18.10.2024
18.10.2024  
Sie sehen mehrere Chips und Würfel, wie sie im Casino verwendet werden.

Dokument-Nr. 23614

Drucken
Urteil16.12.2016BundesverwaltungsgerichtBVerwG 8 C 6.15, BVerwG 8 C 7.15, BVerwG 8 C 8.15, BVerwG 8 C 4.16, BVerwG 8 C 5.16, BVerwG 8 C 8.16
Vorinstanz:
  • Vorinstanzen zu BVerwG 8 C 6.15 OVG Berlin-Brandenburg, 1 B 5.13 - Urteil vom 11. Juni 2015 - VG Berlin, 4 K 336.12 - Urteil vom 01. März 2013 - Vorinstanzen zu BVerwG 8 C 7.15 OVG Berlin-Brandenburg, 1 B 13.13 - Urteil vom 11. Juni 2015 - VG Berlin, 4 K 24.13 - Urteil vom 12. April 2013 - Vorinstanzen zu BVerwG 8 C 8.15 OVG Berlin-Brandenburg, 1 B 23.14 - Urteil vom 11. Juni 2015 - VG Berlin, 4 K 357.12 - Urteil vom 29. November 2013 - Vorinstanzen zu BVerwG 8 C 4.16 OVG Koblenz, 6 A 10788/14 - Urteil vom 10. März 2015 - VG Neustadt/Weinstraße, 5 K 782/13.NW - Urteil vom 20. Mai 2014 - Vorinstanzen zu BVerwG 8 C 5.16 OVG Berlin-Brandenburg, 1 B 19.13 - Beschluss vom 12. Januar 2016 - VG Berlin, 4 K 26.13 - Urteil vom 05. Juli 2013 - Vorinstanzen zu BVerwG 8 C 8.16 OVG Berlin-Brandenburg, 1 B 41.14 - Urteil vom 10. März 2016 - VG Berlin, 4 K 344.12 - Urteil vom 15. Februar 2013 -
ergänzende Informationen

Bundesverwaltungsgericht Urteil16.12.2016

Landes­rechtliche Einschränkungen für Spielhallen in Berlin und Rheinland-Pfalz rechtmäßigBeschränkungen für Erlaubnis und Betrieb von Spielhallen verstoßen nicht gegen Verfassungs- oder Unionsrecht

Das Bundes­verwaltungs­gericht hat entschieden, dass die vom Berliner Landes­ge­setzgeber eingeführten Beschränkungen für die Erlaubnis und den Betrieb von Spielhallen nicht gegen Verfassungs- oder Unionsrecht verstoßen. Auch eine in Rheinland-Pfalz für Spielhallen geschaffene Abstands­re­gelung zu Einrichtungen für Minderjährige ist verfas­sungs­konform.

Seit 2006 sind die Länder nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG zum Erlass von Gesetzen im Bereich des "Rechts der Spielhallen" befugt. Die Betreiberinnen von Spielhallen an vier bestehenden und einem geplanten Standort in Berlin haben - in verschiedenen Fallkon­stel­la­tionen - gegen Einschränkungen geklagt, die das Land Berlin mit seinem Spiel­ha­l­len­gesetz und dem ergänzenden Minde­st­ab­s­tand­s­um­set­zungs­gesetz neu eingeführt hat. Diese betreffen insbesondere Mindestabstände zu anderen Spielhallen sowie zu überwiegend von Minderjährigen genutzten Einrichtungen, das Verbot mehrerer Spielhallen an einem Standort, das Auslaufen bestehender Erlaubnisse verbunden mit einem Auswahl­ver­fahren zwischen Bestandss­piel­hallen, die Verminderung der Höchstzahl von Geldspiel­au­tomaten und einen Mindestabstand zwischen ihnen innerhalb der Spielhalle sowie eine verlängerte Sperrzeit und Werbe­be­schrän­kungen für Spielhallen, deren Vereinbarkeit mit Verfassungs- und Unionsrecht von den Klägerinnen bestritten wird. Das rheinland-pfälzische Verfahren betrifft die Ablehnung eines Antrages auf Erteilung einer Spiel­ha­l­le­n­er­laubnis wegen einer nahe gelegenen Jugend­frei­zei­t­ein­richtung.

Länder dürfen sämtliche Voraussetzungen für Erlaubnis von Spielhallen regeln

Sämtliche Klagen waren in den beiden Vorinstanzen abgewiesen worden. Die Revisionen der Klägerinnen blieben ohne Erfolg. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht entschied, dass die Länder auf Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG sämtliche Voraussetzungen für die Erlaubnis von Spielhallen und die Art und Weise ihres Betriebs regeln dürfen. Bezüglich der Spielgeräte ist dem Bund im Rahmen des Kompetenztitels "Recht der Wirtschaft" die Befugnis zur Regelung der für die Handelbarkeit relevanten produkt­be­zogenen Anforderungen verblieben. Für diese Auslegung spricht die Entste­hungs­ge­schichte.

