21.11.2024
21.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
ergänzende Informationen

Bayerischer Verfassungsgerichtshof Urteil14.03.2019

Verbot zum Tragen religiös oder weltanschaulich geprägter Symbole oder Kleidungsstücke für Richter/innen und Staatsanwälte/innen zulässigVerbot ist mit Bayerischer Verfassung vereinbar

Der Bayerischer Verfassungs­gerichts­hof hat entschieden, dass das Verbot für Richterinnen und Richter, Staats­an­wäl­tinnen und Staatsanwälte sowie Landes­an­wäl­tinnen und Landesanwälte in Verhandlungen sowie bei allen Amtshandlungen mit Außenkontakt keine sichtbaren religiös oder weltanschaulich geprägten Symbole oder Kleidungsstücke tragen dürfen, zulässig ist.

Gegenstand des Popula­r­kla­ge­ver­fahrens war eine Regelung, wonach Richterinnen und Richter, Staats­an­wäl­tinnen und Staatsanwälte sowie Landes­an­wäl­tinnen und Landesanwälte in Verhandlungen sowie bei allen Amtshandlungen mit Außenkontakt keine sichtbaren religiös oder weltanschaulich geprägten Symbole oder Kleidungsstücke tragen dürfen, die Zweifel an ihrer Unabhängigkeit, Neutralität oder ausschließ­lichen Bindung an Recht und Gesetz hervorrufen können.

Antragssteller rügen Verstöße gegen Glaubens- und Gewis­sens­freiheit sowie gegen Gleichheitssatz

Die Antragsteller des zugrunde liegenden Falls, eine islamische Religi­o­ns­ge­mein­schaft und deren Präsident, rügten Verstöße gegen die Glaubens- und Gewis­sens­freiheit sowie gegen den Gleichheitssatz. Die Regelung sei mit dem Ziel geschaffen worden, Richterinnen mit Kopftuch von den Verhandlungen auszuschließen. Jedoch werde weiterhin das Kreuz in den Verhand­lungs­räumen erlaubt. Ein Gesetz allein für eine bestimmte Religionsgruppe zu schaffen, verstoße gegen die Grundsätze der Bayerischen Verfassung.

Der Bayerische Landtag und die Bayerische Staatsregierung hielten die Popularklage für unbegründet.

Verbot mit Bayerischer Verfassung vereinbar

Der Bayerische Verfas­sungs­ge­richtshof wies die Popularklage ab. Art. 11 Abs. 2 BayRiStAG, der Richtern und Richterinnen, Staatsanwälten und Staats­an­wäl­tinnen sowie Landesanwälten und Landes­an­wäl­tinnen unter bestimmten Voraussetzungen das Tragen religiös oder weltanschaulich geprägter Symbole oder Kleidungsstücke in Verhandlungen sowie bei Amtshandlungen mit Außenkontakt verbietet, sei mit der Bayerischen Verfassung vereinbar.

Person des Amtsträgers muss bei Ausübung der übertragenen Funktion tendenziell hinter Amt zurücktreten

Das Verbot greife in die durch Art. 107 Abs. 1 und 2 Bayerische Verfassung (BV) verbürgte Glaubens- und Gewis­sens­freiheit der betroffenen Amtsträger ein. Im Widerstreit hierzu stünden die negative Glaubens- und Bekennt­nis­freiheit der Prozess­be­tei­ligten und die Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität im Bereich der Justiz. Bei der Abwägung der kollidierenden Verfas­sungsgüter habe der Gesetzgeber insbesondere berücksichtigen dürfen, dass die Person des Amtsträgers bei der Ausübung der übertragenen Funktion tendenziell hinter dem Amt zurücktritt.

Tragen religiös konnotierter Kleidung oder Symbole kann nicht Bereich der privaten Selbst­dar­stellung des Amtsträgers zugeordnet werden

Art. 11 Abs. 2 BayRiStAG verstoße laut Bayerischem Verfas­sungs­ge­richtshof nicht gegen die Glaubens- und Gewis­sens­freiheit (Art. 107 Abs. 1 und 2 BV). Das Grundrecht der Amtsträger auf freie Bekundung ihres Glaubens stehe im Widerstreit zur negativen Glaubens- und Bekennt­nis­freiheit der Prozess­be­tei­ligten. Hieraus ergebe sich zwar grundsätzlich kein Anspruch darauf, fremde Glaubens­be­kun­dungen oder Symbole zu unterbinden oder durch den Staat vor der Konfrontation mit fremden Glaubens­be­zeu­gungen geschützt zu werden. Etwas anderes gelte jedoch dann, wenn der Einzelne durch eine vom Staat geschaffene Lage ohne Ausweich­mög­lich­keiten dem Einfluss eines bestimmten Glaubens oder seiner Symbole ausgesetzt werde. Für die Prozess­be­tei­ligten stelle es eine unausweichliche Situation in diesem Sinn dar, wenn sie dem Zwang ausgesetzt würden, an einer Gerichts­ver­handlung teilzunehmen, an der staatliche Repräsentanten mitwirken, die ein religiöses oder weltan­schau­liches Bekenntnis nach außen kund tun. Bei der Tätigkeit in der Gerichts­ver­handlung oder bei sonstigen gerichtlichen Amtshandlungen mit Außenwirkung trete die Wahrnehmung der staatlichen Funktion in den Vordergrund. Daher könne das Tragen religiös konnotierter Kleidung oder Symbole auch nicht dem Bereich der privaten Selbst­dar­stellung des Amtsträgers zugeordnet werden.

