23.11.2024
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Gerichtshof der Europäischen Union Urteil14.09.2017

EuGH zur gerichtlichen Zuständigkeit bei Rechts­streitig­keiten über Arbeitsverträge von Flugpersonal"Heimatbasis" kann wichtiges Indiz für Bestimmung des Gerichtsstands sein

Mitglieder des Flugpersonals können in Rechts­streitig­keiten über ihre Arbeitsverträge das Gericht des Ortes anrufen, von dem aus sie den wesentlichen Teil ihrer Verpflichtungen gegenüber ihrem Arbeitgeber erfüllen. Das nationale Gericht hat diesen Ort anhand aller maßgeblichen Umstände zu bestimmen; dabei ist die "Heimatbasis" des Arbeitnehmers ein wichtiges Indiz. Dies geht aus einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs hervor.

Ryanair und Crewlink sind in Irland ansässige Gesellschaften. Ryanair ist im Bereich der Perso­nen­be­för­derung im internationalen Luftverkehr tätig. Crewlink ist auf die Einstellung und Schulung von Flugpersonal für Flugge­sell­schaften spezialisiert. Zwischen 2009 und 2011 wurden portugiesische, spanische und belgische Arbeitnehmer von Ryanair eingestellt und beschäftigt oder von Crewlink eingestellt und danach Ryanair als Kabinenpersonal (Stewardessen und Stewards) zur Verfügung gestellt.

Verträgen enthalten Gerichts­s­tands­klausel zugunsten irischer Gerichte, sehen als "Heimatbasis" jedoch den Flughafen Charleroi in Belgien vor

Alle Arbeitsverträge waren in englischer Sprache abgefasst, unterlagen irischem Recht und enthielten eine Gerichts­s­tands­klausel zugunsten irischer Gerichte. Die Verträge sahen vor, dass die von den betroffenen Arbeitnehmern als Mitglieder des Kabinen­per­sonals erbrachten Arbeits­leis­tungen als in Irland erbracht anzusehen sind, da sie an Bord von Flugzeugen erbracht werden, die in Irland eingetragen sind. Allerdings wurde in den Verträgen der Flughafen Charleroi (Belgien) als "Heimatbasis" ("home base") der Arbeitnehmer angegeben. Diese begannen und beendeten ihre Arbeitstage am Flughafen Charleroi und waren vertraglich verpflichtet, nicht weiter als eine Stunde von ihrer "Heimatbasis" entfernt zu wohnen.

Nationales Gericht erbittet Auslegung des Begriffs "Ort, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet" durch EuGH

Sechs Arbeitnehmer von Crewlink und Ryanair erhoben im Jahr 2011 Klage bei den belgischen Gerichten, da sie der Auffassung waren, diese Gesellschaften seien verpflichtet, die belgischen Rechts­vor­schriften einzuhalten und anzuwenden, und die belgischen Gerichte seien für die Klagen zuständig. Die Cour du travail de Mons (Arbeits­ge­richtshof Mons, Belgien) hat im Rahmen der Prüfung ihrer Zuständigkeit den Gerichtshof der Europäischen um Auslegung des in der Unions­ver­ordnung über die gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen enthaltenen Begriffs des "Ortes, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet"*, in dem besonderen Kontext des Luftver­kehrs­sektors ersucht und insbesondere gefragt, ob dieser Begriff mit dem der "Heimatbasis"** in einer die Zivilluftfahrt betreffenden Unions­ver­ord­nung*** gleichgesetzt werden kann.

Schwächere Vertragspartei sollen durch Zustän­dig­keits­vor­schriften der Union geschützt werden

In seinem Urteil erinnert der Gerichtshof zunächst daran, dass bei Rechtss­trei­tig­keiten über Arbeitsverträge die schwächere Vertragspartei durch die Zustän­dig­keits­vor­schriften der Union geschützt werden soll. Diese Vorschriften ermöglichen es dem Arbeitnehmer u.a., seinen Arbeitgeber vor dem Gericht zu verklagen, das ihm seiner Ansicht nach am nächsten steht, indem sie ihm die Befugnis einräumen, vor einem Gericht des Mitgliedstaats zu klagen, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz hat, oder vor dem Gericht des Ortes, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet.