"Recht der Spielhallen" darf von Ländern eigenständig gestaltet werden

Im Rahmen der Födera­lis­mus­reform I wurde das "Recht der Spielhallen" als ein überwiegend auf regionale Sachverhalte bezogener Bereich identifiziert, der deshalb von den Ländern ohne Beein­träch­tigung der Wirtschaft­s­einheit des Bundesgebiets eigenständig gestaltet werden kann. Der Wortlaut, die Systematik sowie Sinn und Zweck des Kompetenztitels bestätigen diese entste­hungs­ge­schichtliche Auslegung. Sämtliche der in den anhängigen Verfahren angegriffenen Spiel­ha­l­len­re­ge­lungen lassen sich danach dem "Recht der Spielhallen" als ausschließliche Gesetz­ge­bungs­materie der Länder zuordnen. Die Abstandsgebote zu anderen Spielhallen sind nicht Teil des "Bodenrechts" nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG, da sie nicht auf einen Ausgleich der verschiedenen Nutzungs­in­teressen am Grund und Boden ausgerichtet sind. Die Abstandsgebote zu Einrichtungen für Minderjährige unterfallen nicht der "öffentlichen Fürsorge" i.S.d. Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG, sondern regeln den Schutz von Minderjährigen im Zusammenhang mit den auf die Prävention und Bekämpfung der Spielsucht ausgerichteten landes­recht­lichen Regelungen zur Zulassung und zum Betrieb von Spielhallen.

Streit­ge­gen­ständ­lichen Regelungen dienen Bekämpfung und Prävention von Spielsucht

Die angegriffenen Spiel­ha­l­len­re­ge­lungen sind mit der Berufsfreiheit der klagenden Spielhallenbetreiber vereinbar. Sie schränken nicht die Berufswahl, sondern nur die Berufsausübung ein, da nach den tatrich­ter­lichen Feststellungen innerhalb des Regelungs­be­reichs des Spiel­ha­l­len­ge­setzes im Rahmen des baurechtlich Zulässigen auf andere Standorte ausgewichen werden kann und ein wirtschaft­licher Betrieb einer Spielhalle auch unter den neuen rechtlichen Anforderungen nicht ausgeschlossen ist. Im Übrigen wären selbst die für Berufs­zu­gangs­re­ge­lungen geltenden verfas­sungs­recht­lichen Maßstäbe eingehalten. Sämtliche streit­ge­gen­ständ­lichen Regelungen dienen dem überragend wichtigen Gemeinwohlziel der Bekämpfung und Prävention von Spielsucht. Das Oberver­wal­tungs­gericht Berlin-Brandenburg hat festgestellt, dass die meisten Spieler mit problematischem oder pathologischem Spielverhalten an gewerblich zugelassenen Automaten spielen und daher ein erhebliches Suchtpotenzial besteht.

Maßnahmen zur Bekämpfung von Spielsucht verhältnismäßig

Auf der Grundlage der weiteren Feststellungen des Oberver­wal­tungs­ge­richts Berlin- Brandenburg und des dem Landes­ge­setzgeber eingeräumten Spielraums bei der Einschätzung der Suchtgefährdung sowie der Eignung und Erfor­der­lichkeit sucht­be­kämp­fender Maßnahmen ist auch von der Verhält­nis­mä­ßigkeit aller angegriffenen Regelungen auszugehen. Das Gebot eines Mindestabstands zu anderen Spielhallen und das Verbot mehrerer Spielhallen an einem Standort verringern die Spielanreize und damit das Suchtpotenzial durch Reduzierung der Anzahl und Dichte von Spielhallen sowie Spielgeräten. Das insoweit im Minde­st­ab­s­tand­s­um­set­zungs­gesetz von Berlin vorgesehene Auswahl- ("Sonder"-)verfahren zwischen Bestandss­piel­hallen begegnet in dem - hier allein zur Prüfung gestellten - Fall eines Verbunds mehrerer Spielhallen eines Betreibers keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken. Es orientiert sich zunächst an den gesetzlich vorgegebenen qualitativen Kriterien, ermittelt grund­rechts­schonend die maximale Zahl verbleibender Standorte von Bestandss­piel­hallen und sieht einen Losentscheid erst zwischen den hiernach auf gleicher Stufe stehenden Bestands­s­tan­dorten vor. Der Mindestabstand zu Einrichtungen für Minderjährige schützt die Kinder und Jugendlichen im Interesse der Suchtprävention vor einer Gewöhnung an Spielhallen als Teil ihres täglichen Lebensumfeldes um Bildungs- und Freizei­t­ein­rich­tungen. Soweit eine Gefährdung von Minderjährigen wegen der räumlichen Verhältnisse im konkreten Fall nicht besteht, sehen die Landesgesetze von Berlin und Rheinland-Pfalz Ausnah­memög­lich­keiten vor. Die verschiedenen Anforderungen an die Aufstellung von Spielautomaten in den Spielhallen und deren Betrieb dienen ebenfalls der Rückführung von Spielanreizen zur Bekämpfung der Spielsucht.

