21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil14.03.2013

Staat haftet nicht für reinen Vermö­gens­schaden wegen Unterlassens einer Umwelt­ver­träg­lich­keits­prüfungUnterlassen einer Umwelt­ver­träg­lich­keits­prüfung unter Verstoß gegen die Richtlinie rechtfertigt keinen Ersatzanspruch

Das Unterlassen einer Umwelt­ver­träg­lich­keits­prüfung unter Verletzung des Unionsrechts löst als solches grundsätzlich keine Haftung des Staats für einen reinen Vermö­gens­schaden aus. Diese Haftung kann jedoch ausgelöst werden, wenn das nationale Gericht insbesondere zu dem Ergebnis kommt, dass ein unmittelbarer Kausa­l­zu­sam­menhang zwischen der Unterlassung und dem erlittenen Schaden, wie der Wertminderung einer Liegenschaft durch die Erweiterung eines Flughafens, vorliegt. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

Dem vorzuliegenden Fall liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Der Flughafen Wien wurde seit dem Beitritt der Republik Österreich zur Europäischen Union im Jahr 1995 mehrmals ausgebaut und erweitert, ohne dass diese Projekte vorab einer Umweltverträglichkeitsprüfung unterzogen worden wären. Während der Arbeiten wohnte Frau Leth bereits in einem ihr gehörenden Haus in der Sicherheitszone dieses Flughafens. Vor den öster­rei­chischen Gerichten erhob sie Klage gegen den öster­rei­chischen Staat und das Land Nieder­ös­terreich. Sie verlangte als Schadenersatz die Zahlung von 120.000 Euro wegen der Minderung des Werts ihres Hauses, die insbesondere durch den Fluglärm verursacht worden sei. Außerdem beantragte sie die Feststellung der Haftung des Staates und des Landes für zukünftige Schäden. Sie stützt diese Anträge u. a. auf einen Verstoß gegen die Richtlinie 85/337, die eine Umwelt­ver­träg­lich­keits­prüfung für öffentliche und private Projekte vorsieht, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist. Der österreichische Oberste Gerichtshof, der diesen Rechtsstreit in letzter Instanz zu entscheiden hat, möchte wissen, ob die Pflicht der zuständigen nationalen Behörden, eine Umwelt­ver­träg­lich­keits­prüfung vorzunehmen, die betroffenen Einzelnen vor reinen Vermö­gens­schäden schützen kann, die durch ein Projekt verursacht worden sind, das einer solchen Prüfung nicht unterzogen wurde.

Vermö­gens­schäden vom Schutzzweck der Richtlinie umfasst

Nach dem Urteil des Gerichtshofs vom heutigen Tag hat die Umwelt­ver­träg­lich­keits­prüfung – soweit die Richtlinie eine solche Prüfung eines Projekts wie des Ausbaus und der Erweiterung eines Flughafens fordert –, wenn dieses Projekt die Nutzung einer Liegenschaft betrifft, die unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen von Lärm auf den Menschen zu identifizieren, zu beschreiben und zu bewerten. Jedoch erstreckt sich die Bewertung nicht auf den Wert der betreffenden Liegenschaft, da sie die Auswirkungen des Projekts auf den Wert von Sachgütern nicht einschließt. Desungeachtet sind Vermö­gens­schäden, soweit sie die unmittelbaren wirtschaft­lichen Folgen von Auswirkungen des Projekts auf die Umwelt sind, vom Schutzzweck der Richtlinie umfasst.

Minderung des Vermögenswerts des Hauses kann unmittelbare wirtschaftliche Folge sein

Somit kann unter Umständen, unter denen eine Lärmexposition als Folge eines Projekts erhebliche Auswirkungen auf den Menschen hat – wenn sich ein von diesem Lärm betroffenes Haus, das zu Wohnzwecken genutzt wird, hierdurch für seine Funktion weniger eignet und die Umwelt­be­din­gungen des Menschen, seine Lebensqualität sowie möglicherweise seine Gesundheit betroffen sind –, eine Minderung des Vermögenswerts dieses Hauses eine unmittelbare wirtschaftliche Folge solcher Auswirkungen auf die Umwelt sein, was im Einzelfall zu prüfen ist.

Kausa­l­zu­sam­menhang eine Voraussetzung für Entschä­di­gungs­an­spruch

Neben der Überprüfung, dass die unions­rechtliche Norm, gegen die verstoßen worden ist, die Verleihung von Rechten an die Geschädigten bezweckt – was im vorliegenden Fall festgestellt wurde – und dass der Verstoß gegen diese Norm hinreichend qualifiziert ist, stellt das Vorliegen eines unmittelbaren Kausa­l­zu­sam­menhangs zwischen dem fraglichen Verstoß und den entstandenen Schäden eine unerlässliche Voraussetzung für den Entschä­di­gungs­an­spruch dar, wobei es den nationalen Gerichten obliegt, entsprechend den vom Gerichtshof entwickelten Leitlinien zu überprüfen, ob dieser Kausalzusammenhang vorliegt.

Richtlinie untersagt nicht die Durchführung von Projekten, die nachteilige Umwelt­aus­wir­kungen haben können

In diesem Zusammenhang weist der Gerichtshof darauf hin, dass die Richtlinie zwar eine Umwelt­ver­träg­lich­keits­prüfung bei einem öffentlichen oder privaten Projekt vorschreibt, aber keine materi­ell­recht­lichen Vorschriften über die Abwägung von Umwelt­aus­wir­kungen mit anderen Faktoren enthält. Sie untersagt auch nicht die Durchführung von Projekten, die nachteilige Umwelt­aus­wir­kungen haben können.

Staat ist nicht zur Haftung verpflichtet

Dementsprechend verleiht das Unterlassen einer Umwelt­ver­träg­lich­keits­prüfung unter Verstoß gegen die Richtlinie als solches einem Einzelnen noch keinen Anspruch auf Ersatz eines reinen Vermö­gens­schadens, der durch die von Umwelt­aus­wir­kungen des Projekts verursachte Minderung des Werts seiner Liegenschaft entstanden ist. Diese Feststellung ergibt sich aus dem Unionsrecht und gilt unbeschadet weniger einschränkender nationaler Rechts­vor­schriften im Bereich der Haftung des Staats.

Es ist jedoch Sache des nationalen Gerichts, zu prüfen, ob die Anforderungen des Unionsrechts, die für den Entschä­di­gungs­an­spruch gelten, u. a. das Vorliegen eines unmittelbaren Kausa­l­zu­sam­menhangs zwischen dem behaupteten Verstoß und den erlittenen Schäden, erfüllt sind.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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