23.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil02.06.2016

Im EU-Ausland angenommener Nachname mit Adels­be­stand­teilen muss in Deutschland nicht anerkannt werdenAnerkennung kann zur Sicherstellung der Gleichheit aller deutschen Staatsbürger vor dem Gesetz verweigert werden

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass ein Nachname, der mehrere Adels­be­standteile enthält und von einem Deutschen in einem anderen Mitgliedstaat, dessen Angehörigkeit der Betroffene ebenfalls besitzt, frei gewählt wurde, in Deutschland nicht zwangsläufig anerkannt werden muss. Die Anerkennung kann verweigert werden, wenn dies geeignet und erforderlich ist, um die Gleichheit aller deutschen Staatsbürger vor dem Gesetz sicherzustellen.

Dem Verfahren lag folgender Sachverhalt zugrunde: Herr Nabiel Peter Bogendorff von Wolffersdorff ("Nabiel Peter" sind die Vornamen, "Bogendorff von Wolffersdorff" der Nachname) wurde im Jahr 1963 in Deutschland geboren. Bei seiner Geburt erhielt er den Vornamen "Nabiel" und den Nachnamen "Bagadi". Im Anschluss an ein Verwal­tungs­ver­fahren zur Namensänderung hieß er Nabiel Peter Bogendorff. Danach erhielt er im Wege der Adoption den Namen Nabiel Peter Bogendorff von Wolffersdorff. Während eines Aufenthalts in Großbritannien von 2001 bis 2005, bei dem er als Insol­venz­berater in London arbeitete, erhielt er zusätzlich zu seiner deutschen Staats­an­ge­hö­rigkeit die britische Staats­an­ge­hö­rigkeit und ließ seine Vornamen und seinen Nachnamen in Peter Mark Emanuel Graf von Wolffersdorff Freiherr von Bogendorff ("Peter Mark Emanuel" sind die Vornamen und "Graf von Wolffersdorff Freiherr von Bogendorff" der Nachname) ändern. Diese Änderung erfolgte gemäß britischem Recht durch Erklärung ("deed poll") gegenüber den Dienststellen des Supreme Court of England and Wales (Oberster Gerichtshof von England und Wales, Vereinigtes Königreich), auf die eine Veröf­fent­lichung in "The London Gazette" folgte. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland begehrte er vom Standesamt der Stadt Karlsruhe die Eintragung dieser Änderung und die Aufnahme seines nach britischem Recht erworbenen neuen Namens in die Register. Da das Standesamt dies ablehnte, wandte sich Herr Bogendorff von Wolffersdorff an das Amtsgericht Karlsruhe, das vom Gerichtshof der Europäischen Union wissen möchte, ob das Unionsrecht einer solchen Ablehnung der Anerkennung entgegensteht.

Beschränkung der Freizügigkeit der Unionsbürger

Mit seinem Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass die Weigerung der Behörden eines Mitgliedstaats, die Vor- und Nachnamen eines Angehörigen dieses Mitgliedstaats so anzuerkennen, wie sie in einem anderen Mitgliedstaat, dessen Angehörigkeit der Betroffene ebenfalls besitzt, bestimmt und eingetragen wurden, eine Beschränkung der Freizügigkeit der Unionsbürger darstellt.

So läuft Herr Bogendorff von Wolffersdorff im vorliegenden Fall Gefahr, aufgrund der Verschiedenheit seiner Namen Zweifel an der Identität seiner Person ausräumen zu müssen. Während er nämlich nach den deutschen Perso­nen­stands­büchern und Ausweisen "Nabiel Peter Bogendorff von Wolffersdorff" heißt, wird er in seinem britischen Reisepass und seiner britischen Fahrerlaubnis als "Peter Mark Emanuel Graf von Wolffersdorff Freiherr von Bogendorff" geführt. Darüber hinaus läuft Herr Bogendorff von Wolffersdorff Gefahr, auf Schwierigkeiten zu stoßen, wenn es darum geht, seine verwandt­schaftliche Beziehung zu seiner minderjährigen Tochter zu belegen, die sowohl nach ihrem britischen als auch nach ihrem deutschen Reisepass "Larissa Xenia Gräfin von Wolffersdorff Freiin von Bogendorff" heißt. (Die Tochter von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff wurde im Jahr 2006 in Deutschland geboren und besitzt ebenfalls die Doppel­staats­an­ge­hö­rigkeit. Im Jahr 2011 wies das Oberlan­des­gericht Dresden das Standesamt der Stadt Chemnitz an, im Perso­nen­stands­re­gister den Namen einzutragen, der in der von den britischen Konsu­l­a­r­be­hörden in Düsseldorf ausgestellten Geburtsurkunde geschrieben steht.)

