18.10.2024
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Bundesverwaltungsgericht Urteil09.05.2019

Ausweisungen können weiterhin allein auf genera­l­prä­ventive Gründe gestützt werdenBVerwG erbittet zusätzlich EuGH-Entscheidung zur Anwendbarkeit der Rückführungs­richt­linie auf Einreise- und Aufent­halts­verbot nach Aus­weisungs­entscheidung

Das Bundes­verwaltungs­gericht hat entschieden, dass Ausweisungen auch nach der Novellierung des Auswei­sungs­rechts allein auf genera­l­prä­ventive Gründe gestützt werden können. Zugleich rief das Bundes­verwaltungs­gericht den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Klärung von Fragen zur Anwendbarkeit der Rückführungs­richt­linie 2008/115/EG auf das mit einer Aus­weisungs­entscheidung einhergehende Einreise- und Aufent­halts­verbot an.

Der im Januar 1986 in Syrien geborene Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens ist paläs­ti­nen­sischer Volks­zu­ge­höriger mit ungeklärter Staats­an­ge­hö­rigkeit. Er reiste im September 1990 gemeinsam mit seinen Eltern unter falschen Personalien in die Bundesrepublik Deutschland ein. Erfolglos suchte er um seine Anerkennung als Asylbe­rech­tigter nach. In der Folgezeit wurde sein Aufenthalt geduldet.

Sachverhalt

Im April 2013 wurde er wegen Werbens um Mitglieder oder Unterstützer einer ausländischen terroristischen Vereinigung sowie wegen Gewalt­dar­stellung und Billigung von Straftaten zu einer Gesamt­frei­heits­strafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Ausweislich der tatsächlichen Feststellungen des Oberlan­des­ge­richts gründete und betrieb er von September 2007 bis Dezember 2009 im Internet das "Al-Ansar Media Battalion", das sich zu einem bedeutenden Medium zur Verbreitung islamistischer Propaganda im deutsch­spra­chigen Raum entwickelte. Im Februar 2014 wies ihn der beklagte Westerwaldkreis gestützt allein auf genera­l­prä­ventive Erwägungen aus dem Bundesgebiet aus und befristete das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufent­halts­verbot auf die Dauer von sechs Jahren. Widerspruch und Klage blieben insoweit ohne Erfolg; bereits im Laufe des Wider­spruchs­ver­fahrens hob der Beklagte die von ihm verfügte Abschie­bung­s­an­drohung auf.

BAMF sieht Voraussetzungen für Abschie­bungs­verbot erfüllt

Im Juli 2017 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf Antrag des Klägers das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschie­bungs­verbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf die Arabische Republik Syrien festgestellt. Im März 2018 hat der Beklagte das Einreise- und Aufent­halts­verbot auf die Dauer von vier Jahren ab einer etwaigen Ausreise und hiervon unabhängig bis längstens zum 21. Juli 2023 verkürzt.

Berufung vor dem OVG erfolglos

Das Oberver­wal­tungs­gericht wies die auf Aufhebung der Ausweisung und Verkürzung der Befristung des Einreise- und Aufent­halts­verbotes gerichtete Berufung des Klägers zurück. Eine Gefährdung der durch die Ausweisung zu schützenden Rechtsgüter sei unter der Geltung des novellierten Auswei­sungs­rechts weiterhin auch genera­l­prä­ventiv zu begründen. Die Befristung des Einreise- und Aufent­halts­verbots begegne keinen Bedenken.

Annahme der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiet kann allein auf genera­l­prä­ventive Gründe gestützt werden

Der 1. Revisionssenat des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts hat seine Rechtsprechung zu der Regeler­tei­lungs­vor­aus­setzung des Nichtvorliegens eines Auswei­sungs­in­teresses im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (Urteil vom 12. Juli 2018 - BVerwG 1 C 16.17 -) auf die Ausweisung übertragen: Auch nach Inkrafttreten des novellierten Auswei­sungs­rechts kann die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch den Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet allein auf genera­l­prä­ventive Gründe gestützt werden. Knüpft eine solche Ausweisung an strafrechtlich relevantes Handeln an, so wird deren Erlass in zeitlicher Hinsicht in Orientierung an den Fristen der straf­recht­lichen Verfol­gungs­ver­jährung begrenzt. Bei abgeurteilten Straftaten bilden zudem die Tilgungsfristen nach dem Bundes­zen­tra­l­re­gis­ter­gesetz eine weitere absolute Obergrenze.

BVerwG erbittet weitere Klärung durch EuGH

Der 1. Revisionssenat des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts sieht indes unions­recht­lichen Klärungsbedarf, ob die Richtlinie 2008/115/EG (sogenannte Rückfüh­rungs­richtlinie) auch in Bezug auf ein mit einer Auswei­sungs­ent­scheidung gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG einhergehendes Einreise- und Aufent­halts­verbot, das dem Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dient, Anwendung findet. Insoweit hat er das Revisi­ons­ver­fahren abgetrennt und bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über die als Anlage beigefügten Fragen ausgesetzt.

Vorlagefragen

Erläuterungen
1. a) Wird ein Einreiseverbot, das gegen einen Dritt­staats­an­ge­hörigen zu "nicht­mi­gra­ti­o­ns­be­dingten" Zwecken erlassen wird, von dem Anwen­dungs­bereich der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Dritt­staats­an­ge­höriger (ABl. L 348/98) jedenfalls dann erfasst, wenn der Mitgliedstaat von der Möglichkeit des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie keinen Gebrauch gemacht hat?

b) Für den Fall der Verneinung der Frage zu 1. a): Unterfällt ein solches Einreiseverbot auch dann nicht der Richtlinie 2008/115/EG, wenn der Dritt­staats­an­ge­hörige bereits unabhängig von einer gegen ihn erlassenen Auswei­sungs­ver­fügung, an die das Einreiseverbot anknüpft, illegal aufhältig ist und damit dem Anwen­dungs­bereich der Richtlinie dem Grunde nach unterfällt?

c) Zählt zu den zu "nicht­mi­gra­ti­o­ns­be­dingten" Zwecken erlassenen Einrei­se­verboten ein Einreiseverbot, das im Zusammenhang mit einer aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (hier: allein aus genera­l­prä­ventiven Gründen mit dem Ziel der Terro­ris­mus­be­kämpfung) verfügten Ausweisung ergeht?

2. Soweit Frage 1 dahin beantwortet wird, dass das vorliegende Einreiseverbot in den Anwen­dungs­bereich der Richtlinie 2008/115/EG fällt:

a) Hat die behördliche Aufhebung der Rückkeh­rent­scheidung (hier: der Androhung der Abschiebung) zur Folge, dass ein zeitgleich mit dieser angeordnetes Einreiseverbot im Sinne des Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie 2008/115/EG rechtswidrig wird?

b) Tritt diese Rechtsfolge auch dann ein, wenn die der Rückkeh­rent­scheidung vorgelagerte behördliche Auswei­sungs­ver­fügung bestandskräftig (geworden) ist?

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online (pm/kg)

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