Verfas­sungs­recht­liches Gebot der Neutralität der Gerichte könnte beeinträchtigt werden

Das Grundrecht der Amtsträger auf freie Bekundung ihres Glaubens stehe ferner im Widerstreit zur Pflicht des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität, die in besonderer Weise für den Bereich der Justiz gelte, so das Gericht. Der Staat müsse gewährleisten, dass die Gerichte mit Richtern besetzt sind, die unabhängig und unparteilich sind und die Gewähr von Neutralität und Distanz gegenüber den Verfah­rens­be­tei­ligten bieten. Im Gegensatz dazu stehe das Tragen religiös oder weltanschaulich konnotierter Kleidungsstücke oder Symbole. Da dies grundsätzlich geeignet sei, Zweifel an der Unvor­ein­ge­nom­menheit des jeweiligen Amtsträgers zu begründen, werde das verfas­sungs­rechtliche Gebot der Neutralität der Gerichte beeinträchtigt.

Grundrecht der Amtsträger auf freie Bekundung des Glaubens muss zurücktreten

Der Gesetzgeber habe im Fall des Aufein­an­der­treffens wider­strei­tender Verfas­sungsgüter einen möglichst schonenden Ausgleich zwischen den kollidierenden verfas­sungs­rechtlich geschützten Werten zu schaffen. Hier habe er bei seiner Abwägung die institutionelle Neutralität der Justiz in Übereinstimmung mit der verfas­sungs­recht­lichen Wertordnung als besonders schützenswertes Gut angesehen. Auf der anderen Seite habe er berücksichtigen dürfen, dass die Person des Amtsträgers bei der Ausübung der ihm übertragenen Funktion tendenziell hinter seinem Amt zurücktrete und bei der privaten Selbst­dar­stellung im Rahmen der Amtstätigkeit das Gebot der Mäßigung gelte. Dementsprechend sei es verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Gesetzgeber den Verfas­sungs­gütern, die mit dem Verbot geschützt werden, größeres Gewicht beigemessen habe als der mit der angegriffenen Regelung verbundenen Beein­träch­tigung des Grundrechts der Amtsträger auf freie Bekundung ihres Glaubens.

Gleichheitssatz nicht verletzt

Der Gleichheitssatz des Art. 118 Abs. 1 BV sei laut Verfas­sungs­ge­richtshof nicht verletzt. Der Popularklage sei nicht zu entnehmen, woraus die Antragsteller einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz herleiten wollen. Sie zeige insbesondere nicht auf, dass das angegriffene Verbot zwischen einzelnen Religionen oder Weltan­schauungen unterscheiden würde. Ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz könne nicht damit begründet werden, dass Kreuze in Verhand­lungs­räumen weiterhin erlaubt seien. Die Ausstattung von Verhand­lungs­räumen betreffe ersichtlich einen anderen Sachverhalt als das Tragen von religiösen oder weltan­schau­lichen Symbolen durch die betroffenen Amtsträger. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Ausstattung des Verhand­lungsraums Angelegenheit der Gerichts­ver­waltung und daher nicht geeignet sei, Zweifel an der Unabhängigkeit und Neutralität des einzelnen Amtsträgers hervorzurufen.

Regelung betrifft nicht nur von Frauen getragene Kopftücher sondern auch von Männern getragene Kippa und Dastar

Gegen das Diskri­mi­nie­rungs­verbot des Art. 118 Abs. 2 Satz 1 BV werde nicht verstoßen, so das Gericht. Die angegriffene Regelung knüpfe nicht am biologischen Geschlecht des jeweiligen Amtsträgers an. Es sei auch nicht ersichtlich, dass in erster Linie Frauen beeinträchtigt würden. Art. 11 Abs. 2 BayRiStAG betreffe nicht nur das Tragen eines Kopftuchs aus religiösen Gründen, sondern vielmehr alle religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke oder Symbole, die Zweifel an der Unabhängigkeit, Neutralität oder ausschließ­lichen Bindung ihrer Trägerin oder ihres Trägers an Recht und Gesetz hervorrufen können. Hiervon umfasst seien auch Kleidungsstücke, die ausschließlich oder vorwiegend von Männern getragen würden, wie etwa die Kippa oder der Dastar. Im Übrigen verfolge der Gesetzgeber in verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstandender Weise das Ziel, Beein­träch­ti­gungen des verfas­sungs­recht­lichen Gebots der Neutralität der Justiz zu verhindern und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unabhängigkeit der Gerichte zu bewahren. Die angegriffene Regelung habe angesichts dieses Normziels objektiv nichts mit einer Differenzierung aufgrund des Geschlechts zu tun.

Quelle: Bayerischer Verfassungsgerichtshof/ra-online (pm)

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil27187

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI