21.11.2024
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Dokument-Nr. 21375

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Bundesverwaltungsgericht Urteil29.07.2015

Legasthenie: Hinweis auf Nichtbewertung von Recht­schreib­leistungen in bayerischen Abitur­zeug­nissen bleibt bestehenBVerwG verneint Anspruch auf Notenschutz ohne dessen Dokumentation

Schüler mit einer fachärztlich festgestellten Lese- und Recht­schreib­störung (Legasthenie), deren Recht­schreib­leistungen aufgrund eines Erlasses der bayerischen Schulverwaltung für die Benotung im Abitur nicht bewertet wurden, können nicht verlangen, dass ein Hinweis auf diese abweichende Leistungs­be­wertung im Abiturzeugnis gestrichen wird. Dies entschied das Bundes­verwaltungs­gericht.

Der Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens besuchte ein Gymnasium in Bayern. Er leidet an einer fachärztlich festgestellten Legasthenie. Er erhielt deshalb auf seinen Antrag während der Oberstufe einschließlich der Abiturprüfungen einen Zeitzuschlag von 10 % für die Bearbeitung schriftlicher Prüfungs­a­r­beiten. Seine Lese- und Recht­schreib­leis­tungen wurden bei der Notengebung nicht berücksichtigt. Sein Abiturzeugnis enthält die Bemerkung: "Aufgrund einer fachärztlich festgestellten Legasthenie wurden Recht­schreib­leis­tungen nicht bewertet. In den Fremdsprachen wurden die schriftlichen und mündlichen Prüfungen im Verhältnis 1:1 bewertet." Diese Maßnahmen beruhen auf einem Erlass des Bayerischen Staats­mi­nis­teriums für Unterricht und Kultus.

Entscheidungen der Vorinstanzen

Das Verwal­tungs­gericht München hat den beklagten Freistaat Bayern verpflichtet, dem Kläger ein Abiturzeugnis zu erteilen, in dem nur der Hinweis auf die fachärztlich festgestellte Legasthenie als Grund für die fehlende Bewertung der Recht­schreib­leis­tungen gestrichen ist. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat der Bayerische Verwal­tungs­ge­richtshof den Beklagten verpflichtet, dem Kläger ein Abiturzeugnis ohne die beanstandeten Bemerkungen zu erteilen. Der Verzicht auf die Bewertung der Recht­schreib­leis­tungen legasthener Schüler und der Hinweis hierauf im Zeugnis bedürften einer gesetzlichen Grundlage, an der es in Bayern fehle.

Nachteils­aus­gleich bedarf keiner gesetzlichen Regelung und darf nicht im Zeugnis vermerkt werden

Auf die Revision des beklagten Freistaats hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht das erstin­sta­nzliche Urteil wieder­her­ge­stellt: Ob die Recht­schreib­leis­tungen legasthener Schüler mit Rücksicht auf deren Behinderung bei der Notengebung insbesondere in der Abiturprüfung nicht bewertet werden sollen, hat der Gesetzgeber zu entscheiden; ein bloßer Erlass der Schulverwaltung (hier des Kultus­mi­nis­teriums) reicht dafür nicht aus. Mit dieser als Notenschutz bezeichneten Maßnahme werden allge­mein­gültige, von der Person des Schülers unabhängige Anforderungen durch individuelle Anforderungen ersetzt, deren Bezugspunkt das Leistungs­vermögen des einzelnen Schülers ist. Eine Fachnote, die durch die Anwendung von Notenschutz zustande gekommen ist, enthält nicht mehr die Aussage, dass der Schüler den der jeweiligen Note entsprechenden Anforderungen genügt. Aufgrund der unter­schied­lichen Bewer­tungs­maßstäbe innerhalb einer Prüfung sind die Prüfungs­er­gebnisse nicht mehr vergleichbar. Dadurch unterscheidet sich der Notenschutz von anderen Maßnahmen, wie etwa die Verlängerung der Bearbei­tungszeit, durch die behin­de­rungs­be­dingte Erschwernisse ausgeglichen werden sollen, die es einem behinderten Schüler erschweren, sein an allge­mein­gültigen Maßstäben gemessenes tatsächlich vorhandenes Leistungs­vermögen wie ein nicht behinderter Schüler darzustellen. Ein solcher Nachteils­aus­gleich bedarf keiner gesetzlichen Regelung und seine Gewährung darf auch nicht im Zeugnis vermerkt werden. Anders als ein Notenschutz stellt er keine Bevorzugung behinderter Schüler dar, sondern soll nur möglichst gleiche äußere Prüfungs­be­din­gungen für die Erbringung der von allen geforderten Leistung sicherstellen.

Bisherige Praxis bleibt zumindest für die in der Vergangenheit liegenden Fälle bestehen

Fehlt es für den Notenschutz an einer gesetzlichen Grundlage, gilt dies auch für seine Folge, die entsprechende Bemerkung im Zeugnis. Beide sind rechtswidrig. Der Schüler kann aber nicht verlangen, dass die rechtswidrig zustande gekommene Note bestehen bleibt und nur der Vermerk getilgt wird, der die Abweichung von den sonst geltenden Leistungs­an­for­de­rungen dokumentiert. Es besteht auch aus dem verfas­sungs­recht­lichen Verbot, behinderte Menschen wegen ihrer Behinderung zu benachteiligen (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG), kein Anspruch auf Notenschutz ohne dessen Dokumentation im Zeugnis. Jedenfalls für die in der Vergangenheit liegenden Fälle bleibt es deshalb bei der bisherigen Praxis.

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat in einem weiteren Fall ebenso entschieden, in dem die Klage sich gegen eine entsprechende Bemerkung im Abiturzeugnis einer Schule in privater Trägerschaft richtete.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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