24.11.2024
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Bundesverwaltungsgericht Urteil26.08.2008

Kein Kindernachzug bei Anspruch auf Arbeits­lo­sengeld IIUnerheblich ist, ob die SGB II-Leistungen in Anspruch genommen werden

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht in Leipzig hat entschieden, dass der Lebensunterhalt eines Ausländers dann nicht im Sinne des Aufent­halts­ge­setzes gesichert ist, wenn er Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebens­un­terhalts nach dem Sozial­ge­setzbuch II (SGB II) hat. Damit hat es eine in der Rechtsprechung der Verwal­tungs­ge­richte umstrittene Frage geklärt.

In dem Ausgangsfall ging es um den Antrag einer 1990 geborenen Türkin auf Erteilung eines Visums zum Zweck des Famili­en­nachzugs zu ihrer im Bundesgebiet lebenden türkischen Mutter. Dieser war nach Scheidung vom Vater der Klägerin das alleinige Sorgerecht übertragen worden. 1998 war sie ohne ihre Tochter nach Deutschland eingereist. Den Antrag der Klägerin auf Erteilung eines Visums vom Mai 2005 lehnte die Auslands­ver­tretung der Bundesrepublik Deutschland in Istanbul ab. Das Verwal­tungs­gericht Berlin und das Oberver­wal­tungs­gericht Berlin-Brandenburg haben die dagegen gerichtete Klage abgewiesen und dies wie folgt begründet:

VG Berlin und OVG Berlin-Brandenburg: Voraussetzungen für Kindernachzug liegen vor, aber Sicherung des Lebens­un­terhalts fehlt

Zwar lägen bei der Klägerin die besonderen Voraussetzungen für einen Kindernachzug vor, es fehle aber an der auch in diesem Fall regelmäßig erforderlichen Sicherung des Lebens­un­terhalts. Der nach dem SGB II zu berechnende Unter­halts­bedarf für die Klägerin und ihre Mutter übersteige das anrech­nungs­fähige Einkommen um etwa 245 €, so dass in dieser Höhe nach Einreise der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung nach dem SGB II bestünde. Dabei sei das Erwer­b­s­ein­kommen der Mutter der Klägerin um die Beträge zu mindern, die der Gesetzgeber beim Arbeits­lo­sengeld II eingeführt hat, damit diejenigen, die eine - wenn auch gering entlohnte - Arbeit ausüben, mehr Geld zur Verfügung haben als Erwerbslose (hier: Erwer­b­s­tä­ti­gen­frei­betrag und Werbungs­kos­ten­pau­schale). Mit ihrer Revision wendet sich die Klägerin u.a. gegen den Abzug der Beträge vom Erwer­b­s­ein­kommen ihrer Mutter. Es handele sich hierbei um fiktive Beträge, die das für den notwendigen Lebensunterhalt tatsächlich benötigte Einkommen nicht minderten. Zweck der erst 2005 eingeführten höheren Freibeträge sei es nicht gewesen, die Nachzugs­vor­aus­set­zungen zu Lasten von Ausländer zu verschärfen.

Bundes­ver­wal­tungs­gericht bestätigt Vorinstanzen

Der 1. Senat des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts hat die Entscheidung der Vorinstanzen bestätigt. Soweit der Gesetzgeber den Familiennachzug und Aufent­halts­rechte von der Sicherung des Lebens­un­terhalts abhängig macht (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 3 AufenthG), will er eine Inanspruchnahme öffentlicher Mittel verhindern. Ist davon auszugehen, dass - wie bei der Klägerin - im Falle des Nachzugs ein Anspruch auf Arbeits­lo­sengeld II oder Sozialgeld nach dem SGB II entsteht, ist der Lebensunterhalt nicht gesichert.

Unerheblich ist, ob die SGB II-Leistungen in Anspruch genommen werden

Ob die Leistungen tatsächlich in Anspruch genommen werden, ist nach dem gesetz­ge­be­rischen Regelungsmodell unerheblich. Folglich ergibt sich das maßgebliche Erwer­b­s­ein­kommen aus dem SGB II. Der arbeits- und sozia­l­po­li­tische Zweck der Freibe­trags­re­ge­lungen steht ihrer Berück­sich­tigung im Rahmen des Aufent­halts­rechts nicht entgegen, auch wenn sie sich hier zu Lasten des Betroffenen auswirken. Der Auffassung der Revision, in diesen Fällen könne ein Nachzug zugelassen werden, weil bei tatsächlicher Inanspruchnahme öffentlicher Mittel die Möglichkeit der nachträglichen Aufent­halts­be­en­digung bestehe, konnte das Bundes­ver­wal­tungs­gericht nicht folgen. Denn eine spätere Aufent­halts­be­en­digung dürfte in diesen Fällen kaum ohne Rechtsverstoß möglich sein, so dass die Behörde hierauf nicht verwiesen werden darf. Da die Klägerin auch keine Anhaltspunkte vorgetragen hatte, die für ein Absehen von der Regel­vor­aus­setzung der Lebens­un­ter­halts­si­cherung oder für die Annahme eines Härtefalles - insbesondere im Hinblick auf Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK - hätten sprechen können, war ihre Revision zurückzuweisen.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 54/08 des BVerwG vom 26.08.2008

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