18.10.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil01.12.2011

EuGH: Zoll darf nachgeahmte Waren aus Drittstaaten zurückhaltenVoraussetzung ist, dass nachgeahmte Waren zum Inver­kehr­bringen in der Union bestimmt sind

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die Voraussetzungen erläutert, unter denen Zollbehörden der Mitgliedstaaten aus Drittstaaten stammende Nachahmungen oder Nachbildungen von Waren zurückhalten dürfen, die in der Union durch Rechte des geistigen Eigentums geschützt sind. Befinden sich diese Waren in der Union im Zolllager oder in Durchfuhr, können sie als „nachgeahmte Waren“ oder „unerlaubt hergestellte Waren“ angesehen werden, wenn bewiesen ist, dass sie zum Inver­kehr­bringen in der Union bestimmt sind.

Die beiden Rechtssachen betreffen die Auslegung der unions­recht­lichen Vorschriften über das Tätigwerden der Zollbehörden bei möglichen Verletzungen von Rechten des geistigen Eigentums durch aus Drittstaaten stammende Waren, die sich im Unionsgebiet im externen Versand oder im Zolllager befinden. In diesen so genannten Nicht­er­he­bungs­ver­fahren unterliegen Nicht­ge­mein­schaftswaren weder Einfuhr- noch anderen Abgaben oder handels­po­li­tischen Maßnahmen.

Sachverhalt der Rechtssache C-446/09

Im Jahre 2002 inspizierten die belgischen Zollbehörden eine (mit unbestimmtem Zielort) im Hafen von Antwerpen gelagerte Ladung elektrischer Rasierapparate, die aus Shanghai (China) stammten und von Philips entwickelten Modellen von Rasierapparaten ähnelten. Diese Modelle waren durch Eintragungen geschützt, die Philips in mehreren Mitgliedstaaten, darunter auch im Königreich Belgien, ein ausschließ­liches Recht des geistigen Eigentums gewährten. Da die Zollbehörden vermuteten, dass es sich um „unerlaubt hergestellte Waren“ handele, hielten sie diese zurück.

Firma Philipps verlangt Schadensersatz und Zerstörung der vom Zoll zurück­ge­haltenen Ware

Philips erhob vor der Rechtbank van eerste aanleg te Antwerpen (Amtsgericht Antwerpen) Klage gegen die an der Herstellung, dem Vertrieb und der Verschiffung der Rasierapparate beteiligten Unternehmen, nämlich Lucheng, Far East Sourcing und Röhlig. Philips beantragte insbesondere die Feststellung, dass diese Unternehmen das ihr für ihre Modelle zustehende Ausschließ­lich­keitsrecht verletzt hätten, und begehrt u. a. Schadensersatz sowie die Zerstörung der zurück­ge­haltenen Waren.

Sachverhalt der Rechtssache C-495/09

Im Juli 2008 inspizierten die Zollbehörden des Vereinigten Königreichs (HM Revenue & Customs, im Folgenden: HMRC) am Londoner Flughafen Heathrow eine aus Hong Kong (China) stammende und für Kolumbien bestimmte Ladung Mobiltelefone mit Zubehör. Diese Waren trugen ein mit der Marke Nokia identisches Zeichen. Da HMRC vermutete, dass es sich um nachgeahmte Waren handele, sandte sie Proben an Nokia, die dies bestätigte und die Zurückhaltung der Waren beantragte.

Nationales Gericht erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH zur Zulässigkeit des Zurückhaltens der nachgeahmten Waren

Diesen Antrag lehnte HMRC jedoch mit der Begründung ab, dass Waren, die von einem Drittstaat in einen anderen durchgeführt würden, nicht „nachgeahmten Waren“ im Sinne des Unions­rechts­gleich­ge­stellt und folglich nicht zurückgehalten werden könnten. Gegen diese Ablehnung der Zurückhaltung erhob Nokia Klage vor den Gerichten des Vereinigten Königreichs. Mit ihren Vorlagefragen möchten die Rechtbank van eerste aanleg te Antwerpen und der Court of Appeal (England & Wales), Civil Division, wissen, ob Waren, die aus einem Drittstaat stammen und sich im Unionsgebiet in Durchfuhr oder in einem Zolllager befinden, allein deswegen als „nachgeahmte Waren“ oder „unerlaubt hergestellte Waren“ im Sinne des Unionsrechts angesehen werden können, weil sie in das Zollgebiet der Union verbracht wurden, ohne dort vermarktet zu werden.