Beschränkung kann zur Sicherstellung der Gleichheit aller deutschen Staatsbürger gerechtfertigt sei

Da jedoch die Weimarer Verfassung von 1919 in Deutschland die Vorrechte und die Adelstitel aufgehoben hat (die einschlägige Bestimmung gilt kraft des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland von 1949 fort und nimmt in der Normen­hi­er­archie den Rang einfachen Bundesrechts ein) und die Schaffung von Titeln, die den Anschein einer adeligen Herkunft erwecken, verbietet, damit die Gleichheit aller deutschen Staatsbürger vor dem Gesetz sichergestellt ist, stellt der Gerichtshof fest, dass eine solche Beschränkung mit Erwägungen der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt werden kann.

Der Gerichtshof weist insoweit darauf hin, dass die vor der Weimarer Republik existierenden Adels­be­zeich­nungen zwar als solche aufgehoben, aber als Namens­be­standteile beibehalten wurden, so dass es nach wie vor deutsche Staatsbürger gibt, deren Namen Bestandteile enthalten, die alten Adels­be­zeich­nungen entsprechen. Allerdings liefe es der Absicht des deutschen Gesetzgebers zuwider, wenn deutsche Staats­an­ge­hörige die aufgehobenen Adels­be­zeich­nungen neuerlich annähmen, indem sie sich das Recht eines anderen Mitgliedstaats zunutze machten. Eine systematische Anerkennung von Namen­s­än­de­rungen wie der im vorliegenden Fall in Rede stehenden könnte aber zu diesem Ergebnis führen.

Mitglieds­s­taaten sind nicht immer zur Anerkennung des fraglichen Nachnamens verpflichtet

Der Gerichtshof antwortet dem Amtsgericht Karlsruhe deshalb, dass, wenn ein Angehöriger eines Mitgliedstaats auch die Angehörigkeit eines anderen Mitgliedstaats besitzt, in dem er einen Namen erworben hat, den er frei gewählt hat und der mehrere nach dem Recht des erstgenannten Mitgliedstaats nicht zulässige Adels­be­standteile enthält, die Behörden dieses erstgenannten Staates nicht zur Anerkennung des fraglichen Nachnamens verpflichtet sind, wenn – was zu überprüfen dem Amtsgericht zukommt – erwiesen ist, dass eine solche Ablehnung der Anerkennung in diesem Zusammenhang insoweit aus Gründen der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt ist, als sie geeignet und erforderlich ist, um sicherzustellen, dass der Grundsatz der Gleichheit aller Bürger des betreffenden Mitgliedstaats vor dem Gesetz gewahrt wird. Dagegen können nach den Ausführungen des Gerichtshofs weder die Grundsätze der Unver­än­der­lichkeit und der Kontinuität des Namens noch der bloße Umstand, dass die Namensänderung von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff ausgegangen ist, die Ablehnung der Anerkennung rechtfertigen. Das Gleiche gilt für das Ziel der Vermeidung übermäßig langer oder zu komplizierter Nachnamen.

Amtsgericht muss bei Abwägung verschiedene berechtigte Belange berücksichtigen

Bei der Abwägung zwischen den verschiedenen berechtigten Belangen wird das Amtsgericht berücksichtigen müssen, dass Herr Bogendorff von Wolffersdorff sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat und sowohl die deutsche als auch die britische Staats­an­ge­hö­rigkeit besitzt, dass die Bestandteile des im Vereinigten Königreich erworbenen Namens, der die deutsche öffentliche Ordnung beeinträchtigen soll, formell weder in Deutschland noch im Vereinigten Königreich Adels­be­zeich­nungen darstellen und dass das Oberlan­des­gericht Dresden nicht der Ansicht war, dass die Eintragung des Namens der Tochter von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff gegen die öffentliche Ordnung verstoße.

Andererseits wird das Amtsgericht auch berücksichtigen müssen, dass die fragliche Namensänderung auf einer Entscheidung aus rein persönlichen Gründen von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff beruht, dass die daraus folgende Namen­s­ab­weichung weder auf die Umstände der Geburt von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff noch auf eine Adoption und auch nicht auf den Erwerb der britischen Staats­an­ge­hö­rigkeit zurückgeht und dass der im Vereinigten Königreich gewählte Name Bestandteile enthält, die, ohne in Deutschland oder im Vereinigten Königreich formell Adels­be­zeich­nungen darzustellen, den Anschein einer adeligen Herkunft erwecken (vgl. Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil v. 14.10.2008 - C-353/06 - und Gerichtshof der Europäischen Union, Urteil v. 22.12.2010 - C-208/09 -)

Änderung der Vornamen sind anzuerkennen

Der Gerichtshof betont auch noch, dass jedenfalls die öffentliche Ordnung und der Grundsatz der Gleichheit der deutschen Staats­an­ge­hörigen vor dem Gesetz es nicht rechtfertigen können, dass der Änderung der Vornamen von Herrn Bogendorff von Wolffersdorff die Anerkennung verweigert wird.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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