21.11.2024
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Dokument-Nr. 12214

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Urteil31.08.2011BundesverwaltungsgerichtBVerwG 8 C 8.10 und BVerwG 9.10
Vorinstanzen zu BVerwG 8 C 8.10:
  • Verwaltungsgericht Köln, Urteil16.02.2006, 1 K 2683/04
  • Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil26.02.2010, 4 A 1499/06
Vorinstanzen zu BVerwG 8 C 9.10:
  • Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Urteil26.04.2005, 9 K 2905/03
  • Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil26.02.2010, 4 A 2008/05
ergänzende Informationen

Bundesverwaltungsgericht Urteil31.08.2011

BVerwG: Handwerks­rechtliche Beschränkung des Berufszugangs über Meisterprüfung oder Altgesellen-Regelung verfas­sungs­konformAbhängigkeit der Selbst­stän­digkeit von Meisterbrief oder sechsjähriger qualifizierter Berufserfahrung als "Altgeselle" gemäß Handwerks­ordnung mit Grundgesetz vereinbar

Die Handwerks­ordnung ist dann mit dem Grundgesetz vereinbar, wenn sie die selbstständige Ausübung bestimmter Handwerke im stehenden Gewerbe im Regelfall vom Bestehen der Meisterprüfung oder einer ihr gleich­ge­stellten Prüfung oder vom Nachweis einer sechsjährigen qualifizierten Berufserfahrung nach Ablegen der Gesellenprüfung („Altge­sel­len­re­gelung“) abhängig macht. Klagen auf Feststellung, dass bestimmte Tätigkeiten ohne einen solchen Quali­fi­ka­ti­o­ns­nachweis und ohne Eintragung in die Handwerksrolle ausgeübt werden dürfen, sind grundsätzlich gegen die Verwal­tungs­behörde zu richten, die für die Überwachung des Handwerks und das Untersagen illegaler handwerklicher Tätigkeiten zuständig ist. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts hervor.

Die Kläger der beiden entschiedenen Revisi­ons­ver­fahren, eine Friseurgesellin und ein Dachde­cke­r­geselle, machten jeweils geltend, sie dürften bestimmte Tätigkeiten ihres Berufs ohne Eintragung in die Handwerksrolle, ohne Ablegen der Meisterprüfung, ohne qualifizierte Berufserfahrung als Altgeselle und ohne eine Ausnah­me­be­wil­ligung selbstständig im stehenden Gewerbe ausüben. Entge­gen­stehende Regelungen der Handwerks­ordnung schränkten die Berufsfreiheit unver­hält­nismäßig ein und diskriminierten Inländer gegenüber Handwerkern aus dem EU-Ausland. Die Klägerin richtete ihre Klage gegen die Handwerkskammer, die sie aufgefordert hatte, ihren Betrieb zur Eintragung in die Handwerksrolle anzumelden. Der Kläger klagte gegen die für die Aufsicht im Handwerk zuständige Verwal­tungs­behörde, die bereits wegen des Vorwurfs illegaler Tätigkeit gegen ihn ermittelt hatte. In erster Instanz und vor dem Oberver­wal­tungs­gericht Münster blieben beide Klagen erfolglos. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat auch die Revisionen zurückgewiesen.

Kein feststel­lungs­fähiges Rechts­ver­hältnis zwischen Handwerkskammer und Klägerin vorhanden

Die Klage der Klägerin war unzulässig, weil zwischen ihr und der beklagten Handwerkskammer kein feststel­lungs­fähiges Rechts­ver­hältnis bestand. Die Klägerin wendete sich nicht gegen eine beabsichtigte Eintragung in die Handwerksrolle. Vielmehr war unstreitig, dass sie die Eintra­gungs­vor­aus­set­zungen nicht erfüllte. Sie begehrte deshalb die Feststellung, auch ohne Eintragung und ohne Erfüllen der Eintra­gungs­vor­aus­set­zungen zur Berufsausübung berechtigt zu sein. Insoweit besteht seit der grundlegenden Reform der Handwerks­ordnung zum 1. Januar 2004 ein Rechts­ver­hältnis nur noch zur Verwal­tungs­behörde. Diese allein ist befugt, Handwerks­be­triebe zu beaufsichtigen und gegen illegale handwerkliche Tätigkeiten einzuschreiten. Die dazu einzuholende Stellungnahme der Handwerkskammer wird nicht gegenüber dem Betroffenen, sondern nur im Verwal­tungs­ver­fahren gegenüber der Behörde abgegeben. Die Handwerkskammer hat auch nicht mehr das Initiativrecht, Unter­sa­gungs­ver­fahren einzuleiten.

Neue gesetzliche Beschränkung des Berufszugangs verhältnismäßig

Die Revision des Klägers hatte ebenfalls keinen Erfolg. Seine Feststel­lungsklage richtete sich zwar - zutreffend - gegen die Verwal­tungs­behörde, war aber unbegründet. Die von ihm beabsichtigte Berufsausübung setzt eine Eintragung in die Handwerksrolle voraus, weil mit dem Verlegen von Dachziegeln und Dachsteinen Tätigkeiten ausgeübt werden sollen, die für das Dachde­cke­r­handwerk wesentlich sind. Dass die Eintragung als Betriebsinhaber oder Betriebsleiter auch nach der Neuregelung der Handwerks­ordnung und der Abkehr vom strengen "Meisterzwang" nicht nur das Bestehen der Gesellenprüfung voraussetzt, sondern entweder einen Meisterbrief oder ein gleichwertiges Zeugnis (Großer Befähi­gungs­nachweis) oder eine sechsjährige Berufserfahrung als „Altgeselle“ mit mindestens vierjähriger Leitungs­funktion verlangt, verletzt nicht die Berufsfreiheit der Betroffenen. Die gesetzliche Beschränkung des Berufszugangs ist verhältnismäßig. Sie ist geeignet und erforderlich, Dritte vor den Gefahren zu schützen, die mit der Ausübung des Dachde­cke­r­handwerks verbunden sind. Auf die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Berufs­zu­gangs­re­gelung zur Sicherung der hohen Ausbil­dungs­leistung des Handwerks gerechtfertigt und insbesondere erforderlich sein kann, kam es danach nicht mehr an. Die Zugangs­be­schränkung führt auch nicht zu einer unangemessenen Belastung der Betroffenen. Mit der berufs­prak­tischen Qualifizierung als „Altgeselle“ eröffnet sie einen Berufszugang, der im Vergleich zur Meisterprüfung regelmäßig weniger belastend ist und im Wesentlichen den Anforderungen entspricht, die im EU-Ausland ausgebildete Handwerker bei einer Niederlassung im Inland erfüllen müssen. In den verbleibenden Abweichungen liegt keine unzulässige Inlän­der­dis­kri­mi­nierung. Die Berufs­zu­gangs­re­ge­lungen für Handwerker aus dem EU-Ausland sind europarechtlich vorgegeben. Der Gleichheitssatz verpflichtet den Gesetzgeber nicht, den Berufszugang für im Inland ausgebildete Handwerker ebenso auszugestalten.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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