Arbeitnehmern darf Gerichts­s­tands­klausel nicht entge­gen­ge­halten werden

Weiter bestätigt der Gerichtshof die Auffassung des vorlegenden Gerichts, dass den Arbeitnehmern eine Gerichts­s­tands­klausel, die vor der Entstehung der Rechtss­trei­tig­keiten vereinbart wurde und ihnen verbietet, die nach den einschlägigen Unions­vor­schriften zuständigen Gerichte anzurufen, nicht entge­gen­ge­halten werden könne.

Indizien zur Festlegung des "Ortes, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet"

Für die Bestimmung des Begriffs des "Ortes, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet", verweist der Gerichtshof auf seine ständige Rechtsprechung, wonach damit der Ort gemeint ist, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer den wesentlichen Teil seiner Verpflichtungen gegenüber seinem Arbeitgeber tatsächlich erfüllt. Für die genaue Bestimmung dieses Ortes muss das nationale Gericht auf eine Reihe von Indizien abstellen. Im Luftver­kehrs­sektor ist u.a. zu ermitteln, in welchem Mitgliedstaat der Ort liegt, von dem aus der Arbeitnehmer seine Verkehrsdienste erbringt, an den er danach zurückkehrt, an dem er Anweisungen dazu erhält und seine Arbeit organisiert und an dem sich die Arbeitsmittel befinden. Außerdem ist dabei der Ort zu berücksichtigen, an dem die Flugzeuge stationiert sind, in denen die Arbeit gewöhnlich verrichtet wird.

Begriff "Heimatbasis" wichtiges Indiz für Bestimmung des Ortes der gewöhnlichen Arbeit

Da diese indizi­en­ge­stützte Methode anzuwenden ist und außerdem die Verwirklichung von Umgehungs­stra­tegien verhindert werden soll, kann der Begriff des "Ortes, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich sein Arbeit verrichtet", mit keinem Begriff aus einem anderen Unionsrechtsakt, auch nicht mit dem der "Heimatbasis" in einer die Zivilluftfahrt betreffenden Unions­ver­ordnung, gleichgesetzt werden. Trotzdem ist der Begriff "Heimatbasis" unter den vorliegenden Umständen ein wichtiges Indiz für die Bestimmung des Ortes, von dem aus ein Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet.

Die "Heimatbasis" verlöre nur dann ihre Relevanz für die Bestimmung des "Ortes, von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet", wenn Klageanträge unter Berück­sich­tigung aller möglichen tatsächlichen Umstände des Falles eine engere Verknüpfung mit einem anderen Ort als der "Heimatbasis" aufwiesen.

Mitgliedsstaat der gewöhnlichen Arbeit ist nicht mit Mitgliedsstaat der Staats­an­ge­hö­rigkeit der Flugzeuge des Arbeitsgebers gleichzusetzen

Die Feststellung, dass der Begriff des Ortes, an dem oder von dem aus der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, mit keinem anderen Begriff gleichgesetzt werden kann, gilt auch in Bezug auf die "Staats­zu­ge­hö­rigkeit" von Flugzeugen. Daher ist der Mitgliedstaat, von dem aus ein Mitglied des bei einer Fluggesellschaft beschäftigten oder ihr zur Verfügung gestellten Flugpersonals gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, auch nicht mit dem Mitgliedstaat gleichzusetzen, dessen Staats­zu­ge­hö­rigkeit die Flugzeuge dieser Flugge­sell­schaft haben.

Erläuterungen

* Art. 19 Nr. 2 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

** Dieser Begriff wird definiert als der Ort, an dem das Flugpersonal systematisch seinen Arbeitstag beginnt und beendet sowie seine tägliche Arbeit organisiert und in dessen Nähe es für die Dauer des Vertrags­ver­hält­nisses seinen tatsächlichen Wohnsitz begründet hat und dem Luftfahrt­un­ter­nehmer zur Verfügung steht.

*** Verordnung (EWG) Nr. 3922/91 des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Harmonisierung der technischen Vorschriften und der Verwal­tungs­ver­fahren in der Zivilluftfahrt (ABl. 1991, L 373, S. 4) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1899/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 (ABl. 2006, L 377, S. 1) geänderten Fassung.

Quelle: Gerichtshof der europäischen Union/ra-online

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