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Bundesverwaltungsgericht Urteil07.04.2009
BVerwG zum Rechtsanspruch auf Kindernachzug zu einem Elternteil in Deutschland bei geteiltem SorgerechtDer in Deutschland lebende Elternteil muss für Anspruch auf Kindernachzug das alleinige Sorgerecht haben
Bei getrennt lebenden Eltern besteht ein Nachzugsanspruch nach § 32 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c der Familienzusammenführungsrichtlinie nur, wenn allein der in Deutschland lebende Elternteil sorgeberechtigt ist. Dagegen scheidet ein Rechtsanspruch aus, wenn dem anderen Elternteil bei der Ausübung des Sorgerechts weiterhin substantielle Mitentscheidungsrechte und -pflichten zustehen, etwa in Bezug auf Aufenthalt, Schule und Ausbildung oder Heilbehandlung des Kindes. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in drei Parallelverfahren darüber entschieden, unter welchen Voraussetzungen ein Kind nach Umsetzung der Richtlinie 2003/86/EG des Rates der Europäischen Union (sog. Familienzusammenführungsrichtlinie) nach Deutschland nachziehen kann, wenn nur ein Elternteil hier lebt.
Mütter leben noch im Kosovo
Die Familien der Kläger stammen aus dem Kosovo bzw. Mazedonien, wo die drei Mütter weiterhin leben. Die Väter der Kläger kamen jeweils nach Heirat einer deutschen Ehefrau allein nach Deutschland und erhielten hier ein unbefristetes Aufenthaltsrecht. Vor Vollendung ihres 16. Lebensjahrs beantragten die Kläger die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu ihrem Vater und legten Urkunden ihres Herkunftsstaates vor, nach denen nunmehr dem Vater die Obhut und Erziehung der Kinder obliege. Die deutschen Auslandsvertretungen lehnten die Anträge ab. Mangels vollständiger Sorgerechtsübertragung auf den Vater nach kosovarischem bzw. mazedonischem Recht bestehe kein Rechtsanspruch auf Kindernachzug gemäß § 32 Abs. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Das Kindeswohl erfordere auch keinen Nachzug im Ermessenswege.
Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erlaubt Kindernachzug
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat die beklagte Bundesrepublik Deutschland dagegen zur Erteilung der beantragten Visa verpflichtet. Dabei hat es offen gelassen, ob dem Vater nach dem Familienrecht des Herkunftsstaates der Kläger das alleinige Sorgerecht zusteht und damit nach § 32 Abs. 3 AufenthG ein Rechtsanspruch besteht. Die Kläger hätten jedenfalls in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift einen Anspruch auf Kindernachzug. Dafür sei ausreichend, dass dem in Deutschland lebenden Elternteil das Sorgerecht nach dem Recht des Herkunftsstaates des Kindes im größtmöglichen Umfang übertragen worden sei.
Bundesverwaltungsgericht verlangt, dass bei getrennt lebenden Eltern, der in Deutschland lebende Elternteil allein sorgeberechtigt ist
Dieser Auffassung hat sich der 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts nicht angeschlossen. Auf die Revision der Beklagten hat er die Verfahren zur weiteren Aufklärung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen. Bei getrennt lebenden Eltern besteht ein Nachzugsanspruch nach § 32 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c der Familienzusammenführungsrichtlinie nur, wenn allein der in Deutschland lebende Elternteil sorgeberechtigt ist. Dagegen scheidet ein Rechtsanspruch aus, wenn dem anderen Elternteil bei der Ausübung des Sorgerechts weiterhin substantielle Mitentscheidungsrechte und -pflichten zustehen, etwa in Bezug auf Aufenthalt, Schule und Ausbildung oder Heilbehandlung des Kindes. Hiervon ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hinsichtlich des kosovarischen Familienrechts auszugehen; bezüglich Mazedoniens besteht insoweit noch tatsächlicher Klärungsbedarf. Für eine analoge Anwendung des § 32 Abs. 3 AufenthG auf Fälle, in denen das ausländische Recht eine vollständige Übertragung der Personensorge auf einen Elternteil nicht kennt, fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Problematik ist dem Gesetzgeber spätestens bei der Novellierung des Aufenthaltsgesetzes im Jahre 2007 bekannt gewesen. Er hat jedoch wegen der bestehenden Möglichkeit, in Härtefällen einen Nachzug im Ermessenswege zu gestatten (§ 32 Abs. 4 AufenthG), keinen Handlungsbedarf gesehen.
Weitere tatrichterliche Aufklärung ist erforderlich
Ob die Auslandsvertretungen von ihrem Ermessen fehlerfreien Gebrauch gemacht haben, hat das Berufungsgericht noch nicht geprüft. Dies kann ohne weitere tatrichterliche Aufklärung, insbesondere zur Betreuungssituation der Kläger im Heimatland und ihren familiären Bindungen, nicht beurteilt werden. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das Berufungsgericht prüfen müssen, ob die Beklagte ihr Ermessen nach der Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt, der auch für die gerichtliche Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen maßgeblich ist, fehlerfrei ausgeübt hat. Der 1. Senat hält insoweit an seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach bei Klagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels für die Kontrolle des behördlichen Ermessens auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen war, nicht mehr fest. Die Beklagte wird deshalb in dem weiteren gerichtlichen Verfahren ihre Ermessenserwägungen an etwaige Veränderungen der Sachlage anpassen müssen. Das Berufungsgericht wird auch zu prüfen haben, ob der Lebensunterhalt der Kläger im Bundesgebiet voraussichtlich ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert wäre. Bei dieser Prognose sind vom Einkommen des Vaters Unterhaltszahlungen an weitere Kinder abzuziehen.
© urteile.news (ra-online GmbH), Berlin 09.04.2009
Quelle: ra-online, Pressemitteilung des BVerwG
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