18.10.2024
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Dokument-Nr. 14431

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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil23.10.2012

Fluggäste haben bei erheblichen Flugver­spä­tungen Anspruch auf Ausgleichs­leistungReisende können bei mindestens drei Stunden Verspätung pauschale Ausgleichs­zahlung verlangen

Fluggäste können bei erheblich verspäteten Flügen eine Ausgleichs­leistung beanspruchen. Erreichen die Fluggäste ihr Endziel drei Stunden oder mehr nach der geplanten Ankunft, können sie vom Luftfahrt­un­ter­nehmen eine pauschale Ausgleichs­zahlung verlangen, es sei denn, die Verspätung ist auf außer­ge­wöhnliche Umstände zurückzuführen. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union und bestätigte damit seine bisherige Rechtsprechung.

Das Unionsrecht* sieht vor, dass Fluggäste im Fall einer Annullierung ihres Fluges eine pauschale Ausgleichszahlung erhalten können, die zwischen 250 Euro und 600 Euro beträgt. Im Urteil Sturgeon vom 19. November 2009 hat der Gerichtshof entschieden, dass die Fluggäste verspäteter Flüge den Fluggästen annullierter Flüge in Bezug auf ihren Anspruch auf Ausgleichsleistung gleichgestellt werden können. Erreichen sie ihr Endziel drei Stunden oder mehr nach der ursprünglich geplanten Ankunftszeit, können sie vom Luftfahrt­un­ter­nehmen eine pauschale Ausgleichs­zahlung verlangen, es sei denn, die Verspätung ist auf außer­ge­wöhnliche Umstände zurückzuführen.

Sachverhalte

Das Amtsgericht Köln (Deutschland) und der High Court of Justice (Vereinigtes Königreich) ersuchen um nähere Angaben zur Tragweite des Urteils Sturgeon. In der einen Rechtssache (C-581/10) ist das deutsche Gericht mit einem Rechtsstreit befasst, in dem Fluggäste gegen das Luftfahrt­un­ter­nehmen Lufthansa klagen, weil ihr Flug gegenüber der ursprünglich geplanten Ankunftszeit um über 24 Stunden verspätet war. In der anderen Rechtssache (C-629/10) haben sich TUI Travel, British Airways, easyJet Airline und die International Air Transport Association (IATA) an die Gerichte des Vereinigten Königreichs gewandt, weil die Civil Aviation Authority (Behörde für die Zivilluftfahrt) sich weigert, ihrem Ersuchen stattzugeben, sie nicht zu Ausgleichs­zah­lungen an Fluggäste verspäteter Flüge zu verpflichten. Zur Begründung hat diese unabhängige Behörde, die über die Einhaltung der Flugver­kehrs­re­gelung im Vereinigten Königreich wacht, ausgeführt, sie sei an das Urteil Sturgeon gebunden.

Verspätete Flüge vergleichbar mit "in letzter Minute" annullierten Flügen

In seinem Urteil bestätigt der Gerichtshof die von ihm im Urteil Sturgeon vorgenommene Auslegung des Unionsrechts. Er weist darauf hin, dass der Grundsatz der Gleich­be­handlung verlangt, die Situation der Fluggäste verspäteter Flüge in Bezug auf die Anwendung ihres Anspruchs auf Ausgleichs­leistung als vergleichbar mit der Situation der Fluggäste anzusehen, deren Flug „in letzter Minute“ annulliert wurde, da sie ähnliche Unannehm­lich­keiten hinnehmen müssen, nämlich einen Zeitverlust.

Bei drei und mehr Stunden Verspätung besteht Anspruch auf Ausgleich­zahlung

Da die Fluggäste annullierter Flüge Anspruch auf eine Ausgleichs­leistung haben, wenn ihr Zeitverlust drei Stunden oder mehr beträgt, entscheidet der Gerichtshof, dass den Fluggästen verspäteter Flüge ebenfalls ein Ausgleichsanspruch zusteht, wenn sie aufgrund einer Verspätung ihres Fluges einen solchen Zeitverlust erleiden, d. h., wenn sie ihr Endziel nicht früher als drei Stunden nach der vom Luftfahrt­un­ter­nehmen ursprünglich geplanten Ankunftszeit erreichen.

