21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil17.02.2009

EuGH stärkt Flücht­lings­schutz: Subsidiärer Schutz setzt nicht unbedingt den Nachweis einer spezifischen Bedrohung im Herkunftsland vorausFlüchtlinge müssen nicht nachweisen, dass sie persönlich von willkürlicher Gewalt bedroht sind

Wer subsidiären Schutz beantragt, braucht nicht notwendig zu beiweisen, dass er in seinem Herkunftsland aufgrund seiner persönlichen Situation spezifisch bedroht ist. Der Grad willkürlicher Gewalt, der im Herkunftsland des Antragstellers besteht, kann ausnahmsweise für die Feststellung der zuständigen Behörden genügen, dass eine Zivilperson bei ihrer Ausweisung in dieses Land tatsächlich dem Risiko einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wäre. Dies hat der Europäische Gerichtshof entschieden.

Mit der Richtlinie 2004/83/EG wird hauptsächlich bezweckt, dass alle Mitgliedstaaten für die Ermittlung der Personen, die tatsächlich internationalen Schutz benötigen, die gleichen Kriterien anwenden und dass allen diesen Personen in allen Mitgliedstaaten ein Mindestniveau von Leistungen geboten wird.

Kläger beantragten Aufent­halt­s­er­laubnis in den Niederlanden - Behörde lehnte ab

Am 13. Dezember 2006 beantragten die Eheleute Elgafaji eine befristete Aufent­halt­s­er­laubnis in den Niederlanden. Ihren Anträgen waren Unterlagen zum Beweis der tatsächlichen Gefahr beigefügt, der sie bei einer Ausweisung in ihr Herkunftsland Irak ausgesetzt wären. Mit Bescheiden vom 20. Dezember 2006 lehnte der zuständige Minister die Erteilung einer befristeten Aufent­halt­s­er­laubnis für das Ehepaar ab. Nach seiner Meinung hatten Herr und Frau Elgafaji die Umstände, auf die sie sich beriefen, nicht hinreichend belegt und damit nicht nachgewiesen, dass sie in ihrem Herkunftsland tatsächlich der Gefahr einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt wären.

Nieder­län­disches Gericht rief EuGH an

Gegen diese Ablehnung ihrer Anträge klagten die Eheleute Elgafaji vor einem nieder­län­dischen Gericht, der Rechtbank te 's-Gravenhage, die ihren Klagen stattgab. Der als Rechts­mit­te­l­instanz mit dem Verfahren befasste niederländische Raad van State (Staatsrat) ist der Ansicht, dass die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG Probleme der Auslegung aufwerfen, und hat daher dem Gerichtshof Fragen zur Vorab­ent­scheidung vorgelegt. Eine dieser Fragen lautet, ob die einschlägigen Vorschriften der Richtlinie2 dahin auszulegen sind, dass das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person, die den subsidiären Schutz beantragt, voraussetzt, dass der Antragsteller beweist, dass er aufgrund von seiner Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist.

Der Gerichtshof führt dazu aus, dass dieser in der Richtlinie enthaltene Tatbestand eines drohenden Schadens, der in "einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit" des Antragstellers3 besteht, eine Schadensgefahr allgemeinerer Art als die beiden anderen in der Richtlinie definierten Schadensarten4 umfasst, die Situationen betreffen, in denen der Antragsteller spezifisch der Gefahr ausgesetzt ist, einen Schaden ganz bestimmter Art zu erleiden.

Bedrohung des Lebens durch willkürliche Gewalt reicht aus

Der fragliche Tatbestand bezieht sich nämlich in einem weiteren Sinne auf eine Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson statt auf ganz bestimmte Gewalt­ein­wir­kungen. Außerdem ergibt sich laut diesem Tatbestand die Bedrohung aus einer allgemeinen Lage eines "internationalen oder inner­staat­lichen bewaffneten Konflikts". Schließlich wird die fragliche Gewalt, der die Bedrohung entspringt, in der Vorschrift als "willkürlich" gekennzeichnet, was impliziert, dass sie sich auf Personen ungeachtet ihrer persönlichen Situation erstrecken kann.

In diesem Zusammenhang stellt der Gerichtshof klar, dass der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, umso geringer sein wird, je mehr er möglicherweise zu belegen vermag, dass er spezifisch aufgrund von Umständen betroffen ist, die seiner persönlichen Situation innewohnen.

Ferner weist der Gerichtshof darauf hin, dass bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf subsidiären Schutz insbesondere zu berücksichtigen sein können

- das geografische Ausmaß der Situation willkürlicher Gewalt im Herkunftsland des Antragstellers sowie sein tatsächlicher Zielort, wenn er in dieses Land zurückkehren würde, und

- gegebenenfalls das Vorliegen eines ernsthaften Hinweises auf eine tatsächliche Gefahr, die sich daraus ergibt, dass der Antragsteller bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat oder bereits von einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass er erneut von einem solchen Schaden bedroht wäre; liegt ein solcher Hinweis vor, kann der Grad willkürlicher Gewalt, der vorliegen muss, damit der Antragsteller Anspruch auf subsidiären Schutz hat, geringer sein.

EuGH legt die Richtlinie aus

Daher sind die einschlägigen Vorschriften der Richtlinie wie folgt auszulegen:

- Das Vorliegen einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der Person, die die Gewährung des subsidiären Schutzes beantragt, setzt nicht voraus, dass diese Person beweist, dass sie aufgrund von ihrer persönlichen Situation innewohnenden Umständen spezifisch betroffen ist.

- Das Vorliegen einer solchen Bedrohung kann ausnahmsweise als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt nach der Beurteilung der zuständigen nationalen Behörden, die mit einem Antrag auf subsidiären Schutz befasst sind, oder der Gerichte eines Mitgliedstaats ein so hohes Niveau erreicht, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass eine Zivilperson bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder gegebenenfalls in die betroffene Region allein durch ihre Anwesenheit im Gebiet dieses Landes oder dieser Region tatsächlich Gefahr liefe, einer ernsthaften individuellen Bedrohung ausgesetzt zu sein.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 15/09 des EuGH vom 17.02.2009

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