21.11.2024
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Bundesverwaltungsgericht Urteil20.11.2014

E-Zigarette ist kein Arzneimittel oder MedizinproduktPresse­mit­teilung des nordrhein-westfälischen Gesundheits­ministeriums mit Warnung vor E-Zigaretten und Liquids unzulässig

Das Bundes­verwaltungs­gericht hat in drei Revisi­ons­ver­fahren entschieden, dass nikotinhaltige Flüssigkeiten (sogenannte Liquids), die mittels elektronischer Zigaretten (sogenannte E-Zigaretten) verdampft und inhaliert werden, keine Arzneimittel sind und dementsprechend die E-Zigarette selbst kein Medizinprodukt ist.

Die Klägerin im ersten Verfahren betrieb in Wuppertal seit Dezember 2011 ein Ladengeschäft für E-Zigaretten und Zubehör. Im Februar 2012 untersagte ihr die beklagte Stadt den Vertrieb nikotinhaltiger Liquids in verschiedenen Stärken mit der Begründung, es handele sich um Arzneimittel, die wegen Fehlens der erforderlichen Zulassung nicht verkehrsfähig seien. Das Verwal­tungs­gericht hat die Klage gegen die Unter­sa­gungs­ver­fügung abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberver­wal­tungs­gericht das Urteil geändert und den angefochtenen Bescheid aufgehoben, weil die beanstandeten Liquids keine Arzneimittel seien.

Nikotinhaltige Liquids erfüllen nicht Voraussetzungen eines Präsen­ta­ti­o­ns­a­rz­nei­mittels

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Die nikotinhaltigen Liquids sind keine Arzneimittel im Sinne des Arznei­mit­tel­ge­setzes. Sie erfüllen nicht Voraussetzungen eines (sogenannten) Präsen­ta­ti­o­ns­a­rz­nei­mittels. Nach den das Revisi­ons­gericht bindenden tatsächlichen Feststellungen des Berufungs­ge­richts werden die Liquids nicht als Mittel zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten vermarktet ("präsentiert"); ebenso wenig lässt die Produk­tauf­machung beim Verbraucher den Eindruck eines Arzneimittels entstehen. Die Liquids sind auch keine (sogenannten) Funkti­o­ns­a­rz­nei­mittel.

Liquids haben keine therapeutische Eignung

Zwar ist Nikotin ein Stoff, der die menschlichen physiologischen Funktionen durch eine pharma­ko­lo­gische Wirkung nennenswert beeinflusst. Jedoch ist die Entscheidung, ob ein Erzeugnis unter die Definition des Funkti­o­ns­a­rz­nei­mittels fällt, von Fall zu Fall zu treffen; dabei sind alle Merkmale des Erzeugnisses zu berücksichtigen. Anhand dieser Gesamt­be­trachtung ist das Oberver­wal­tungs­gericht ohne Rechtsfehler zu dem Schluss gelangt, dass den Liquids keine Arznei­mit­te­lei­gen­schaft zukommt. Nach den berufungs­ge­richt­lichen Feststellungen fehlt den Liquids eine therapeutische Eignung, weil sich ein Nutzen der E-Zigarette als Hilfsmittel für eine dauerhafte Rauch- und Nikoti­nent­wöhnung wissen­schaftlich nicht belegen lässt. Entsprechend messen die Verbraucher nikotinhaltigen Liquids überwiegend keine arzneiliche Zweckbestimmung bei, sondern verwenden sie als Genussmittel.

Klägerin wendet sich gegen veröffentlichte Presse­mit­teilung des nordrhein-westfälischen Gesund­heits­mi­nis­teriums

In einem zweiten Verfahren wandte sich eine Herstellerin von E-Zigaretten und liquidhaltigen Filter­kar­tuschen gegen eine im Dezember 2011 veröffentlichte Presse­mit­teilung des nordrhein-westfälischen Gesund­heits­mi­nis­teriums. Darin wurde vor dem Handel und Verkauf von E-Zigaretten und Liquids gewarnt und u. a. darauf hingewiesen, dass nikotinhaltige Liquids nur mit einer arznei­mit­tel­recht­lichen Zulassung in den Verkehr gebracht werden dürften; E-Zigaretten dürften nur unter Einhaltung der Kennzeich­nungs­pflichten nach dem Medizin­pro­duk­te­gesetz vertrieben werden. Die Klage auf Unterlassung dieser Äußerungen ist vor dem Verwal­tungs­gericht ohne Erfolg geblieben. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberver­wal­tungs­gericht der Klage stattgegeben und dem beklagten Land die Äußerungen untersagt.

BVerwG: Öffentliche Äußerungen beeinträchtigt Wettbe­wer­b­s­po­sition der Klägerin und wirkt ähnlich wie Verkaufs­be­schränkung

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Revision des Beklagten zurückgewiesen. Die Klägerin kann die Unterlassung der amtlichen Äußerungen beanspruchen, weil das staatliche Infor­ma­ti­o­ns­handeln sie in ihrem Grundrecht auf freie Berufsausübung verletzt hat. Nach den Feststellungen des Oberver­wal­tungs­ge­richts beein­träch­tigten die öffentlichen Äußerungen die Wettbe­wer­b­s­po­sition der Klägerin am Markt faktisch ähnlich wie eine Verkaufs­be­schränkung.

Ministerium fehlt es für Äußerungen an gesetzlicher Ermäch­ti­gungs­grundlage

Wegen dieser verbot­s­ähn­lichen Wirkung war das Infor­ma­ti­o­ns­handeln ein funktionales Äquivalent zu einer klassischen Verwal­tungs­maßnahme mittels hoheitlicher Regelung und unterlag deshalb den dafür geltenden Recht­mä­ßig­keits­an­for­de­rungen. Danach waren die Äußerungen des Ministeriums rechtswidrig, weil es an einer gesetzlichen Ermäch­ti­gungs­grundlage fehlte. Zwar erlauben die Vorschriften des Arznei­mit­tel­ge­setzes und des Medizin­pro­duk­te­ge­setzes den Überwa­chungs­be­hörden erfor­der­li­chenfalls auch ein Handeln durch öffentliche Warnungen. Hier aber sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, weil die Liquids und E-Zigaretten nicht den arzneimittel- und medizin­pro­duk­te­recht­lichen Vorschriften unterfallen.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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