Kein Ausgleichs­an­spruch bei Verspätungen aufgrund außer­ge­wöhn­licher Umstände

Mit dem Erlass dieser Rechts­vor­schriften wollte der Unions­ge­setzgeber die jeweiligen Interessen der Fluggäste und der Luftfahrt­un­ter­nehmen zum Ausgleich bringen. Daher begründet eine solche Verspätung keinen Ausgleichs­an­spruch der Fluggäste, wenn das Luftfahrt­un­ter­nehmen nachweisen kann, dass die große Verspätung auf außer­ge­wöhnliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären, also auf Umstände, die von dem Luftfahrt­un­ter­nehmen tatsächlich nicht zu beherrschen sind.

Zeitverlust aufgrund der Verspätung stellt Unannehm­lichkeit und keinen Schaden im Sinne des Übereinkommens von Montreal dar

Der Gerichtshof führt weiter aus, dass das Erfordernis, die Fluggäste verspäteter Flüge zu entschädigen, mit dem Übereinkommen von Montreal** vereinbar ist. Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass der Zeitverlust, der aufgrund der Verspätung eines Fluges entsteht, eine Unannehm­lichkeit darstellt und kein Schaden im Sinne des Übereinkommens von Montreal ist. Die Pflicht zur Zahlung einer Ausgleichs­leistung an die Fluggäste verspäteter Flüge wird infolgedessen nicht vom Geltungsbereich dieses Übereinkommens erfasst und ergänzt die darin vorgesehene Entschä­di­gungs­re­gelung.

Ausgleichs­pflicht mit Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit und Grundsatz der Rechts­si­cherheit vereinbar

Diese Pflicht ist auch mit dem Grundsatz der Rechts­si­cherheit vereinbar, der verlangt, dass den Fluggästen und den Luftfahrt­un­ter­nehmen der jeweilige Umfang ihrer Rechte und Pflichten genau bekannt ist. Die Ausgleichs­pflicht steht ferner mit dem Grundsatz der Verhält­nis­mä­ßigkeit im Einklang, der besagt, dass die Handlungen der Unionsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten dürfen, was zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist, und dass die verursachten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen dürfen. Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass die Ausgleichs­pflicht nicht alle, sondern nur große Verspätungen betrifft. Zudem sind die Luftfahrt­un­ter­nehmen nicht zu einer Ausgleichs­zahlung verpflichtet, wenn sie nachweisen können, dass die Annullierung oder die große Verspätung auf außer­ge­wöhnliche Umstände zurückgeht.

Wirkungen des vorliegenden Urteils sind nicht zeitlich zu begrenzen

Schließlich prüft der Gerichtshof die Anträge der betreffenden Luftfahrt­un­ter­nehmen auf zeitliche Begrenzung der Wirkungen seines Urteils. Diese sind der Ansicht, dass eine Berufung auf das Unionsrecht als Rechtsgrundlage für Klagen von Fluggästen auf Ausgleichs­zahlung für Flüge, die vor dem Tag der Verkündung des vorliegenden Urteils verspätet gewesen seien, nur Fluggästen möglich sein sollte, die bereits vor diesem Tag eine Klage auf Ausgleichs­zahlung erhoben hätten. Darauf antwortet der Gerichtshof, dass die Wirkungen des vorliegenden Urteils nicht zeitlich zu begrenzen sind.

Erläuterungen
* Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unter­stüt­zungs­leis­tungen für Fluggäste im Fall der Nicht­be­för­derung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (ABl. L 46, S. 1).

** Übereinkommen von Montreal zur Verein­heit­lichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr, unterzeichnet am 9. Dezember 1999 und im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt durch den Beschluss 2001/539/EG vom 5. April 2001 (ABl. L 194, S. 38).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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