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- Deutsche Entwicklungshelferin darf nach Afghanistan ausreisenVerwaltungsgericht Braunschweig, Urteil04.04.2017, 4 A 383/16
- Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Urteil23.02.2018, 11 LC 177/17
Bundesverwaltungsgericht Urteil29.05.2019
Beschränkung des Geltungsbereichs eines Passes im Hinblick auf eine Ausreise nach Afghanistan in Einzelfällen zulässigBeschränkungsbescheid bei Risiko einer Entführung mit anschließender Erpressung der Bundesrepublik Deutschland nicht zu beanstanden
Die zuständige Passbehörde kann den Geltungsbereich eines Passes im Hinblick auf die Ausreise in ein Land beschränken, wenn in diesem das konkret und individuell auf den Passinhaber bezogene Risiko einer Entführung besteht und mit einer anschließenden Erpressung der Bundesrepublik Deutschland durch die Entführer zu rechnen ist. Dies entschied das Bundesverwaltungsgericht.
Die Klägerin des zugrunde liegenden Verfahrens ist Vorsitzende eines Vereins, der sich der humanitären Hilfe für Menschen in Afghanistan widmet. Sie plante im Herbst des Jahres 2016, im Rahmen ihrer Tätigkeit für den Verein in die afghanische Region Kunduz zu reisen. Der Beklagten lagen als zuständiger Passbehörde Informationen des Bundeskriminalamtes und des Bundesnachrichtendienstes vor, die das in Afghanistan und in der Provinz Kunduz für Ausländer bestehende hohe Risiko, Opfer einer Entführung zu werden, sowie die Gefahr einer Erpressung der Herkunftsstaaten der Betroffenen durch die Entführer betrafen. Zudem lagen Hinweise vor, dass konkret die Klägerin dort entführt werden sollte. Unter Berufung auf diese Informationen beschränkte die Beklagte den Geltungsbereich des Reisepasses der Klägerin dergestalt, dass dieser nicht zur Ausreise nach Afghanistan berechtige. Wegen der im Fall einer Entführung der Klägerin drohenden erpresserischen Lösegeldforderung gegenüber dem Herkunftsstaat seien sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 PassG gefährdet. Die Beklagte befristete die Beschränkung zunächst auf ein Jahr.
Das Verwaltungsgericht Braunschweig gab der gegen den Bescheid gerichteten Anfechtungsklage statt. Auf die Berufung der Beklagten änderte das Oberverwaltungsgericht Lüneburg dieses Urteil und wies die Klage ab.
BVerwG erklärt Beschränkungsbescheid für rechtmäßig
Das Bundesverwaltungsgericht wies die Revision der Klägerin zurück. Das Oberverwaltungsgericht habe zutreffend entschieden, dass der von der Beklagten auf der Grundlage von § 8 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 und Abs. 2 Satz 1 PassG erlassene Beschränkungsbescheid rechtmäßig war. Nach diesen bundesrechtlichen Vorschriften könne der räumliche Geltungsbereich eines Passes beschränkt werden, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme begründen, dass der Passinhaber sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland (d.h. andere als die innere oder äußere Sicherheit i.S.v. § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 und 2 PassG) gefährdet. Diese Vorschrift schränke die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistete Ausreisefreiheit in verfassungsgemäßer Weise ein. Ein sonstiger erheblicher Belang sei die Sicherung der Entscheidungs- und Handlungsfreiheit der für die Gestaltung der Außenpolitik verantwortlichen Organe der Bundesrepublik Deutschland. Dieser Belang sei im Fall der Klägerin in dem für die gerichtliche Beurteilung maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Beschränkungsbescheids gefährdet, so das Bundesverwaltungsgericht.
Entführung der Klägerin wahrscheinlich
Das Oberverwaltungsgericht habe die der Entscheidung der Beklagten zu Grunde liegenden Tatsachen auf der Grundlage der durch das Verwaltungsgericht durchgeführten Beweisaufnahme für das Bundesverwaltungsgericht bindend festgestellt. Danach liege ein tragfähiger Hinweis auf die Absicht einer Gruppe von afghanischen Aufständischen vor, die Klägerin zu entführen. Des Weiteren sei ein wirksamer Schutz der Klägerin vor einer solchen Entführung nicht gegeben und es wäre eine Erpressung der Bundesrepublik Deutschland zu erwarten gewesen. Die darauf gestützte Annahme einer Gefährdung sei aus revisionsgerichtlicher Sicht nicht zu beanstanden.
Gesetzliche Vorschrift enthalten spezialgesetzliche Regelung der Verantwortlichkeit
Der angegriffene Bescheid sei nicht deshalb rechtswidrig, weil nicht schon die Klägerin mit ihrer Ausreise, sondern erst Dritte durch die Entführung die genannte Gefahr unmittelbar verursacht hätten, so das Gericht. Denn die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 PassG enthalte eine spezialgesetzliche Regelung der Verantwortlichkeit, die den allgemeinen Grundsätzen des Polizei- und Ordnungsrechts über die Störerhaftung vorgeht. Dies ergebe sich v.a. aus dem Sinn und Zweck der Norm. Diese verlagere aus Gründen der effektiven Gefahrenabwehr den Rechtsgüterschutz vor, weil deutsche Stellen in dem Zeitpunkt, in dem sich die Gefährdung im Ausland realisiere, wegen des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips und faktisch an einem Einschreiten mit vergleichbarer Wirksamkeit gehindert sind.
Die auf ein Jahr befristete Passbeschränkung erweist sich auch als ermessensfehlerfrei und verhältnismäßig.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 31.05.2019
Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online (pm/kg)
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