21.11.2024
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Bundesverwaltungsgericht Beschluss31.01.2019

"Haar- und Barterlass" bedarf gesetzlicher ErmächtigungDienst­vor­schriften sind bis zu gesetzlicher Neuregelung vorläufig weiter anzuwenden

Das Bundes­verwaltungs­gericht hat entschieden, dass der Zentralen Dienst­vor­schrift (ZDv) A-2630/1 "Das äußere Erschei­nungsbild der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr" eine ausreichende gesetzliche Grundlage fehlt. Bis zu einer entsprechenden Neuregelung ist diese Dienst­vor­schrift, die allgemein als "Haar- und Barterlass" bekannt ist - aber beispielsweise auch Regelungen zu Tätowierungen und Piercings trifft - für eine Übergangszeit weiterhin anzuwenden.

Dem Verfahren liegt die Wehrbeschwerde eines Stabsfeldwebels zu Grunde, der nach eigenen Angaben ein Anhänger der Gothic-Kultur ist und lange Haare tragen möchte. Er hält die Regelung in Nr. 202 der ZDv A-2630/1 für diskriminierend, nach der männliche Soldaten die Haare kurz geschnitten tragen müssen. Dieselbe Dienst­vor­schrift gestatte es Soldatinnen, die Haare lang und am Hinterkopf zusam­men­ge­bunden zu tragen. Das Bundes­mi­nis­terium der Verteidigung hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

Vorschriften dürfen grundsätzlich für Soldatinnen und Soldaten unter­schiedliche Regelungen bei Dienstkleidung und Haartracht vorsehen

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht wies den Antrag des Soldaten auf Aufhebung der Dienst­vor­schrift im Ergebnis zurück. Wie bereits in einer früheren Entscheidung dargelegt, schließt es das Gleich­be­rech­ti­gungsgebot nicht aus, für Soldatinnen und Soldaten unter­schiedliche Regelungen in Bezug auf die Dienstkleidung und Haartracht bei der Dienstausübung vorzusehen (vgl. Bundes­ver­wal­tungs­gericht, Beschluss v. 17.12.2013 - BVerwG 1 WRB 2.12 und BVerwG 1 WRB 3.12 -). Allerdings bedürfen Regelungen, die in die Freiheit des Einzelnen, seine äußere Erscheinung individuell zu gestalten, eingreifen, einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage. Dies folgt aus der in Art. 2 Abs. 1 GG garantierten allgemeinen Handlungs­freiheit, die auch den Soldaten davor schützt, ohne gesetzliche Grundlage durch dienstliche Weisung Einschränkungen seines persönlichen Erschei­nungs­bildes hinnehmen zu müssen, die sich auch auf sein Aussehen außerhalb des Dienstes auswirken.

Vorschrift regelt nur Bestimmungen über Uniform und dazu getragener Kleidung

Eine solche ausreichende gesetzliche Grundlage enthält - wie der 1. Wehrdienstsenat nunmehr festgestellt hat - § 4 Abs. 3 Satz 2 SG nicht. Die Norm ermächtigt jedenfalls in der seit 2017 geltenden Fassung nur zu Bestimmungen über die Uniform und die Kleidungsstücke, die mit der Uniform getragen werden. Weder dem Wortlaut der Norm noch den Gesetz­ge­bungs­ma­te­rialien ist eindeutig zu entnehmen, dass der Erlassgeber im Sachzu­sam­menhang mit der Festlegung einer Kleiderordnung auch zu notwendig in den privaten Lebensbereich hineinwirkenden Regelungen über die Gestaltung von Körper­be­stand­teilen von Soldatinnen und Soldaten ermächtigt wird.

Dienst­vor­schriften können bis zu gesetzlicher Neuregelung vorläufig weiter angewandt werden

Da die früher geltende Vorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 2 SG aber weiter ausgelegt worden ist und ein einheitliches Auftreten der Bundeswehr im Interesse ihrer Funkti­o­ns­fä­higkeit geboten ist, sind die Dienst­vor­schriften bis zu einer gesetzlichen Neuregelung vorläufig weiter anzuwenden. Der Gesetzgeber wird auch darüber zu befinden haben, ob eine unter­schiedliche Regelung der Haartracht von Männern und Frauen in der Bundeswehr künftig weiterhin geboten ist.

§ 4 Abs. 3 Soldatengesetz (SG) alter Fassung:

"Der Bundespräsident setzt, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, die Dienst­grad­be­zeich­nungen der Soldaten fest. Er erlässt die Bestimmungen über die Uniform der Soldaten. Er kann die Ausübung dieser Befugnisse auf andere Stellen übertragen."

§ 4 Abs. 3 SG neuer Fassung:

"Der Bundespräsident setzt, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, die Dienst­grad­be­zeich­nungen der Soldaten fest. Er erlässt die Bestimmungen über die Uniform der Soldaten und bestimmt die Kleidungsstücke, die mit der Uniform getragen werden dürfen, ohne Uniformteile zu sein. Er kann die Ausübung dieser Befugnisse auf andere Stellen übertragen."

Aus der ZDv A-2630/1 "Das äußere Erschei­nungsbild der Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr":

"202. Die Haare von Soldaten müssen kurz geschnitten sein. Ohren und Augen dürfen nicht bedeckt sein. Das Haar ist so zu tragen, dass bei aufrechter Kopfhaltung Uniform- und Hemdkragen nicht berührt werden.

204. Die Haartracht von Soldatinnen darf die Augen nicht bedecken. Haare, die bei aufrechter Körper- und Kopfhaltung die Schulter berühren würden, sind am Hinterkopf komplett gezopft (Fußnote) auf dem Rücken oder gesteckt zu tragen. Dabei sind Form und Farbe der Haarspangen/Bänder dezent zu halten."

Die Fußnote definiert:

"Ein Zopf ist ein Haarstrang, der durch Flechten, Knüpfen oder Zusammenbinden entsteht. Auch ein offener Zopf, der durch ein Haarband am Zopfansatz zusam­men­ge­halten wird (sogenannter "Pferdeschwanz"), kann den allgemeinen Grundsatz einer "sauberen" und "gepflegten" Haartracht (Nr. 201 Satz 2) erfüllen. Dies ist im Einzelfall auch unter Beachtung der jeweiligen Haarlänge zu entscheiden."

Quelle: Bundesgerichtshof/ra-online (pm)

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