Spielautomaten in Gaststätten haben nicht vergleichbaren Spielanreiz wie Automaten in Spielhallen

Die Eignung der angegriffenen Regelungen wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass auch in Gaststätten Spielautomaten aufgestellt werden dürfen (in Berlin bis zu drei, ab November 2019 zwei). Gegen entsprechende Ausweich­be­we­gungen der Spieler spricht das unter­schiedliche Gepräge von Spielhallen und Gaststätten, da bei Letzteren die Verabreichung von Speisen und Getränken im Vordergrund steht und regelmäßig eine Sozialkontrolle durch Nichtspieler stattfindet. Das Oberver­wal­tungs­gericht Berlin- Brandenburg hat zu Recht angenommen, dass die Eignung auch nicht deshalb entfällt, weil illegale Formen des Spiels an Spielautomaten in der Schein­ga­s­tronomie selbst dann nicht vollständig unterbunden werden können, wenn - wie hier - kein im Spiel­ha­l­lenrecht angelegtes Vollzugsdefizit vorliegt. Die Zumutbarkeit der Regelungen kann nicht mit dem Einwand verneint werden, dass es an einem konsequenten Vorgehen des Gesetzgebers gegen die durch das Spielen an Spielautomaten hervorgerufene Spielsucht in Gaststätten und Spielbanken fehle. Das verfas­sungs­rechtliche Konsistenzgebot wurde für das staatliche Wettmonopol entwickelt und ist nicht ohne weiteres auf nicht monopolisierte Bereiche wie das Spiel­ha­l­lenrecht übertragbar. Unabhängig davon unterscheiden sich die verschiedenen Regelungs­be­reiche nach den Feststellungen des Oberver­wal­tungs­ge­richts Berlin-Brandenburg deutlich. Von Spielautomaten in Gaststätten geht wegen des unter­schied­lichen Gepräges kein vergleichbar intensiver Spielanreiz aus wie von Spielhallen. Spielbanken sind im täglichen Lebensumfeld nicht annähernd gleich zugänglich wie Spielhallen; außerdem unterliegen die Spieler dort intensiveren Zugangs- und Verhal­tens­kon­trollen. Angesichts dieser Unterschiede sind die Einschränkungen für Spielhallen auch mit dem Gleich­be­hand­lungs­grundsatz vereinbar. Soweit die Klägerinnen sich auf die grundrechtliche Gewährleistung des Eigentums berufen können, wird dieses durch die angegriffenen Regelungen als verhält­nis­mäßige Inhalts- und Schran­ken­be­stim­mungen ausgestaltet. Die Alterlaubnisse, die nach § 33 i Gewerbeordnung erteilt wurden und in Berlin spätestens sechs Monate nach Bekanntgabe der Auswah­l­ent­schei­dungen im sogenannten Sonderverfahren erlöschen, genießen als solche keinen eigen­tums­recht­lichen Schutz. Einzelfällen unzumutbarer Grund­rechts­be­ein­träch­ti­gungen tragen Härte­fa­ll­re­ge­lungen Rechnung. Solche Beein­träch­ti­gungen wurden hier nicht festgestellt.

Unions­recht­liches Kohärenzgebot steht Anwendbarkeit der streit­ge­gen­ständ­lichen Regelungen nicht entgegen

Die Anwendbarkeit der angegriffenen Spiel­ha­l­len­re­ge­lungen wird auch nicht durch Unionsrecht ausgeschlossen. Das Spiel­ha­l­len­gesetz Berlin war nicht nach Art. 8 der Richtlinie 98/34/EG an die EU-Kommission zu notifizieren, da es keine "technische Vorschrift" im Sinne der Richtlinie enthält. Es schließt die Verwendung von Spielgeräten in Spielhallen nicht aus und verringert damit nicht ihre "Nutzungskanäle". Das unions­rechtliche Kohärenzgebot steht der Anwendbarkeit der streit­ge­gen­ständ­lichen Regelungen nicht entgegen, weil nach den tatrich­ter­lichen Feststellungen keine der Klägerinnen selbst in ihrer Dienstleistungs- oder Nieder­las­sungs­freiheit verletzt ist. Im Übrigen steht das Kohärenzgebot, selbst wenn es im Glückss­pielrecht außerhalb des Monopol­be­reiches zu beachten wäre, lediglich "scheinheiligen" Regelungen mit einem tatsächlich nicht auf Suchtbekämpfung gerichtetem Ziel sowie solchen Regelungen entgegen, die wegen einer gegenläufigen Glückss­piel­politik in Bereichen mit gleichem oder höherem Suchtpotenzial keine Wirksamkeit entfalten können. Das ist hier nicht zu erkennen.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Urteil23614

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI