21.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil03.05.2012

Beamter hat bei Eintritt in den Ruhestand Anspruch auf finanzielle Vergütung für nicht genommenen Mindest­jah­res­urlaubÜber den Mindestanspruch hinaus gehender Urlaub muss nicht zwingend finanziell ausgeglichen werden

Bei Eintritt in den Ruhestand hat ein Beamter Anspruch auf eine finanzielle Vergütung, wenn er seinen Anspruch auf bezahlten Mindest­jah­res­urlaub von vier Wochen aus Krank­heits­gründen ganz oder zum Teil nicht ausüben konnte. Für etwaige Ansprüche auf zusätzlichen bezahlten Urlaub kann jedoch die nationale Regelung die Zahlung einer finanziellen Vergütung ausschließen. Dies entschied der Gerichtshof der Europäischen Union.

Die Richtlinie 2003/88/EG über bestimmte Aspekte der Arbeits­zeit­ge­staltung* verpflichtet die Mitgliedstaaten, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindest­jah­res­urlaub von vier Wochen erhält. Dieser bezahlte Mindest­jah­res­urlaub darf außer bei Beendigung des Arbeits­ver­hält­nisses nicht durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden.

Hintergrund

Herr Neidel arbeitete seit 1970 im Dienst der Stadt Frankfurt am Main. Er war dort im Beamten­ver­hältnis zunächst als Feuerwehrmann, dann als Haupt­brand­meister tätig. Ab dem 12. Juni 2007 war Herr Neidel wegen Krankheit dienstunfähig und trat mit Ablauf des Monats August 2009 in den Ruhestand. Aufgrund der von der Fünftagewoche abweichend festgesetzten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit für Feuerwehrbeamte betrug der Anspruch von Herrn Neidel auf Jahresurlaub in den Jahren 2007 bis 2009 jeweils 26 Tage. Feuerwehrbeamte haben außerdem Anspruch auf einen Feier­tags­aus­gleich.

Übertra­gungs­zeitraum für nichtgenommenen Urlaub beträgt neun Monate

Nach den anwendbaren deutschen Rechts­vor­schriften musste Herr Neidel seinen Urlaub grundsätzlich im Urlaubsjahr nehmen. Die Rechts­vor­schriften legten jedoch einen Übertra­gungs­zeitraum von neun Monaten fest, so dass Urlaub, der nicht innerhalb dieser neun Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres angetreten worden war, verfiel.

Beamter beantragt finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub

Herr Neidel ist der Auffassung, zwischen 2007 und 2009 einen unerfüllten Urlaubsanspruch von 86 Tagen angesammelt zu haben, was einen Betrag von 16 821,60 brutto ergebe. Er beantragte deshalb bei der Stadt Frankfurt am Main die Zahlung einer finanziellen Vergütung in dieser Höhe für den nicht genommenen Urlaub. Nachdem sein Antrag mit der Begründung abgelehnt worden war, dass eine Geldabfindung für nicht genommenen Urlaub im deutschen Beamtenrecht nicht vorgesehen sei, erhob Herr Neidel Klage.

VG Frankfurt am Main erbittet Vorab­ent­scheidung des EuGH über Umfang des Anspruchs auf finanzielle Vergütung

Vor diesem Hintergrund hat das angerufene Verwal­tungs­gericht Frankfurt am Main den Gerichtshof mit mehreren Fragen befasst. Insbesondere möchte es wissen, ob die Richtlinie 2003/88 für Beamte gilt und ob sich der darin vorgesehene Anspruch auf eine finanzielle Vergütung nur auf den Mindest­jah­res­urlaub von vier Wochen oder auch auf die im nationalen Recht zusätzlich vorgesehenen Urlaubs­ansprüche erstreckt.

EU-Richtlinie auch auf Beamte anwendbar

In seinem Urteil führt der Gerichtshof aus, dass die Richtlinie 2003/88 grundsätzlich für alle privaten oder öffentlichen Tätig­keits­be­reiche gilt, um bestimmte Aspekte der Arbeits­zeit­ge­staltung der Arbeitnehmer zu regeln. Zwar sind in der Richtlinie Ausnahmen von ihrer Anwendung vorgesehen, doch sind diese allein zu dem Zweck erlassen worden, das ordnungsgemäße Funktionieren der Dienste zu gewährleisten, die in Situationen von besonderer Schwere und besonderem Ausmaß für den Schutz der öffentlichen Sicherheit, Gesundheit und Ordnung unerlässlich sind. Daher antwortet der Gerichtshof, dass die Richtlinie 2003/88 für einen Beamten gilt, der unter gewöhnlichen Umständen als Feuerwehrmann tätig ist.

