21.11.2024
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Dokument-Nr. 7705

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Bundesverwaltungsgericht Urteil07.04.2009

BVerwG zum Rechtsanspruch auf Kindernachzug zu einem Elternteil in Deutschland bei geteiltem SorgerechtDer in Deutschland lebende Elternteil muss für Anspruch auf Kindernachzug das alleinige Sorgerecht haben

Bei getrennt lebenden Eltern besteht ein Nachzugs­an­spruch nach § 32 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c der Famili­en­zu­sam­men­füh­rungs­richtlinie nur, wenn allein der in Deutschland lebende Elternteil sorgeberechtigt ist. Dagegen scheidet ein Rechtsanspruch aus, wenn dem anderen Elternteil bei der Ausübung des Sorgerechts weiterhin substantielle Mitent­schei­dungs­rechte und -pflichten zustehen, etwa in Bezug auf Aufenthalt, Schule und Ausbildung oder Heilbehandlung des Kindes. Dies hat das Bundes­ver­wal­tungs­gericht entschieden.

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat in drei Paral­lel­ver­fahren darüber entschieden, unter welchen Voraussetzungen ein Kind nach Umsetzung der Richtlinie 2003/86/EG des Rates der Europäischen Union (sog. Famili­en­zu­sam­men­füh­rungs­richtlinie) nach Deutschland nachziehen kann, wenn nur ein Elternteil hier lebt.

Mütter leben noch im Kosovo

Die Familien der Kläger stammen aus dem Kosovo bzw. Mazedonien, wo die drei Mütter weiterhin leben. Die Väter der Kläger kamen jeweils nach Heirat einer deutschen Ehefrau allein nach Deutschland und erhielten hier ein unbefristetes Aufent­haltsrecht. Vor Vollendung ihres 16. Lebensjahrs beantragten die Kläger die Erteilung eines Visums zum Familiennachzug zu ihrem Vater und legten Urkunden ihres Herkunfts­s­taates vor, nach denen nunmehr dem Vater die Obhut und Erziehung der Kinder obliege. Die deutschen Auslands­ver­tre­tungen lehnten die Anträge ab. Mangels vollständiger Sorge­rechts­über­tragung auf den Vater nach kosovarischem bzw. mazedonischem Recht bestehe kein Rechtsanspruch auf Kindernachzug gemäß § 32 Abs. 3 Aufent­halts­gesetz (AufenthG). Das Kindeswohl erfordere auch keinen Nachzug im Ermessenswege.

Oberver­wal­tungs­gericht Berlin-Brandenburg erlaubt Kindernachzug

Das Oberver­wal­tungs­gericht Berlin-Brandenburg hat die beklagte Bundesrepublik Deutschland dagegen zur Erteilung der beantragten Visa verpflichtet. Dabei hat es offen gelassen, ob dem Vater nach dem Familienrecht des Herkunfts­s­taates der Kläger das alleinige Sorgerecht zusteht und damit nach § 32 Abs. 3 AufenthG ein Rechtsanspruch besteht. Die Kläger hätten jedenfalls in entsprechender Anwendung dieser Vorschrift einen Anspruch auf Kindernachzug. Dafür sei ausreichend, dass dem in Deutschland lebenden Elternteil das Sorgerecht nach dem Recht des Herkunfts­s­taates des Kindes im größtmöglichen Umfang übertragen worden sei.

Bundes­ver­wal­tungs­gericht verlangt, dass bei getrennt lebenden Eltern, der in Deutschland lebende Elternteil allein sorgeberechtigt ist

Dieser Auffassung hat sich der 1. Senat des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts nicht angeschlossen. Auf die Revision der Beklagten hat er die Verfahren zur weiteren Aufklärung an das Oberver­wal­tungs­gericht zurückverwiesen. Bei getrennt lebenden Eltern besteht ein Nachzugs­an­spruch nach § 32 Abs. 3 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c der Famili­en­zu­sam­men­füh­rungs­richtlinie nur, wenn allein der in Deutschland lebende Elternteil sorgeberechtigt ist. Dagegen scheidet ein Rechtsanspruch aus, wenn dem anderen Elternteil bei der Ausübung des Sorgerechts weiterhin substantielle Mitent­schei­dungs­rechte und -pflichten zustehen, etwa in Bezug auf Aufenthalt, Schule und Ausbildung oder Heilbehandlung des Kindes. Hiervon ist nach den Feststellungen des Berufungs­ge­richts hinsichtlich des kosovarischen Familienrechts auszugehen; bezüglich Mazedoniens besteht insoweit noch tatsächlicher Klärungsbedarf. Für eine analoge Anwendung des § 32 Abs. 3 AufenthG auf Fälle, in denen das ausländische Recht eine vollständige Übertragung der Personensorge auf einen Elternteil nicht kennt, fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke. Die Problematik ist dem Gesetzgeber spätestens bei der Novellierung des Aufent­halts­ge­setzes im Jahre 2007 bekannt gewesen. Er hat jedoch wegen der bestehenden Möglichkeit, in Härtefällen einen Nachzug im Ermessenswege zu gestatten (§ 32 Abs. 4 AufenthG), keinen Handlungsbedarf gesehen.

Weitere tatrichterliche Aufklärung ist erforderlich

Ob die Auslands­ver­tre­tungen von ihrem Ermessen fehlerfreien Gebrauch gemacht haben, hat das Berufungs­gericht noch nicht geprüft. Dies kann ohne weitere tatrichterliche Aufklärung, insbesondere zur Betreu­ungs­si­tuation der Kläger im Heimatland und ihren familiären Bindungen, nicht beurteilt werden. Bei seiner erneuten Entscheidung wird das Berufungs­gericht prüfen müssen, ob die Beklagte ihr Ermessen nach der Sach- und Rechtslage in dem Zeitpunkt, der auch für die gerichtliche Beurteilung der Anspruchs­vor­aus­set­zungen maßgeblich ist, fehlerfrei ausgeübt hat. Der 1. Senat hält insoweit an seiner bisherigen Rechtsprechung, wonach bei Klagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufent­halt­s­titels für die Kontrolle des behördlichen Ermessens auf den Zeitpunkt der letzten Behör­den­ent­scheidung abzustellen war, nicht mehr fest. Die Beklagte wird deshalb in dem weiteren gerichtlichen Verfahren ihre Ermes­sen­s­er­wä­gungen an etwaige Veränderungen der Sachlage anpassen müssen. Das Berufungs­gericht wird auch zu prüfen haben, ob der Lebensunterhalt der Kläger im Bundesgebiet voraussichtlich ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert wäre. Bei dieser Prognose sind vom Einkommen des Vaters Unter­halts­zah­lungen an weitere Kinder abzuziehen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung des BVerwG

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