21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil10.05.2012

Fair-Trade: Öffentlicher Auftraggeber darf bei Lieferungen grundsätzlich Erzeugnisse aus ökologischer Landwirtschaft oder fairem Handel fordernBedingungen und Modalitäten eines Verga­be­ver­fahrens müssen dabei klar, präzise und eindeutig in der Verga­be­be­kannt­machung oder dem Lastenheft formuliert werden

Das Unionsrecht steht einem öffentlichen Auftrag, für den der öffentliche Auftraggeber verlangt oder wünscht, dass bestimmte zu liefernde Erzeugnisse aus ökologischer Landwirtschaft oder fairem Handel stammen, nicht grundsätzlich entgegen. Der öffentliche Auftraggeber muss jedoch insbesondere detaillierte Spezifikationen verwenden, anstatt auf Umwelt­gü­te­zeichen oder bestimmte Gütezeichen Bezug zu nehmen. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Das niederländische privat­rechtliche Gütezeichen EKO wird für Erzeugnisse vergeben, die zu mindestens 95 % aus ökologisch erzeugten Zutaten bestehen. Es wird von einer Stiftung des nieder­län­dischen Zivilrechts verwaltet, deren Ziel es ist, die ökologische Landwirtschaft zu fördern. Das Gütezeichen MAX HAVELAAR ist ebenfalls ein privat­recht­liches Gütezeichen, das von einer Stiftung des nieder­län­dischen Zivilrechts nach den von einer internationalen Dachor­ga­ni­sation, der Fairtrade Labelling Organisation, aufgestellten Normen verwaltet wird. Es wird in mehreren Ländern, darunter die Niederlande, verwendet. Es soll den Handel mit Erzeugnissen aus fairem Handel fördern und zertifiziert, dass die mit ihm versehenen Erzeugnisse zu einem fairen Preis und zu fairen Bedingungen von aus Kleinerzeugern in Entwick­lungs­ländern bestehenden Organisationen erworben worden sind.

Provinz Nord-Holland lässt verlauten, bei vergleichbaren oder identischen Kriterien auch andere Gütezeichen zu akzeptieren

Im August 2008 veröffentlichte die Provinz Nord-Holland (Niederlande) eine Bekanntmachung über die Vergabe eines öffentlichen Auftrags für die Lieferung und Bewirtschaftung von Kaffeeautomaten. In dieser Bekanntmachung wurde hervorgehoben, dass die Provinz Wert auf eine vermehrte Verwendung von ökologischen und Fair-Trade-Erzeugnissen in Kaffeeautomaten legte. Zudem war genauer angegeben, dass „die Provinz Nord-Holland beim Kaffee- und Teeverzehr das MAX HAVELAAR- und das EKO-Gütezeichen verwendet“ und dass andere Zutaten als Kaffee oder Tee wie Milch, Zucker und Kakao diesen beiden Gütezeichen entsprechen sollten. Wenig später wurde in einer Infor­ma­ti­o­ns­mit­teilung erläutert, dass andere Gütezeichen auch akzeptiert würden, „solange die Kriterien vergleichbar oder identisch sind“.

Europäische Kommission erhebt Klage wegen Vertrags­ver­let­zungen

Aufgrund dessen hat die Europäische Kommission eine Vertrags­ver­let­zungsklage gegen die Niederlande erhoben und einen Verstoß gegen die Richtlinie über die Vergabe öffentlicher Aufträge* geltend gemacht. Die Kommission wirft der Provinz insbesondere vor, in den technischen Spezifikationen (die den Gegenstand des Auftrags festlegen) die Gütezeichen EKO und MAX HAVELAAR oder jedenfalls auf vergleichbaren oder denselben Kriterien beruhende Gütezeichen vorgeschrieben zu haben.

EKO-Gütezeichen stellt Umwelt­gü­te­zeichen im Sinne der Richtlinie dar

Hierzu weist der Gerichtshof darauf hin, dass technische Spezifikationen in Form von Leistungs- oder Funkti­o­ns­an­for­de­rungen formuliert werden können, die Umweltei­gen­schaften umfassen können. Das EKO-Gütezeichen stellt, soweit es auf „Umweltei­gen­schaften“ beruht und die in der Richtlinie aufgezählten Voraussetzungen erfüllt, ein Umwelt­gü­te­zeichen im Sinne der Richtlinie dar. Indem die Provinz Nord-Holland vorgeschrieben hat, dass bestimmte zu liefernde Erzeugnisse mit einem bestimmten Umwelt­gü­te­zeichen versehen sind, anstatt die für dieses Umwelt­gü­te­zeichen festgelegten detaillierten Spezifikationen zu verwenden, hat sie jedoch eine mit der Richtlinie unvereinbare technische Spezifikation aufgestellt. Die Anforderung in Bezug auf das MAX HAVELAAR-Gütezeichen ist nach ihrem Gegenstand keine technische Spezifikation, sondern eine Bedingung für die Auftrags­aus­führung. Der Gerichtshof weist daher die Rüge der Kommission insoweit zurück, ohne zu prüfen, ob diese Bedingung richt­li­ni­en­konform formuliert wurde.

