21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil20.07.2016

Arbeitnehmer hat nach Beendigung des Arbeits­verhältnisses Anspruch auf finanzielle Entschädigung für nicht genommenen UrlaubGrund für die Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses nicht entscheidend

Beendet ein Arbeitnehmer von sich aus sein Arbeits­ver­hältnis, hat er Anspruch auf eine finanzielle Vergütung, wenn er seinen bezahlten Jahresurlaub ganz oder teilweise nicht verbrauchen konnte. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

Herr Hans Maschek, ein Beamter der Stadt Wien, wurde auf seinen Antrag mit Wirkung zum 1. Juli 2012 in den Ruhestand versetzt. In der Zeit vom 15. November 2010 bis zum 30. Juni 2012 war er nicht zum Dienst erschienen. Vom 15. November bis zum 31. Dezember 2010 befand er sich in Krank­heits­urlaub. Ab dem 1. Januar 2011 war er aufgrund einer Vereinbarung mit seinem Arbeitgeber verpflichtet, nicht zum Dienst zu erscheinen, wobei ihm sein Entgelt fortgezahlt wurde.

Kläger verlangt finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub

Nach seinem Eintritt in den Ruhestand verlangte Herr Maschek von seinem Arbeitgeber, ihm eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub zu zahlen; er sei nämlich kurz vor dem Eintritt in den Ruhestand erneut erkrankt. Sein Arbeitgeber wies diese Forderung mit der Begründung zurück, nach der Besol­dungs­ordnung der Stadt Wien habe ein Arbeitnehmer, der von sich aus das Arbeits­ver­hältnis beende – u. a. indem er die Versetzung in den Ruhestand beantrage –, keinen Anspruch auf eine solche Vergütung.

Verwal­tungs­gericht Wien erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH

Das Verwal­tungs­gericht Wien, bei dem Herr Maschek deshalb Klage erhoben hat, möchte vom Gerichtshof wissen, ob eine solche Regelung mit dem Unionsrecht und insbesondere mit der Richtlinie 2003/88* vereinbar ist.

EuGH: Arbeitnehmer hat gemäß EU-Richtlinie Anspruch auf finanzielle Vergütung des nicht genommenen Urlaubs

In seinem Urteil weist der Gerichtshof darauf hin, dass nach dieser Richtlinie jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen bezahlten Mindest­jah­res­urlaub von vier Wochen hat und dass dieser Anspruch einen besonders bedeutsamen Grundsatz des Sozialrechts der Union darstellt. Er wird jedem Arbeitnehmer unabhängig von seinem Gesund­heits­zustand gewährt. Wurde das Arbeits­ver­hältnis beendet und ist es deshalb nicht mehr möglich, bezahlten Jahresurlaub tatsächlich zu nehmen, hat der Arbeitnehmer nach der Richtlinie Anspruch auf eine finanzielle Vergütung, um zu verhindern, dass ihm wegen dieser fehlenden Möglichkeit jeder Genuss des Urlaubs­an­spruchs, selbst in finanzieller Form, vorenthalten wird.

Grund für die Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses spielt keine Rolle

Der Gerichtshof führt hierzu aus, dass der Grund für die Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses keine Rolle spielt. Daher hat der Umstand, dass ein Arbeitnehmer sein Arbeits­ver­hältnis von sich aus beendet, keine Auswirkung darauf, dass er gegebenenfalls eine finanzielle Vergütung für den bezahlten Jahresurlaub beanspruchen kann, den er vor dem Ende seines Arbeits­ver­hält­nisses nicht verbrauchen konnte.

EU-Richtlinie steht nationalen Vorschriften entgegen

Der Gerichtshof schließt daraus, dass die Richtlinie nationalen Rechts­vor­schriften wie der Besol­dungs­ordnung der Stadt Wien entgegensteht, nach denen ein Arbeitnehmer, dessen Arbeits­ver­hältnis infolge seines Antrags auf Versetzung in den Ruhestand beendet wurde und der nicht in der Lage war, seinen bezahlten Jahresurlaub vor dem Ende dieses Arbeits­ver­hält­nisses zu verbrauchen, keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub hat.

