21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil03.07.2014

Italienische Rechts­vor­schriften zur mehrfachen Befristung von Arbeits­ver­trägen für Seeleute mit dem EU-Recht vereinbarFestgelegte Sanktion im Fall des missbräuch­lichen Handelns genügen Anforderungen an Rahmen­ver­ein­barung über befristete Arbeitsverträge

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass die italienischen Rechts­vor­schriften für die Befristung von Arbeitsverträge von Seeleuten den Grundsätzen des Unionsrechts genügen, indem sie eine Höchstdauer von einem Jahr für aufein­an­der­folgende befristete Arbeitsverträge festlegen und eine Sanktion im Fall der missbräuch­lichen Verwendung solcher Verträge vorsehen. Die nationalen Gerichte müssen jeden Einzelfall prüfen, um sich zu vergewissern, dass solche Verträge von den Arbeitgebern nicht missbräuchlich verwendet werden.

In Italien unterliegen die Arbeitsverträge von Seeleuten dem Codice della navigazione (Gesetzbuch über die Seeschifffahrt und Luftfahrt). Dieses Gesetzbuch legt die Höchstdauer von befristeten Arbeits­ver­trägen auf ein Jahr fest und verlangt die Angabe des Anfangs­zeit­punkts und der Dauer des Vertrags. Für den Fall, dass mehrere Verträge für eine bestimmte Dauer oder für genau bezeichnete Reisen geschlossen werden, wird die Arbeit als ununterbrochen angesehen, wenn zwischen den beiden Verträgen höchstens 60 Tage liegen. Diese Arbeits­ver­hältnisse unterliegen somit nicht den Vorschriften, die speziell erlassen wurden, um die Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge umzusetzen. Diese Rahmen­ver­ein­barung, die zwischen den allgemeinen branchen­über­grei­fenden Organisationen geschlossen wurde*, stellt die allgemeinen Grundsätze und Minima­l­vor­schriften über befristete Arbeit auf und legt einen allgemeinen Rahmen fest, der die Gleich­be­handlung befristet beschäftigter Arbeitnehmer sicherstellen soll.

Sachverhalt

Herr Maurizio Fiamingo, Herr Leonardo Zappalà, Herr Francesco Rotondo und die anderen Kläger des Ausgangs­ver­fahrens sind im Seemanns­re­gister eingetragene Seeleute. Nach dem Jahr 2001 wurden sie von Rete Ferroviaria Italiana (RFI) auf der Grundlage aufein­an­der­fol­gender befristeter Arbeitsverträge angeheuert, die für eine oder mehrere Reisen und für höchstens 78 Tage geschlossen wurden. Die betreffenden Seeleute gingen auf Fähren an Bord, um Fahrten zwischen Sizilien und Kalabrien (Messina/Villa San Giovanni, Messina/Reggio Calabria) durchzuführen. Sie arbeiteten mindestens ein Jahr lang für RFI, wobei zwischen zwei Verträgen jedesmal ein Zeitraum von weniger als 60 Tagen lag.

Kläger halten Kündigung ihrer Arbeitsverträge für rechtswidrig

Da sie der Ansicht waren, dass ihre Arbeitsverträge rechtswidrig gekündigt worden seien, klagten die genannten Seeleute vor einem italienischen Gericht auf Nichti­g­er­klärung der Verträge und auf deren Umwandlung in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Außerdem verlangten sie ihre Wieder­ein­stellung und Schadensersatz.

Nationales Gericht erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH über Zulässigkeit der nationalen Rechts­vor­schriften

Die letzt­in­sta­nzlich mit dem Rechtsstreit befasste Corte di cassazione (Italien) fragt den Gerichtshof der Europäischen Union, ob die Rahmen­ver­ein­barung für die Arbeit zur See gilt und ob nationale Rechts­vor­schriften zulässig sind, die zum einen vorsehen, dass befristete Arbeitsverträge die Dauer des Vertrags (nicht aber ihren Endzeitpunkt) angeben müssen, zum anderen nur die Angabe der durch­zu­füh­renden Reise(n) als objektive Rechtfertigung ansehen und zudem die Umwandlung der aufein­an­der­fol­genden befristeten Arbeitsverträge in ein unbefristetes Arbeits­ver­hältnis in den Fällen vorsehen, in denen der Arbeitnehmer ohne Unterbrechung während mehr als einem Jahr beschäftigt war (wobei das Arbeits­ver­hältnis als ununterbrochen angesehen wird, wenn zwischen den Verträgen höchstens 60 Tage liegen).

Anwen­dungs­bereich der Rahmen­ver­ein­barung betrifft sämtliche "befristet beschäftigten Arbeitnehmer"

In seinem Urteil weist der Gerichtshof der Europäischen Union zunächst darauf hin, dass der Anwen­dungs­bereich der Rahmen­ver­ein­barung unabhängig von der öffentlichen oder privaten Eigenschaft des Arbeitgebers sämtliche „befristet beschäftigten Arbeitnehmer“ betrifft und dass die Verträge der Seeleute von dieser Rahmen­ver­ein­barung nicht ausgeschlossen sind.

Seeleute fallen in Anwen­dungs­bereich der Rahmen­ver­ein­barung

Der Gerichtshof stellt daher fest, dass Arbeitnehmer wie die im Ausgangs­ver­fahren (d. h. Arbeitnehmer, die als Seeleute auf der Grundlage aufein­an­der­fol­gender befristeter Arbeitsverträge beschäftigt sind und auf Fähren eine Fahrt zwischen zwei in demselben Mitgliedstaat gelegenen Häfen durchführen) in den Anwen­dungs­bereich der Rahmen­ver­ein­barung fallen, da diese keinen bestimmten Wirtschaftszweig ausschließt.

