21.11.2024
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Urteil15.03.2017BundesverwaltungsgerichtBVerwG 8 C 6.16 und BVerwG 8 C 9.16
Vorinstanzen zu BVerwG 8 C 6.16:
  • Verwaltungsgericht Koblenz, Urteil01.07.2015, 2 K 581/14.KO
  • Oberverwaltungsgericht Koblenz, Urteil16.12.2015, 10 A 10746/15
Vorinstanzen zu BVerwG 8 C 9.16:
  • Verwaltungsgericht Leipzig, Urteil09.02.2012, 5 K 716/13
  • Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil03.03.2016, 3 A 547/13
ergänzende Informationen

Bundesverwaltungsgericht Urteil15.03.2017

Auswahl von Unternehmen zur Auskunft für Dienst­leistungs­statistik ermes­sens­feh­lerhaftBVerwG zu den rechtlichen Grenzen der Heranziehung zu statistischen Stichproben­erhebungen

Das Bundes­verwaltungs­gericht hat entschieden, dass die derzeitige behördliche Praxis bei der Heranziehung von Unternehmen zur Auskunft für die Dienst­leistungs­statistik ermes­sens­feh­lerhaft ist.

Die Dienst­leis­tungs­sta­tistik gibt Auskunft über die Entwicklung der wirtschaft­lichen Tätigkeit im Dienst­leis­tungs­bereich. Ihre Datengrundlage ermitteln die Statistischen Landesämter durch jährliche bundesweite Befragung von höchstens 15 % der Unternehmen und freiberuflich tätigen Einrichtungen aus dem Dienst­leis­tungs­sektor zu deren wirtschaft­licher Tätigkeit. Die von der Erhebung betroffenen Unternehmen werden nach einem mathematisch-statistischen Verfahren (Neyman-Tschuprow-Verfahren) ausgewählt. Dabei werden alle potenziell auskunfts­pflichtigen Unternehmen zunächst nach Bundesland, Wirtschaftszweig und Umsatzgröße in Gruppen (Schichten) eingeteilt. Aus jeder dieser Schichten werden sodann auskunfts­pflichtige Unternehmen nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Nach dem von den Behörden gewählten mathematisch-statistischen Verfahren kann es in besonders kleinen und heterogenen Schichten geschehen, dass alle Unternehmen dieser Schicht zur Auskunft herangezogen werden (Totalschicht). Eine greifbare Chance auf Nicht­her­an­ziehung in Zukunft besteht für diese Unternehmen dann nicht.

Statistischen Landesämter halten Pflicht zur jährlichen Übermittlung von Unter­neh­mensdaten für ermes­sen­feh­lerfrei

Beide Kläger, eine Bauge­n­os­sen­schaft und eine Rechts­an­walts­kanzlei, gehören einer sogenannten Totalschicht an. Infolgedessen sind sie in der Vergangenheit regelmäßig jährlich verpflichtet worden, ihre Unter­neh­mensdaten an die Statistischen Landesämter zu übermitteln. Die Statistischen Landesämter halten dieses Vorgehen für ermes­sen­feh­lerfrei. Es beruhe auf einem anerkannten mathematisch-statistischen Verfahren, das im Rahmen des vorgegebenen Stich­pro­be­n­umfangs von 15 % der Dienst­leis­tungs­un­ter­nehmen eine optimale Ergeb­nis­ge­nau­igkeit sicherstelle. Während das Oberver­wal­tungs­gericht Bautzen der dortigen Klage stattgab (BVerwG 8 C 9.16), hatte die Klage vor dem Oberver­wal­tungs­gericht Koblenz keinen Erfolg (BVerwG 8 C 6.16).

BVerwG: Statistische Landesämter haben bei Auswahl der Unternehmen eingeräumtes Ermessen fehlerhaft ausgeübt

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die stattgebende Entscheidung des Oberver­wal­tungs­ge­richts Bautzen bestätigt und das gegenteilige Urteil des Oberver­wal­tungs­ge­richts Koblenz geändert. Die Statistischen Landesämter haben bei der Auswahl der beiden Unternehmen das ihnen eingeräumte Ermessen fehlerhaft ausgeübt. Der Zweck der Ermes­sen­s­er­mäch­tigung besteht bei einer Stich­pro­be­n­er­hebung in der Erzielung repräsentativer, d.h. für den Erhebungszweck (noch) hinreichend genauer statistischer Ergebnisse. Den Statis­tik­be­hörden kommt zwar ein fachwis­sen­schaft­licher Beurtei­lungs­spielraum für die Frage zu, welchen Grad an Genauigkeit die erzielten statistischen Ergebnisse danach erreichen müssen. Die Behörden haben hierzu jedoch keine fachwis­sen­schaftlich begründete Festlegung getroffen, sondern entgegen dem Zweck der Ermes­sen­s­er­mäch­tigung das Auswahl­ver­fahren allein auf die Erzielung möglichst genauer Ergebnisse ausgerichtet. Darin liegt zugleich ein Verstoß gegen den Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz, nämlich das Gebot der Erfor­der­lichkeit. Danach ist bei Stichproben dasjenige Auswahl­ver­fahren anzuwenden, bei dem repräsentative Ergebnisse mit der geringst­mög­lichen Belastung der Auskunfts­pflichtigen erzielt werden können.

Derzeit angewandtes Auswahl­ver­fahren führt zu nicht gerecht­fer­tigten Ungleich­be­hand­lungen

Darüber hinaus verstößt das von den Statistischen Landesämtern ausgeübte Auswahlermessen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Dieser fordert für das Auswahl­ver­fahren bei statistischen Stich­pro­be­n­er­he­bungen, dass die Belastung gleichmäßig auf die Auskunfts­pflichtigen Unternehmen verteilt wird, soweit der Zweck der Erzielung repräsentativer Ergebnisse dies zulässt. Das von den Statistischen Landesämtern angewandte Auswahl­ver­fahren mit dem Ziel einer optimalen Ergeb­nis­ge­nau­igkeit führt hingegen zu einer über die Jahre anwachsenden und nicht gerecht­fer­tigten Ungleich­be­handlung von Unternehmen, die einer Totalschicht angehören, gegenüber solchen Unternehmen, die einer regelmäßig rotierenden Schicht zugeordnet sind.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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