Rechts­ver­letzung möglich, wenn nachgeahmte Ware in Mitgliedsstaat zum Verkauf angeboten werden soll

In seinem Urteil prüft der Gerichtshof zunächst die Voraussetzungen der vorläufigen Zurückhaltung von Waren, die in ein Nicht­er­he­bungs­ver­fahren überführt worden sind. Der Gerichtshof erinnert daran, dass in ein Nicht­er­he­bungs­ver­fahren überführte Waren nicht allein aufgrund dieser Überführung in der Union geltende Rechte des geistigen Eigentums verletzen können. Dagegen können diese Rechte verletzt sein, wenn aus Drittstaaten stammende Waren während ihrer Überführung in ein Nicht­er­he­bungs­ver­fahren im Zollgebiet der Union oder sogar vor ihrer dortigen Ankunft Gegenstand einer an die Verbraucher in der Union gerichteten geschäftlichen Handlung wie eines Verkaufs, eines Feilbietens oder einer Werbung sind. Außer dem Vorliegen einer solchen geschäftlichen Handlung können auch andere Umstände zu einer vorläufigen Zurückhaltung durch die Zollbehörden der Mitgliedstaaten führen. So kann die Zollbehörde, die das Vorhandensein von Waren im Zolllager oder Versand feststellt, die ein in der Union durch ein Recht des geistigen Eigentums geschütztes Produkt nachahmen oder nachbilden, ordnungsgemäß tätig werden, wenn sie über Anhaltspunkte dafür verfügt, dass einer oder mehrere der an der Herstellung, dem Versand und dem Vertrieb der Waren beteiligten Marktteilnehmer zwar noch nicht damit begonnen haben, diese Waren Verbrauchern in der Union zuzuleiten, aber dies zu tun im Begriff stehen oder ihre Handels­ab­sichten verschleiern.

Verdacht muss sich immer aus den Umständen des Einzelfalls ergeben

Solche Anhaltspunkte können insbesondere liegen in der Nichtangabe der Bestimmung der Waren, obwohl das beantragte Nicht­er­he­bungs­ver­fahren eine entsprechende Erklärung verlangt, dem Fehlen genauer oder verlässlicher Informationen über die Identität oder die Anschrift des Herstellers oder des Versenders der Waren, einer mangelnden Zusammenarbeit mit den Zollbehörden oder auch dem Auffinden von Unterlagen oder Schriftverkehr, die die fraglichen Waren betreffen und vermuten lassen, dass ihre Umleitung zu den Verbrauchern in der Union eintreten kann. Ein solcher Verdacht muss sich immer aus den Umständen des Einzelfalls ergeben.

Waren, die nicht zum Inver­kehr­bringen in der Union bestimmt sind, sind nicht als „nachgeahmte Waren“ anzusehen

Weiter erläutert der Gerichtshof die Gesichtspunkte, über die sich die zuständigen Stellen Aufschluss verschaffen müssen, um überprüfen zu können, ob bereits zurückgehaltene Waren Rechte des geistigen Eigentums in der Union tatsächlich verletzen. Insoweit betont Gerichtshof, dass Waren, von denen auch nach Prüfung in der Sache nicht erwiesen ist, dass sie zum Inver­kehr­bringen in der Union bestimmt sind, nicht als „nachgeahmte Waren“ und als „unerlaubt hergestellte Waren“ angesehen werden können. Bestimmte Gesichtspunkte erlauben den Nachweis einer solchen Rechts­ver­letzung, so insbesondere ein Verkauf der Waren an einen Kunden in der Union, eine an Verbraucher in der Union gerichtete Verkaufsofferte oder Werbung oder auch Unterlagen oder Schriftverkehr über die Waren, aus denen sich ergibt, dass ihre Umleitung zu den Verbrauchern in der Union beabsichtigt ist.

Waren dürfen bei Gefahr für Gesundheit und Sicherheit beschlagnahmt werden

Schließlich stellt der Gerichtshof klar, dass bei mangelndem Nachweis einer Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums Waren, die in der Union in ein Nicht­er­he­bungs­ver­fahren überführt wurden, gegebenenfalls unter anderen im Zollkodex der Union festgelegten Voraussetzungen beschlagnahmt werden können, so insbesondere dann, wenn von ihnen eine Gefahr für die Gesundheit und Sicherheit ausgeht.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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