23.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil21.03.2013

Beschränkung der Aufent­halts­höchstdauer im Schengen-Raum auf drei Monate je Halbjahr gilt nicht im kleinen GrenzverkehrAllgemeine Regeln des Schengen-Besitzstands gelten nicht für so genannten kleinen Grenzverkehr

Die Beschränkung der Höchstdauer des Aufenthalts eines nicht visum­pf­lichtigen Ausländers im Schengen-Raum auf drei Monate je Halbjahr gilt nicht im kleinen Grenzverkehr. Bei Ausländern, die über eine Grenz­über­tritts­ge­neh­migung für den kleinen Grenzverkehr verfügen, ist die in bilateralen Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten und den an sie angrenzenden Drittstaaten festgelegte Höchst­auf­ent­haltsdauer unabhängig von ihren früheren Aufenthalten zu berechnen, wenn diese durch eine Rückkehr in ihren Wohnsitzstaat unterbrochen worden sind. Dies geht aus einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union hervor.

Nach dem Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen* können sich Ausländer, die nicht der Visumpflicht unterliegen, für bis zu drei Monate innerhalb eine s Zeitraums von sechs Monaten ab dem Datum der ersten Einreise im Schengen - Raum frei bewegen.

Grenzbewohner können Grenz­über­tritts­ge­neh­migung für Grenzverkehr zu Nicht­mit­glieds­s­taaten der Union erhalten

Eine spezielle Verordnung** gilt für Ausländer, die im Grenzgebiet eines Nicht­mit­glied­staats der Union zu einem Mitgliedstaat ansässig sind, d.h. innerhalb eines bis zu 30 km von der Grenze entfernten Bereichs. Grenzbewohner können eine Grenz­über­tritts­ge­neh­migung für den kleinen Grenzverkehr erhalten, die es ihnen ermöglicht, in den Nachba­r­mit­gliedstaat einzureisen und sich dort während eines Zeitraums, der von den beiden aneinander angrenzenden Staaten bestimmt wird, ab er drei Monate nicht überschreiten darf, ununterbrochen aufzuhalten. Die Inhaber einer solchen Grenz­über­tritts­ge­neh­migung sind nicht befugt, das Grenzgebiet des besuchten Mitgliedstaats zu verlassen.

Höchstdauer des Aufenthalts von ukrainischen Staats­an­ge­hörigen in Ungarn beträgt drei Monate

Ungarn und die Ukraine haben ein Abkommen zur Anwendung der Verordnung über den kleinen Grenzverkehr auf ihre gemeinsame Grenze geschlossen, das u.a. die Höchstdauer des Aufenthalts von ukrainischen Staats­an­ge­hörigen festlegt, die die Regelung über den kleinen Grenzverkehr in Anspruch nehmen können. Diese Höchstdauer, die Bestandteil der ungarischen Rechts­vor­schriften ist, entspricht der in der Verordnung vorgesehenen Höchstdauer von drei Monaten, sofern der Aufenthalt nicht unterbrochen wird.

Polizei verweigert Einreise in ungarisches Hoheitsgebiet

Herr Shomodi, ein ukrainischer Staats­an­ge­höriger, ist Inhaber einer Grenz­über­tritts­ge­neh­migung für den kleinen Grenzverkehr, die ihn berechtigt, sich in das Grenzgebiet Ungarns zu begeben. Am 2. Februar 2010 wollte er am Grenzübergang Záhony nach Ungarn einreisen. Die ungarische Polizei stellte fest, dass er sich zwischen dem 3. September 2009 und dem 2. Februar 2010 105 Tage im ungarischen Hoheitsgebiet aufgehalten und dort fast täglich mehrere Stunden verbracht hatte. Da sich Herr Shomodi somit innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten mehr als drei Monate innerhalb des Schengen-Raums aufgehalten hatte, verweigerte ihm die ungarische Polizei - unter Zugrundelegung der im Licht des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen ausgelegten ungarischen Rechts­vor­schriften - die Einreise in das ungarische Hoheitsgebiet.

Nationales Gericht erbittet Entscheidung des EuGH über Vereinbarkeit nationaler Regelungen mit EU-Verordnung

Herr Shomodi klagte gegen die Entscheidung der Polizei vor den ungarischen Gerichten. Der im Kassa­ti­o­ns­ver­fahren angerufene Legfelso"bb Bíróság (Oberster Gerichtshof, Ungarn) fragt den Gerichtshof, ob das betreffende Abkommen, das nach seiner Auslegung durch die ungarischen Behörden die Gesamtdauer der Aufenthalte eines Grenzbewohners im Grenzgebiet von Ungarn auf drei Monate innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten begrenzt, mit der Verordnung über den kleinen Grenzverkehr vereinbar ist.

