18.10.2024
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Sie sehen drei Hände erschiedener Hautfarbe vor einer Weltkarte.

Dokument-Nr. 14754

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Urteil29.11.2012BundesverwaltungsgerichtBVerwG 10 C 4.12, BVerwG 5.12, BVerwG 11.12 und BVerwG 14.12
Vorinstanzen zu BVerwG 10 C 4.12:
  • Verwaltungsgericht Berlin, Urteil23.09.2009, 9 K 135.09.V
  • Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil25.10.2011, 11 B 3.10
Vorinstanzen zu BVerwG 10 C 5.12:
  • Verwaltungsgericht Berlin, Urteil20.07.2010, 29 K 154.10.V
  • Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil25.10.2011, 11 B 23.10
Vorinstanzen zu BVerwG 10 C 11.12:
  • Verwaltungsgericht Berlin, Urteil08.12.2010, 5 K 146.09.V
  • Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil23.02.2012, 2 B 6.22
Vorinstanzen zu BVerwG 10 C 14.12:
  • Verwaltungsgericht Berlin, Urteil21.09.2010, 11 K 542.09.V
  • Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil10.05.2012, 11 B 29.10
ergänzende Informationen

Bundesverwaltungsgericht Urteil29.11.2012

Sorge­recht­s­ent­schei­dungen ausländischer Stellen sind grundsätzlich anzuerkennenBVerwG zur Anerkennung ausländischer Sorge­recht­s­ent­schei­dungen im Visumverfahren

Deutsche Behörden und Gerichte müssen ausländische Sorge­recht­s­ent­schei­dungen im Visumverfahren grundsätzlich anerkennen. Sie dürfen diese nur dann außer Acht lassen, wenn ihre Anwendung mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar ist. Dies entschied das Bundes­ver­wal­tungs­gericht.

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hatte über mehrere Fälle zu entscheiden, in denen minderjährige Ausländer zu einem in Deutschland lebenden Elternteil nachziehen wollen. In drei Fällen war dem im Bundesgebiet lebenden Vater durch eine Entscheidung eines türkischen Gerichts, in einem Fall einer hier lebenden mongolischen Mutter das alleinige Sorgerecht übertragen worden.

Auswärtiges Amt erkennt ausländische Sorge­recht­s­ent­schei­dungen wegen Unvereinbarkeit mit öffentlicher Ordnung nicht an

Die Anträge auf Erteilung von Visa zum Zweck des Kindernachzugs wurden von den zuständigen deutschen Auslands­ver­tre­tungen abgelehnt. Das Auswärtige Amt war der Auffassung, dass die in § 32 Abs. 3 des Aufent­halts­ge­setzes (AufenthG) enthaltene Nachzugs­vor­aus­setzung der alleinigen Perso­nen­sor­ge­be­rech­tigung bei dem im Bundesgebiet lebenden Elternteil nicht vorliege. Die ausländischen Sorge­recht­s­ent­schei­dungen seien nicht anzuerkennen, da sie mit der öffentlichen Ordnung (ordre public) unvereinbar seien. In den die Türkei betreffenden Fällen hätten weder die Voraussetzungen für die Übertragung des Sorgerechts nach den Vorschriften des türkischen Familienrechts vorgelegen noch sei das Kindeswohl der Kläger von den türkischen Stellen ausreichend berücksichtigt worden. In dem Fall der Sorge­rechts­über­tragung in der Mongolei sei die bereits 14jährige Klägerin im gerichtlichen Verfahren nicht angehört worden, was mit rechts­s­taat­lichen Grundsätzen nicht vereinbar sei.

Sorge­recht­s­ent­schei­dungen der türkischen Gerichte auch im Hinblick auf das Kindeswohl nicht zu beanstanden

In den Verfahren der türkischen Kläger hat das Oberver­wal­tungs­gericht Berlin- Brandenburg die Bundesrepublik Deutschland zur Erteilung der beantragten Visa verpflichtet bzw. die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht ist der Rechts­auf­fassung des Berufungs­ge­richts zur Anerkennung der Sorge­recht­s­ent­schei­dungen gefolgt. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass diese Sorge­recht­s­ent­schei­dungen mit dem deutschen ordre public zu vereinbaren und deshalb aufent­halts­rechtlich zu respektieren sind. Nach Art. 16 des hier anzuwendenden Haager Minder­jäh­ri­gen­schutz-Übereinkommens kann eine von einem ausländischen Gericht getroffene Sorge­recht­s­ent­scheidung nur dann unbeachtet bleiben, wenn die Anwendung mit der öffentlichen Ordnung offensichtlich unvereinbar ist. Dieser ordre public-Vorbehalt schließt es grundsätzlich aus, ausländische Entscheidungen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen. Von Bedeutung ist bei einer ausländischen Sorge­rechts­über­tragung nur, ob das Entschei­dungs­er­gebnis in einem so starken Widerspruch zu dem Grundgedanken des Kindeswohls steht, dass es untragbar erscheint, oder die Entscheidung in einem Verfahren zustande gekommen ist, das grundlegenden rechts­s­taat­lichen Anforderungen nicht genügt. Daran gemessen sind die hier zugrun­de­lie­genden Sorge­recht­s­ent­schei­dungen der türkischen Gerichte nicht zu beanstanden. Die Kläger sind angehört worden und haben - wie auch ihre Mütter - der Sorge­rechts­über­tragung zugestimmt. Die zugrun­de­liegende wirtschaftliche Motivation, dem Kind durch die Übersiedlung nach Deutschland eine bessere Förderung und Ausbildung zu bieten, spricht nicht gegen das Kindeswohl.

BVerwG beanstandet teilweise Berechnungen zur Sicherung des Lebens­un­terhalts

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat zwei der Berufungs­urteile allerdings teilweise aufgehoben und die Sachen zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungs­gericht zurückverwiesen, weil die Berechnungen zur Sicherung des Lebens­un­terhalts (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 AufenthG) Anlass zur Beanstandung gaben.

Kind muss Möglichkeit zur Anhörung im gerichtlichen Verfahren gegeben werden

Im Fall der Klägerin aus der Mongolei hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht die strittige Sorge­recht­s­ent­scheidung nicht anerkannt. Denn es ist mit Grundprinzipien des deutschen Verfah­rens­rechts unvereinbar, im Sorge­rechts­ver­fahren dem Kind keine Gelegenheit zur Äußerung einzuräumen. Vielmehr hat eine Anhörung entweder unmittelbar vor dem entscheidenden Gericht oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle zu erfolgen. Ist dies - wie hier - nicht geschehen, ist der Sorge­rechts­über­tragung die Anerkennung in Deutschland zu versagen. In diesem Verfahren wird das Berufungs­gericht zu prüfen haben, ob sich ein Nachzugs­an­spruch aus einem anderen Rechtsgrund ergibt.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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