EuGH bejaht Anspruch auf finanzielle Vergütung für bezahlten Jahresurlaub

Sodann weist der Gerichtshof darauf hin, dass nach dieser Richtlinie jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen bezahlten Mindest­jah­res­urlaub von vier Wochen hat. Endet das Arbeits­ver­hältnis jedoch, ist es nicht mehr möglich, den bezahlten Jahresurlaub tatsächlich zu nehmen. Deshalb und um zu verhindern, dass dem Arbeitnehmer jeder Genuss dieses Anspruchs – selbst in finanzieller Form – verwehrt wird, gewährt die Richtlinie dem Arbeitnehmer in einem solchen Fall einen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung. Für den vorliegenden Fall stellt der Gerichtshof fest, dass der Eintritt eines Beamten in den Ruhestand sein Arbeits­ver­hältnis beendet. Der Gerichtshof folgert daraus, dass ein Beamter bei Eintritt in den Ruhestand Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für bezahlten Jahresurlaub hat, den er nicht genommen hat, weil er aus Krank­heits­gründen keinen Dienst geleistet hat.

Nationale Vorschriften, die weitere Vergütungen von Urlaub ausschließen, zulässig

Der Gerichtshof stellt jedoch klar, dass die Richtlinie der Anwendung nationaler Bestimmungen nicht entgegensteht, die dem Beamten zusätzlich zu dem Anspruch auf einen bezahlten Mindest­jah­res­urlaub von vier Wochen weitere Ansprüche auf bezahlten Urlaub gewähren. In einem solchen Fall können die nationalen Rechts­vor­schriften vorsehen, dass keine finanzielle Vergütung gezahlt wird, wenn dem in den Ruhestand tretenden Beamten diese zusätzlichen Ansprüche nicht haben zugute kommen können, weil er aus Krank­heits­gründen keinen Dienst leisten konnte.

Vergütung von nichtgenommenem, bezahlten Jahresurlaub von mehr als vier Wochen liegt im Entschei­dungs­spielraum des Mitgliedsstaats

In diesem Zusammenhang führt der Gerichtshof aus, dass sich die Richtlinie auf die Aufstellung von Mindest­vor­schriften für Sicherheit und Gesund­heits­schutz bei der Arbeits­zeit­ge­staltung beschränkt und die Befugnis der Mitgliedstaaten unberührt lässt, für den Schutz der Arbeitnehmer günstigere nationale Vorschriften anzuwenden. Daher kann im nationalen Recht ein Anspruch auf einen bezahlten Jahresurlaub von mehr als vier Wochen vorgesehen werden, der unter den in diesem nationalen Recht niedergelegten Bedingungen für die Inanspruchnahme und Gewährung eingeräumt wird. Dabei ist es Sache der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, ob sie den Beamten zusätzlich zum Anspruch auf einen bezahlten Mindest­jah­res­urlaub von vier Wochen weitere Ansprüche auf bezahlten Urlaub gewähren und ob sie dabei einen Anspruch des in den Ruhestand tretenden Beamten auf eine finanzielle Vergütung für den Fall vorsehen, dass ihm diese zusätzlichen Ansprüche nicht haben zugute kommen können, weil er aus Krank­heits­gründen keinen Dienst geleistet hat. Ebenso ist es Sache der Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen für eine solche Gewährung festzulegen.

Schließlich stellt der Gerichtshof fest, dass die Richtlinie nach seiner jüngeren Rechtsprechung einer Bestimmung des nationalen Rechts entgegensteht, die durch einen Übertra­gungs­zeitraum von neun Monaten, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt, den Anspruch eines in den Ruhestand tretenden Beamten auf Ansammlung der finanziellen Vergütungen für wegen Dienst­un­fä­higkeit nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub beschränkt. Jeder Übertra­gungs­zeitraum muss nämlich für den Arbeitnehmer die Möglichkeit gewährleisten, bei Bedarf über Erholungs­zeiträume zu verfügen, die längerfristig gestaffelt und geplant werden sowie verfügbar sein können, und er muss die Dauer des Bezugszeitraums, für den er gewährt wird, deutlich überschreiten. Im vorliegenden Fall beträgt der Übertra­gungs­zeitraum jedoch neun Monate, ist also kürzer als der betreffende Bezugszeitraum (hier ein Jahr).

Erläuterungen

* Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeits­zeit­ge­staltung (ABl. L 299, S. 9).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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