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- EU-Staatsbürger dürfen in den ersten drei Monaten des Aufenthalts von bestimmten Sozialleistungen ausgeschlossen werdenGerichtshof der Europäischen Union, Urteil25.02.2016, C-299/14
- Kindergeldbezug gleichzeitig in mehreren EU-Staaten möglichFinanzgericht Köln, Urteil30.01.2013, 15 K 47/09, 15 K 930/09 und 15 K 2058/09
Gerichtshof der Europäischen Union Urteil14.06.2016
Aufenthaltserlaubnis als Voraussetzung für Kindergeldbezug von EU-Bürger im Vereinigten Königreich zulässigDaraus resultierende Diskriminierung zum Schutz der Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats gerechtfertigt
Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass das Vereinigte Königreich verlangen kann, dass Bezieher von Kindergeld und der Steuergutschrift für Kinder ein Recht auf Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet haben. Diese Voraussetzung stellt zwar eine mittelbare Diskriminierung dar, ist aber durch die Notwendigkeit, die Finanzen des Aufnahmemitgliedstaats zu schützen, gerechtfertigt.
Die Verordnung zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit* sieht eine Reihe von gemeinsamen Grundsätzen vor, die die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf diesem Gebiet einhalten müssen, so dass die einzelnen nationalen Systeme niemanden, der von seinem Recht auf Freizügigkeit und seinem Aufenthaltsrecht in der Union Gebrauch macht, benachteiligen. Einer dieser allgemeinen Grundsätze ist der Gleichbehandlungsgrundsatz. Im Rahmen der sozialen Sicherheit kommt dieser Grundsatz durch das Verbot einer Ungleichbehandlung aus Gründen der Staatsangehörigkeit zum Ausdruck.
Kommission hält Bedingungen zum Bezug bestimmter Sozialleistungen für diskriminierend
Bei der Kommission gingen zahlreiche Beschwerden von sich im Vereinigten Königreich aufhaltenden nicht britischen EU-Bürgern ein. Diese Bürger beschwerten sich darüber, dass sich die zuständigen britischen Behörden weigerten, ihnen bestimmte soziale Leistungen zu gewähren, weil sie kein Aufenthaltsrecht in diesem Land besäßen. Nach Auffassung der Kommission entsprechen die britischen Rechtsvorschriften nicht den Bestimmungen der Verordnung; sie hat daher gegen das Vereinigte Königreich eine Vertragsverletzungsklage erhoben. Sie hat darauf hingewiesen, dass die britischen Rechtsvorschriften bei einem Antrag auf bestimmte soziale Leistungen – dazu gehören, wie im vorliegenden Fall in Rede stehend, das Kindergeld und die Steuergutschrift für Kinder – eine Prüfung vorschreiben, ob sich der jeweilige Antragsteller rechtmäßig im Vereinigten Königreich aufhalte. Die Kommission hält diese Bedingung für diskriminierend und für mit dem Geist der genannten Verordnung unvereinbar, die lediglich auf den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Antragstellers abstelle. Das Kindergeld ("child benefit") und die Steuergutschrift für Kinder ("child tax credit") sind Geldleistungen, die aus Steuermitteln und nicht aus Beiträgen der Empfänger finanziert werden. Sie haben den gemeinsamen Zweck, zur Finanzierung der Familienlasten beizutragen. Für die Gewährung dieser beiden Leistungen ist nach den britischen Rechtsvorschriften vorgeschrieben, dass sich der Antragsteller im Vereinigten Königreich aufhalten muss. Dieses Erfordernis ist lediglich dann erfüllt, wenn der Antragsteller sich physisch im Vereinigten Königreich befindet, seinen ordentlichen Wohnsitz im Vereinigten Königreich hat und über ein Aufenthaltsrecht im Vereinigten Königreich verfügt.
