wirft Unternehmen Vorenthalten von Insider-Informationen vor

Im Rahmen einer Untersuchung der Umstände, unter denen Wendel ihren Anteil am Kapital von Saint-Gobain erhöhte, ging die französische Finanz­ma­rkt­behörde (AMF) davon aus, dass Wendel von Anfang an beabsichtigt habe, eine erhebliche Beteiligung am Kapital von Saint-Gobain zu erwerben. Die AMF warf Wendel vor, der Öffentlichkeit weder die wichtigsten Merkmale der auf den Erwerb dieser Beteiligung gerichteten finanziellen Transaktion mitgeteilt zu haben noch die in der Vornahme der in Rede stehenden finanziellen Transaktion bestehende Insider-Information. Wendel und ihrem Vorstands­vor­sit­zenden (Herrn Jean-Bernard Lafonta) wurde eine Geldbuße von je 1,5 Mio. Euro auferlegt.

Finanzbehörde sieht in Wissen um mögliche Auswirkungen auf Aktienkurs durch finanzielle Transaktion ausreichende Insider-Information

Vor Gericht beruft sich der Vorstands­vor­sitzende darauf, dass die Information über die in Rede stehende finanzielle Transaktion nicht habe veröffentlicht werden müssen, da sie nicht hinreichend präzise gewesen sei, um einen Schluss auf ihre mögliche positive oder negative Auswirkung auf den Kurs der Aktien von Wendel zuzulassen. Die AMF hält dem entgegen, dass es für die Einstufung einer Information als präzise unerheblich sei, ob sich eine finanzielle Transaktion in einer bestimmten Richtung (positiv oder negativ) auswirke. Entscheidend sei, ob eine Auswirkung auf den Aktienkurs erwartet werde. Die französische Cour de cassation, die mit der Rechtssache in letzter Instanz befasst ist, ersucht den Gerichtshof um Präzisierungen zu dieser Frage.

Durch Informationen muss nicht präzise Richtung der Kursänderung bestimmt werden können

Mit seinem Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass aus dem Wortlaut der Richtlinien nicht hervorgeht, dass präzise Informationen nur solche sein könnten, mit denen sich bestimmen lässt, in welche Richtung sich der Kurs der betreffenden Finan­z­in­strumente ändern würde. Nur vage oder allgemeine Informationen, die keine Schluss­fol­gerung hinsichtlich ihrer möglichen Auswirkung auf den Kurs der betreffenden Finan­z­in­strumente zulassen, können als nicht präzise angesehen werden.

Exakte Einschätzung der Kursrichtung von Finan­z­in­stru­menten ohnehin schwierig

Der Gerichtshof hebt insoweit hervor, dass ein verständiger Anleger seine Anlage­ent­scheidung auf Informationen stützen kann, die es ihm nicht zwangsläufig ermöglichen, eine Änderung des Kurses der betreffenden Finan­z­in­strumente in eine bestimmte Richtung vorherzusehen. Im Übrigen macht die hohe Komplexität der Finanzmärkte eine exakte Einschätzung der Richtung, in die sich die Kurse von Finan­z­in­stru­menten ändern können, besonders schwierig. Könnte eine Information nur dann als präzise angesehen werden, wenn sich mit ihrer Hilfe bestimmen ließe, in welche Richtung sich der Kurs der betreffenden Finan­z­in­strumente ändern wird, dann könnte der Besitzer von Informationen vorgeben, dass insoweit Unsicherheit bestehe, um sich einer Veröf­fent­lichung bestimmter Informationen zu enthalten und so zum Nachteil anderer Marktteilnehmer von ihnen zu profitieren.

Erläuterungen
* Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über Insider-Geschäfte und Markt­ma­ni­pu­lation (ABl. L 96, S. 16).

** Richtlinie 2003/124/EG der Kommission vom 22. Dezember 2003 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6 betreffend die Begriffs­be­stimmung und die Veröf­fent­lichung von Insider-Informationen und die Begriffs­be­stimmung der Markt­ma­ni­pu­lation (ABl. L 339, S. 70).

*** Im Rahmen eines solchen Geschäfts verpflichtet sich eine Partei, bei der es sich im Allgemeinen um ein Kreditinstitut handelt, einem Anleger für einen vereinbarten Zeitraum alle durch einen bestimmten Vermögenswert, den so genannten Basiswert, generierten Erträge zu zahlen. Im Gegenzug zahlt der Anleger dem Kreditinstitut ein Entgelt für die erbrachte Leistung und im Fall eines Wertverlusts des Basiswerts während der Laufzeit des Vertrags einen Betrag in Höhe dieses Verlusts. Diese Vorgehensweise ermöglicht es dem Anleger, von Wertstei­ge­rungen und Erträgen eines Vermögenswerts zu profitieren, ohne ihn erwerben oder veräußern zu müssen. Sie verschafft dem Anleger damit insofern eine bloße „wirtschaftliche Beteiligung“ am Basiswert, als sie für ihn vergleichbare wirtschaftliche Auswirkungen hat wie der Besitz des Basiswerts, ohne dass das Eigentum an diesem übergeht.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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