23.11.2024
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Dokument-Nr. 8160

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Bundesverwaltungsgericht Urteil14.07.2009

BVerwG zum möglichen Abschie­bungs­schutz bei Bürger­kriegs­ge­fahrenBei Lebensgefahr durch bloße Anwesenheit in einem Land, kann Abschie­bungs­schutz gewährt werden

Personen, in deren Herkunftsland Bürgerkrieg herrscht, können in Ausnahmefällen – bei besonders hoher Gefahrendichte, die eine ernsthaft individuelle Bedrohung darstellen kann – Anspruch auf Abschie­bungs­schutz haben. Dies entschied das Bundes­ver­wal­tungs­gericht.

Die Richtlinie 2004/83/EG des Rates der Europäischen Union (Quali­fi­ka­ti­o­ns­richtlinie)sieht für Personen, die nicht die Voraussetzungen für die Flücht­lings­a­n­er­kennung nach der Genfer Flücht­lings­kon­vention erfüllen, aber bei Rückkehr in ihr Herkunftsland anderweitig von einem ernsthaften Schaden bedroht wären, einen eigenen subsidiären Schutzstatus vor. Als Schaden gilt danach u.a. eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder inner­staat­lichen bewaffneten Konflikts (Art. 15 Buchst. c der Richtlinie, jetzt umgesetzt in § 60 Abs. 7 Satz 2 Aufent­halts­gesetz - AufenthG).

Sachverhalt

Die Kläger in den zwei Ausgangs­ver­fahren sind irakische Staats­an­ge­hörige, die 1999 bzw. 2001 nach Deutschland gekommen und wegen Verfolgung durch das Regime Saddam Husseins als Flüchtlinge anerkannt worden waren. Nach dem Sturz dieses Regimes im Jahre 2003 widerrief das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Anerkennungen und stellte fest, dass in Bezug auf den Irak auch keine auslän­der­recht­lichen Abschie­bungs­verbote bestehen. Die dagegen gerichteten Klagen hat der Verwal­tungs­ge­richtshof Baden-Württemberg im Berufungs­ver­fahren abgewiesen. Zu den - hier allein noch streitigen - auslän­der­recht­lichen Abschie­bungs­verboten, insbesondere zu dem nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, hat er ausgeführt, zwar gebe es in Teilen des Irak bürger­kriegs­ähnliche Ausein­an­der­set­zungen. Die Kläger seien hiervon jedoch nicht individuell bedroht, weil bei ihnen keine gefah­rer­hö­henden persönlichen Umstände vorlägen. Sie seien vielmehr nur den allgemeinen, für die gesamte Bevölkerung bestehenden Gefahren ausgesetzt.

Ernsthafte individuelle Bedrohung kann auch von allgemeinen Gefahren ausgehen

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Berufungs­ent­schei­dungen aufgehoben und die Verfahren zur weiteren Aufklärung an den Verwal­tungs­ge­richtshof zurückverwiesen. Der Senat hatte bereits mit Urteil vom 24. Juni 2008 entschieden, dass in Ausnahmefällen bei besonders hoher Gefahrendichte auch allgemeine Gefahren im Rahmen eines bewaffneten Konflikts eine ernsthafte individuelle Bedrohung im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Qualifikationsrichtlinie darstellen können, ohne dass individuelle gefahrerhöhende Umstände vorliegen. Diese Auffassung hat auch der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seinem inzwischen ergangenen Urteil vom 17. Februar 2009 zu Art. 15 Buchst. c der Quali­fi­ka­ti­o­ns­richtlinie geteilt. Danach kann bei allgemeinen Gefahren eine ernsthafte individuelle Bedrohung ausnahmsweise auch dann als gegeben angesehen werden, wenn der den bestehenden bewaffneten Konflikt kennzeichnende Grad willkürlicher Gewalt ein so hohes Niveau erreicht, dass eine Zivilperson allein durch die Anwesenheit in dem betroffenen Gebiet tatsächlich Gefahr liefe, einer solchen Bedrohung ausgesetzt zu sein. Da der Verwal­tungs­ge­richtshof dies nicht geprüft hat, konnten seine Entscheidungen keinen Bestand haben.

Möglicher interner Schutz in anderen Teilen des Herkunftslandes ist zu prüfen

Zu den rechtlichen Voraussetzungen, die in den erneuten Berufungs­ver­fahren zugrunde zu legen sind, hat der Senat insbesondere ausgeführt: Bei der Prüfung, ob die Kläger durch willkürliche Gewalt im Rahmen bewaffneter Ausein­an­der­set­zungen im Irak ernsthaft individuell bedroht sind, muss zunächst untersucht werden, ob und in welchen Gebieten des Irak ein inner­staat­licher bewaffneter Konflikt herrscht. Besteht ein solcher Konflikt nicht landesweit, kommt eine individuelle Bedrohung in der Regel nur in Betracht, wenn der Konflikt sich auf die Herkunftsregion der Kläger erstreckt, in die sie typischerweise zurückkehren. Ist für die maßgebliche Region eine individuelle Bedrohung entweder wegen gefah­rer­hö­hender individueller Umstände oder - ausnahmsweise - wegen eines besonders hohen Niveaus allgemeiner Gefahren im Rahmen des bewaffneten Konflikts anzunehmen, ist weiter zu prüfen, ob die Kläger in anderen Teilen des Irak, in denen derartige Gefahren nicht bestehen, internen Schutz finden können.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 44/09 des BVerwG vom 14.07.2009

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