Vereinbarung über das Seear­beits­über­ein­kommen 2006 nicht auf Kläger anwendbar

Der Gerichtshof ergänzt, dass die Vereinbarung über das Seear­beits­über­ein­kommen 2006, das sich im Anhang der Richtlinie über die Arbeit zur See** befindet, nicht auf Seeleute anwendbar ist, die auf Schiffen beschäftigt sind, die (wie im vorliegenden Fall) ausschließlich auf Binnengewässern verkehren. Das Seear­beits­über­ein­kommen 2006 enthält genauso wie die anderen Bestimmungen der Union über den Seeverkehr keine Vorschriften, die dazu bestimmt sind, die Anwendung des Verbots der Diskriminierung von befristet beschäftigten Arbeitnehmern sicherzustellen oder die Missbräuche, die sich aus der Verwendung aufein­an­der­fol­gender befristeter Arbeitsverträge ergeben, zu verhindern. Daraus folgt, dass für Seeleute jede andere Bestimmung, die spezieller ist oder ein höheres Schutzniveau bietet, Anwendung findet. Das ist bei der Rahmen­ver­ein­barung der Fall.

Angabe der Dauer des Vertrags in ohne Endzeitpunkt nicht zu beanstanden

Außerdem erklärt der Gerichtshof, dass die Rahmen­ver­ein­barung keine Bestimmung zur Frage der formalen Angaben, die in befristeten Arbeits­ver­trägen stehen müssen, enthält und Italien daher berechtigt war, in Anbetracht des Unionsrechts in seinen Rechts­vor­schriften vorzusehen, dass nur die Dauer des Vertrags (und nicht sein Endzeitpunkt) genannt werden müssen.

Pflicht zur Angabe von Gründen oder Dauer der Befristung soll rechts­miss­bräuchliche Verwendung befristeter Arbeitsverträge verhindern

Der Gerichtshof weist sodann darauf hin, dass sich die Rahmen­ver­ein­barung auf die Idee gründet, dass feste Beschäf­ti­gungs­ver­hältnisse einen wichtigen Aspekt des Arbeit­neh­mer­schutzes darstellen. Um die missbräuchliche Verwendung aufein­an­der­fol­gender befristeter Arbeitsverträge zu verhindern, verlangt die Rahmen­ver­ein­barung von den Mitgliedstaaten entweder, die sachlichen Gründe, die die Verlängerung des Vertrags rechtfertigen, oder die Höchstdauer der Verträge oder die Zahl der möglichen Verlängerungen des Vertrags vorzusehen. Hingegen verpflichtet sie sie nicht, die Umwandlung befristeter in unbefristete Arbeitsverträge vorzusehen, und schreibt nicht vor, unter welchen Bedingungen befristete Arbeitsverträge verwendet werden dürfen, sofern das nationale Recht – welche Maßnahme letztlich auch immer gewählt wird – die missbräuchliche Verwendung befristeter Arbeitsverträge wirksam verhindert.

Nationale Rechts­vor­schriften haben sowohl präventive als auch sanktionierende Maßnahmen bei missbräuch­lichen Befristungen

Die nationalen Behörden müssen daher verhält­nis­mäßige, wirksame und abschreckende Maßnahmen erlassen, um die volle Wirksamkeit der zur Durchführung der Rahmen­ver­ein­barung erlassenen Normen sicherzustellen. Nach Ansicht des Gerichtshofs genügen die italienischen Rechts­vor­schriften diesen Anforderungen, da sie sowohl eine präventive Maßnahme (Höchstdauer von einem Jahr für aufein­an­der­folgende befristete Arbeitsverträge) als auch eine Sankti­o­ns­maßnahme im Fall des Missbrauchs vorsieht (Umwandlung aufein­an­der­fol­gender befristeter Arbeitsverträge in ein unbefristetes Arbeits­ver­hältnis, wenn ein Arbeitnehmer von demselben Arbeitgeber ununterbrochen länger als ein Jahr beschäftigt wurde).

Nationale Gerichte müssen Umstände des Einzelfalls prüfen

Wenn sie dazu aufgerufen sind, über aufein­an­der­folgende befristete Arbeitsverträge zu entscheiden, müssen die nationalen Gerichte die Umstände des Einzelfalls prüfen und dabei die Zahl der aufein­an­der­fol­genden Verträge berücksichtigen, die mit derselben Person oder zur Verrichtung der gleichen Arbeit geschlossen wurden, damit ausgeschlossen wird, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen. Der Gerichtshof weist auch darauf hin, dass ein Missbrauch festgestellt werden könnte, wenn die Höchstdauer nicht je nach der Anzahl der von diesen Verträgen abgedeckten Kalendertage, sondern je nach der Anzahl der vom Arbeitnehmer tatsächlich geleisteten Arbeitstage berechnet würde (insbesondere wenn diese Zahl wegen der geringen Häufigkeit von Fahrten deutlich geringer ist).

Erläuterungen

* Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmen­ver­ein­barung über befristete Arbeitsverträge (ABl. L 175, S. 43).

** Richtlinie 2009/13/EG des Rates vom 16. Februar 2009 zur Durchführung der Vereinbarung zwischen dem Verband der Reeder in der Europäischen Gemeinschaft (ECSA) und der Europäischen Trans­por­t­a­r­beiter-Föderation (ETF) über das Seear­beits­über­ein­kommen 2006 und zur Änderung der Richtlinie 1999/63/EG (ABl. L 124, S. 30). Diese Richtlinie setzt die Vereinbarung über das Seear­beits­über­ein­kommen 2006 um.

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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