Erfordernis eines Aufenthaltsrechts stellt verhältnismäßige Maßnahme dar
Das Vereinigte Königreich beruft sich demgegenüber auf das Urteil Brey (Urteil des EuGH vom 19.09.2013, C-140/12), wonach der Aufnahmemitgliedstaat die Gewährung von Sozialleistungen an Unionsbürger von dem Erfordernis abhängig machen könne, dass diese die im Wesentlichen in einer Richtlinie der Union** festgelegten Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat erfüllten. Das Vereinigte Königreich räumt zwar ein, dass seine eigenen Staatsangehörigen leichter die Voraussetzungen für die Gewährung der im vorliegenden Fall in Rede stehenden Sozialleistungen erfüllen könnten (weil sie grundsätzlich zum Aufenthalt berechtigt seien), doch stelle das Erfordernis eines Aufenthaltsrechts jedenfalls eine verhältnismäßige Maßnahme dar, um sicherzustellen, dass die Leistungen nur an Personen gezahlt würden, die im Vereinigten Königreich ausreichend integriert seien.
Kriterium des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne der Verordnung soll gleichzeitige Anwendung verschiedener nationaler Rechte verhindern
In seinem Urteil weist der Gerichtshof die Klage der Kommission ab. Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die in Rede stehenden Leistungen solche der sozialen Sicherheit sind und damit in den Geltungsbereich der Verordnung fallen. Sodann weist der Gerichtshof das Hauptargument der Kommission zurück, wonach die britischen Rechtsvorschriften eine zusätzliche Voraussetzung zu der in der Verordnung vorgesehenen Voraussetzung des gewöhnlichen Aufenthalts aufstellten. Der Gerichtshof weist insoweit darauf hin, dass das Kriterium des gewöhnlichen Aufenthalts im Sinne der Verordnung keine notwendige Voraussetzung für den Anspruch auf die Leistungen ist, sondern eine "Kollisionsnorm", die die gleichzeitige Anwendung verschiedener nationaler Rechte vermeiden und verhindern soll, dass Personen, die ihr Recht auf Freizügigkeit ausgeübt haben, der Schutz vorenthalten wird. Die Verordnung schafft kein gemeinsames System der sozialen Sicherheit, sondern lässt unterschiedliche nationale Systeme bestehen. Sie legt somit nicht die inhaltlichen Voraussetzungen für das Vorliegen eines Anspruchs auf die Leistungen fest, denn es ist grundsätzlich Sache der Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaats, diese Voraussetzungen festzulegen. In diesem Rahmen spricht nichts dagegen, dass die Gewährung von Sozialleistungen an Unionsbürger, die nicht erwerbstätig sind, von dem Erfordernis abhängig gemacht wird, dass diese die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat erfüllen.
Voraussetzung des Rechts auf Aufenthalt stellt zulässige Ungleichbehandlung dar
Zu dem von der Kommission hilfsweise vorgetragenen Argument, dass die Prüfung des Aufenthaltsrechts eine Diskriminierung darstelle, stellt der Gerichtshof fest, dass die Voraussetzung des Rechts auf Aufenthalt im Vereinigten Königreich eine Ungleichbehandlung bewirkt, weil die Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats sie leichter erfüllen können als die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten. Der Gerichtshof ist jedoch der Auffassung, dass diese Ungleichbehandlung durch ein legitimes Ziel wie etwa die Notwendigkeit, die Finanzen des Aufnahmemitgliedstaat zu schützen, gerechtfertigt werden kann, sofern sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.
Prüfung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts erfolgt nur im Zweifelsfall
Der Gerichtshof stellt hierzu fest, dass die nationalen Behörden die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts im Einklang mit den in der Richtlinie über die Freizügigkeit vorgesehenen Voraussetzungen prüfen. Diese Prüfung erfolgt nicht systematisch bei jedem Antrag, sondern nur im Zweifelsfall. Folglich geht die Voraussetzung nicht über das hinaus, was erforderlich ist, um das vom Vereinigten Königreich verfolgte legitime Ziel, nämlich den notwendigen Schutz seiner Finanzen, zu erreichen.
Erläuterungen
* Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (ABl. L 166, S. 1).** Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77).
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 14.06.2016
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online
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