Auch aufgrund von Krankheiten nicht genommener Jahresurlaub ist abzugelten

Der Gerichtshof weist ferner auf seine Rechtsprechung hin, wonach ein Arbeitnehmer beim Eintritt in den Ruhestand Anspruch auf eine finanzielle Vergütung hat, wenn er seinen bezahlten Jahresurlaub wegen einer Krankheit nicht verbrauchen konnte (vgl. EuGH, Urteil v. 03.05.2012 - C-337/10 - und EuGH, Urteil v. 20.01.2009 - C-350/06, C-520/06 -). Herr Maschek hat folglich in Bezug auf den Zeitraum zwischen dem 15. November und dem 31. Dezember 2010, für den feststeht, dass er sich im Krank­heits­urlaub befand und deshalb in diesem Zeitraum den ihm zustehenden bezahlten Jahresurlaub nicht verbrauchen konnte, Anspruch auf eine finanzielle Vergütung.

Kein Anspruch auf Vergütung für nicht genommenen Urlaub bei Freistellung

Der Gerichtshof fügt hinzu, dass mit dem Anspruch auf Jahresurlaub ein doppelter Zweck verfolgt wird, der darin besteht, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen. Damit die praktische Wirksamkeit dieses Anspruchs auf Jahresurlaub gewährleistet wird, stellt der Gerichtshof folgenden Grundsatz auf: Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeits­ver­hältnis beendet wurde und der nach einer mit seinem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarung während eines bestimmten Zeitraums vor seiner Versetzung in den Ruhestand weiterhin sein Entgelt bezog, aber verpflichtet war, nicht an seinem Arbeitsplatz zu erscheinen, hat keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den während dieses Zeitraums nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub, es sei denn, dass er den Urlaub wegen Krankheit nicht nehmen konnte.

Nationales Gericht muss tatsächliche Gegebenheiten prüfen

Das vorlegende Gericht wird daher zu prüfen haben, ob dies bei Herrn Maschek in der Zeit vom 1. Januar 2011 bis zum 30. Juni 2012 der Fall war. Wenn ja, hat er keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den bezahlten Jahresurlaub, den er in dieser Zeit nicht verbrauchen konnte, es sei denn, dass er den Urlaub wegen Krankheit nicht nehmen konnte.

Nationale Vorschriften dürfen für Arbeitnehmer günstigere Vorschriften als EU-Richtlinie vorsehen

Der Gerichtshof stellt überdies fest, dass die Richtlinie zwar Mindest­vor­schriften für Sicherheit und Gesund­heits­schutz bei der Arbeits­zeit­ge­staltung festlegen soll, die von den Mitgliedstaaten zu beachten sind, doch haben diese das Recht, für die Arbeitnehmer günstigere Vorschriften zu erlassen. Somit steht die Richtlinie inner­staat­lichen Bestimmungen nicht entgegen, die einen bezahlten Jahresurlaub vorsehen, der den durch die Richtlinie garantierten Mindestzeitraum von vier Wochen übersteigt und unter den im nationalen Recht festgelegten Bedingungen für die Inanspruchnahme und Gewährung eingeräumt wird. Demnach steht es den Mitgliedstaaten frei, Arbeitnehmern neben dem in der Richtlinie vorgesehenen Anspruch auf bezahlten Mindest­jah­res­urlaub von vier Wochen weitere Ansprüche auf bezahlten Urlaub zu gewähren. In diesem Fall können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass ein Arbeitnehmer, der vor der Beendigung seines Arbeits­ver­hält­nisses aus Krank­heits­gründen seinen zusätzlichen bezahlten Jahresurlaub nicht in vollem Umfang verbrauchen konnte, Anspruch auf eine diesem zusätzlichen Zeitraum entsprechende finanzielle Vergütung hat. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, die Bedingungen für die Gewährung festzulegen.

Erläuterungen

*Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeits­zeit­ge­staltung (ABl. L 299, S. 9).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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