21.11.2024
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Bundesverwaltungsgericht Urteil09.05.2019

Ausweisungen können weiterhin allein auf genera­l­prä­ventive Gründe gestützt werdenBVerwG erbittet zusätzlich EuGH-Entscheidung zur Anwendbarkeit der Rückführungs­richt­linie auf Einreise- und Aufent­halts­verbot nach Aus­weisungs­entscheidung

Das Bundes­verwaltungs­gericht hat entschieden, dass Ausweisungen auch nach der Novellierung des Auswei­sungs­rechts allein auf genera­l­prä­ventive Gründe gestützt werden können. Zugleich rief das Bundes­verwaltungs­gericht den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zur Klärung von Fragen zur Anwendbarkeit der Rückführungs­richt­linie 2008/115/EG auf das mit einer Aus­weisungs­entscheidung einhergehende Einreise- und Aufent­halts­verbot an.

Der im Januar 1986 in Syrien geborene Kläger des zugrunde liegenden Verfahrens ist paläs­ti­nen­sischer Volks­zu­ge­höriger mit ungeklärter Staats­an­ge­hö­rigkeit. Er reiste im September 1990 gemeinsam mit seinen Eltern unter falschen Personalien in die Bundesrepublik Deutschland ein. Erfolglos suchte er um seine Anerkennung als Asylbe­rech­tigter nach. In der Folgezeit wurde sein Aufenthalt geduldet.

Sachverhalt

Im April 2013 wurde er wegen Werbens um Mitglieder oder Unterstützer einer ausländischen terroristischen Vereinigung sowie wegen Gewalt­dar­stellung und Billigung von Straftaten zu einer Gesamt­frei­heits­strafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Ausweislich der tatsächlichen Feststellungen des Oberlan­des­ge­richts gründete und betrieb er von September 2007 bis Dezember 2009 im Internet das "Al-Ansar Media Battalion", das sich zu einem bedeutenden Medium zur Verbreitung islamistischer Propaganda im deutsch­spra­chigen Raum entwickelte. Im Februar 2014 wies ihn der beklagte Westerwaldkreis gestützt allein auf genera­l­prä­ventive Erwägungen aus dem Bundesgebiet aus und befristete das mit der Ausweisung einhergehende Einreise- und Aufent­halts­verbot auf die Dauer von sechs Jahren. Widerspruch und Klage blieben insoweit ohne Erfolg; bereits im Laufe des Wider­spruchs­ver­fahrens hob der Beklagte die von ihm verfügte Abschie­bung­s­an­drohung auf.

BAMF sieht Voraussetzungen für Abschie­bungs­verbot erfüllt

Im Juli 2017 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) auf Antrag des Klägers das Vorliegen der Voraussetzungen eines Abschie­bungs­verbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in Bezug auf die Arabische Republik Syrien festgestellt. Im März 2018 hat der Beklagte das Einreise- und Aufent­halts­verbot auf die Dauer von vier Jahren ab einer etwaigen Ausreise und hiervon unabhängig bis längstens zum 21. Juli 2023 verkürzt.

Berufung vor dem OVG erfolglos

Das Oberver­wal­tungs­gericht wies die auf Aufhebung der Ausweisung und Verkürzung der Befristung des Einreise- und Aufent­halts­verbotes gerichtete Berufung des Klägers zurück. Eine Gefährdung der durch die Ausweisung zu schützenden Rechtsgüter sei unter der Geltung des novellierten Auswei­sungs­rechts weiterhin auch genera­l­prä­ventiv zu begründen. Die Befristung des Einreise- und Aufent­halts­verbots begegne keinen Bedenken.

Annahme der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch Aufenthalt eines Ausländers im Bundesgebiet kann allein auf genera­l­prä­ventive Gründe gestützt werden

Der 1. Revisionssenat des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts hat seine Rechtsprechung zu der Regeler­tei­lungs­vor­aus­setzung des Nichtvorliegens eines Auswei­sungs­in­teresses im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG (Urteil vom 12. Juli 2018 - BVerwG 1 C 16.17 -) auf die Ausweisung übertragen: Auch nach Inkrafttreten des novellierten Auswei­sungs­rechts kann die Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch den Aufenthalt des Ausländers im Bundesgebiet allein auf genera­l­prä­ventive Gründe gestützt werden. Knüpft eine solche Ausweisung an strafrechtlich relevantes Handeln an, so wird deren Erlass in zeitlicher Hinsicht in Orientierung an den Fristen der straf­recht­lichen Verfol­gungs­ver­jährung begrenzt. Bei abgeurteilten Straftaten bilden zudem die Tilgungsfristen nach dem Bundes­zen­tra­l­re­gis­ter­gesetz eine weitere absolute Obergrenze.

BVerwG erbittet weitere Klärung durch EuGH

Der 1. Revisionssenat des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts sieht indes unions­recht­lichen Klärungsbedarf, ob die Richtlinie 2008/115/EG (sogenannte Rückfüh­rungs­richtlinie) auch in Bezug auf ein mit einer Auswei­sungs­ent­scheidung gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG einhergehendes Einreise- und Aufent­halts­verbot, das dem Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung dient, Anwendung findet. Insoweit hat er das Revisi­ons­ver­fahren abgetrennt und bis zu einer Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) über die als Anlage beigefügten Fragen ausgesetzt.

Vorlagefragen

1. a) Wird ein Einreiseverbot, das gegen einen Dritt­staats­an­ge­hörigen zu "nicht­mi­gra­ti­o­ns­be­dingten" Zwecken erlassen wird, von dem Anwen­dungs­bereich der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Dritt­staats­an­ge­höriger (ABl. L 348/98) jedenfalls dann erfasst, wenn der Mitgliedstaat von der Möglichkeit des Art. 2 Abs. 2 Buchst. b dieser Richtlinie keinen Gebrauch gemacht hat?

b) Für den Fall der Verneinung der Frage zu 1. a): Unterfällt ein solches Einreiseverbot auch dann nicht der Richtlinie 2008/115/EG, wenn der Dritt­staats­an­ge­hörige bereits unabhängig von einer gegen ihn erlassenen Auswei­sungs­ver­fügung, an die das Einreiseverbot anknüpft, illegal aufhältig ist und damit dem Anwen­dungs­bereich der Richtlinie dem Grunde nach unterfällt?

c) Zählt zu den zu "nicht­mi­gra­ti­o­ns­be­dingten" Zwecken erlassenen Einrei­se­verboten ein Einreiseverbot, das im Zusammenhang mit einer aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (hier: allein aus genera­l­prä­ventiven Gründen mit dem Ziel der Terro­ris­mus­be­kämpfung) verfügten Ausweisung ergeht?

2. Soweit Frage 1 dahin beantwortet wird, dass das vorliegende Einreiseverbot in den Anwen­dungs­bereich der Richtlinie 2008/115/EG fällt:

a) Hat die behördliche Aufhebung der Rückkeh­rent­scheidung (hier: der Androhung der Abschiebung) zur Folge, dass ein zeitgleich mit dieser angeordnetes Einreiseverbot im Sinne des Art. 3 Nr. 6 der Richtlinie 2008/115/EG rechtswidrig wird?

b) Tritt diese Rechtsfolge auch dann ein, wenn die der Rückkeh­rent­scheidung vorgelagerte behördliche Auswei­sungs­ver­fügung bestandskräftig (geworden) ist?

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online (pm/kg)

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