Allgemeine Regel des Schengen-Besitzstands gilt nicht für kleinen Grenzverkehr

In seinem Urteil stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass die allgemeine Regel des Schengen-Besitzstands, wonach der Aufenthalt von Ausländern auf einen Zeitraum von drei Monaten je Halbjahr beschränkt ist, nicht für den kleinen Grenzverkehr gilt. Er hebt hervor, dass die in der Verordnung über den kleinen Grenzverkehr festgelegte Beschränkung auf drei Monate "ununterbrochene Aufenthalte" betrifft, während sich die aus dem Schengen - Besitzstand resultierende Beschränkung nicht auf ununterbrochene Aufenthalte bezieht. Der Gerichtshof weist darauf hin, dass die Kommission zwar im Laufe der Vorarbeiten zur Verordnung ursprünglich eine Angleichung an die Berechnung des im Schengen-Besitzstand vorgesehenen Maxima­l­auf­enthalts vorgeschlagen hatte, sich der Unions­ge­setzgeber aber für eine spezielle Beschränkung, die auf ununterbrochene Aufenthalte abstellt, entschied. Dem Gerichtshof zufolge begründet der Umstand, dass die Obergrenze, wie im Schengen-Besitzstand, drei Monate beträgt, keine Zweifel daran, dass diese Beschränkung im Verhältnis zu den allgemeinen rechtlichen Regelungen für Dritt­staats­an­ge­hörige, die keiner Visumpflicht unterworfen sind, Spezi­a­l­cha­rakter hat. Aus der Verordnung geht nämlich nicht hervor, dass die dort genannten drei Monate in einen Sechs­mo­nats­zeitraum eingebettet sein sollen.

Verordnung über kleinen Grenzverkehr soll Grenz­über­schreitung ohne übertriebene Verwal­tungs­hürden ermöglichen

Im Übrigen wollte der Unions­ge­setzgeber mit dem Erlass der Verordnung über den kleinen Grenzverkehr eigenständige Regeln schaffen, die sich von denen des Schengen-Besitzstandes unterscheiden. Diese Regeln sollen es den Bewohnern der betroffenen Grenzgebiete er möglichen, die Landau­ßen­grenzen der Union aus berechtigten Gründen wirtschaft­licher, sozialer, kultureller oder familiärer Natur zu überschreiten - und zwar einfach, d.h.ohne übertriebene Verwal­tungs­hürden, häufig, aber auch regelmäßig.

Mitgliedstaaten dar bei missbräuch­licher oder betrügerischer Nutzung der Grenz­über­tritts­ge­neh­migung Sanktionen verhängen

Den von einigen Mitgliedstaaten geäußerten Befürchtungen, dass eine autonome Auslegung der Verordnung negative Auswirkungen haben könnte, hält der Gerichtshof entgegen, dass die Erleichterung des Grenzübertritts für Grenzbewohner bestimmt ist, die ordnungsgemäß nachgewiesene berechtigte Gründe haben, eine Landaußengrenze häufig zu überschreiten. Zudem steht es den Mitgliedstaaten weiterhin frei, Sanktionen gegen Personen zu verhängen, die ihre Grenz­über­tritts­ge­neh­migung für den kleinen Grenzverkehr missbräuchlich oder in betrügerischer Absicht verwenden.

Zahl der täglichen Grenzübertritte ist nicht zu berücksichtigen

Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof der Auffassung, dass sich der Inhaber einer Grenz­über­tritts­ge­neh­migung für den kleinen Grenzverkehr im Grenzgebiet drei Monate lang frei bewegen können muss, wenn sein Aufenthalt dort nicht unterbrochen wird, und dass er nach jeder Unterbrechung seines Aufenthalts ein neues dreimonatiges Aufent­haltsrecht beanspruchen kann. Schließlich stellt der Gerichtshof klar, dass der Aufenthalt des Inhabers einer Grenz­über­tritts­ge­neh­migung für den kleinen Grenzverkehr in dem Moment als unterbrochen anzusehen ist, in dem der Betreffende die Grenze überschreitet, um in den Staat, in dem er ansässig ist, gemäß der ihm erteilten Genehmigung zurückzukehren, ohne dass es erforderlich wäre, die Zahl der täglichen Grenzübertritte zu berücksichtigen.

Erläuterungen

*Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, unterzeichnet in Schengen am 19. Juni 1990 (ABl. 2000, L 239, S. 19).

** Es handelt sich um die Verordnung (EG) Nr. 1931/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 zur Festlegung von Vorschriften über den kleinen Grenzverkehr an den Landau­ßen­grenzen der Mitgliedstaaten sowie zur Änderung der Bestimmung en des Übereinkommens von Schengen (ABl. L 405, S. 1, berichtigt im ABl. 2007, L 29, S. 3).

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Union/ra-online

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