Öffentlicher Auftraggeber darf Zuschlags­kri­terien wählen, die auf Umwelt- oder soziale Aspekte gestützt sind

Sodann wirft die Kommission der Provinz vor, ein Zuschlags­kri­terium (das dazu dient, das aus der Sicht des öffentlichen Auftraggebers wirtschaftlich günstigste Angebot zu ermitteln) aufgestellt zu haben, wonach die anderen zu liefernden Zutaten als Tee und Kaffee mit den Gütezeichen EKO oder MAX HAVELAAR ausgestattet sein müssten. In diesem Zusammenhang hebt der Gerichtshof hervor, dass nach der Richtlinie öffentliche Auftraggeber Zuschlags­kri­terien wählen dürfen, die auf Umwelt- oder soziale Aspekte gestützt sind. Die sozialen Aspekte können die Nutzer oder Nutznießer der Bauleistungen, Lieferungen oder Dienst­leis­tungen, die Gegenstand des Auftrags sind, aber auch andere Personen betreffen. Aus der Fassung des streitigen Zuschlags­kri­teriums ergibt sich im Übrigen, dass dieses ausschließlich die im Rahmen des Auftrags zu liefernden Zutaten betraf und keine Auswirkung auf die allgemeine Einkaufspolitik der Bieter hatte. Mithin bezog sich dieses Kriterium auf Erzeugnisse, deren Lieferung ein Teil des Gegenstands des fraglichen Auftrags war. Grundsätzlich steht somit einem Zuschlags­kri­terium, das darauf abstellt, dass ein Erzeugnis fair gehandelt worden ist, nichts entgegen.

Provinz stellt ein mit der Richtlinie unvereinbares Zuschlags­kri­terium auf

Zur Art und Weise, in der solche Zuschlags­kri­terien formuliert werden können, führt der Gerichtshof aus, dass die Bestimmungen der Richtlinie über die Verwendung eines Umwelt­gü­te­zeichens im Rahmen der Formulierung einer technischen Spezifikation relevante Hinweise enthalten. Der Unions­ge­setzgeber hat den öffentlichen Auftraggebern gestattet, die einem Umwelt­gü­te­zeichen zugrunde liegenden Kriterien anzuwenden, um bestimmte Eigenschaften eines Erzeugnisses vorzuschreiben. Er gestattet es jedoch nicht, aus einem Umwelt­gü­te­zeichen eine technische Spezifikation zu machen. Das Umwelt­gü­te­zeichen kann nur herangezogen werden, um die Vermutung zu begründen, dass die mit ihm versehenen Erzeugnisse die so definierten Eigenschaften erfüllen; dabei bleibt jedes andere geeignete Beweismittel ausdrücklich vorbehalten. Indem die Provinz im Rahmen der Auswahl des wirtschaftlich günstigsten Angebots für bestimmte Erzeugnisse, die mit bestimmten Gütezeichen versehen sind, eine Anzahl von Punkten vergeben hat, anstatt die Kriterien, die diesen Gütezeichen zugrunde liegen, aufzuführen und zuzulassen, dass der Nachweis, dass ein Erzeugnis diesen Kriterien genügt, durch jedes andere geeignete Beweismittel erbracht werden kann, hat sie ein mit der Richtlinie unvereinbares Zuschlags­kri­terium aufgestellt.

Provinz Nord-Holland stellt nicht erlaubte Minde­st­an­for­derung an technische Leistungs­fä­higkeit auf

Schließlich macht die Kommission geltend, dass die Anforderung, mit der dem Zuschlags­emp­fänger aufgegeben worden sei, die „Kriterien der Nachhaltigkeit der Einkäufe“ und des „gesell­schaftlich verant­wort­lichen Verhaltens“ einzuhalten, gegen die Richtlinie verstoße. Der Gerichtshof stellt fest, dass die Provinz Nord-Holland eine nicht erlaubte Minde­st­an­for­derung an die technische Leistungs­fä­higkeit aufgestellt hat, indem sie im Lastenheft diese Bedingungen vorgeschrieben hat.

Erforderliche Maß an Klarheit, Präzision und Eindeutigkeit des Verga­be­ver­fahrens nicht eingehalten

Ferner weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Grundsatz der Transparenz bedeutet, dass alle Bedingungen und Modalitäten des Verga­be­ver­fahrens klar, präzise und eindeutig in der Verga­be­be­kannt­machung oder dem Lastenheft formuliert werden. Damit können zum einen alle gebührend informierten und mit der üblichen Sorgfalt handelnden Bieter die genaue Bedeutung dieser Bedingungen und Modalitäten verstehen und sie in gleicher Weise auslegen, und zum anderen kann der Auftraggeber tatsächlich überprüfen, ob die Angebote der Bieter die für den betreffenden Auftrag geltenden Kriterien erfüllen. Der Gerichtshof stellt fest, dass Anforderungen an die Einhaltung der „Kriterien der Nachhaltigkeit der Einkäufe und des gesell­schaftlich verant­wort­lichen Verhaltens“ sowie die Verpflichtung, „zur Verbesserung der Nachhaltigkeit des Kaffeemarkts und zu einer umwelttechnisch, sozial und wirtschaftlich verant­wort­lichen Kaffee­pro­duktion beizutragen“, nicht das erforderliche Maß an Klarheit, Präzision und Eindeutigkeit aufweisen.

Daher entscheidet der Gerichtshof, dass die Niederlande ihren Verpflichtungen aus der Richtlinie über die Vergabe öffentlicher Aufträge nicht nachgekommen sind.

Erläuterungen

* Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienst­leis­tungs­aufträge (ABl. L 134, S. 114, und Berichtigung, ABl. 2004, L 351, S. 44).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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