18.10.2024
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Bundesverwaltungsgericht Urteil11.10.2012

Wechsel der Steuerklasse zur Minderung des Kostenbeitrags für Jugend­hil­fe­ein­richtung ist rechts­miss­bräuchlichVater eines in einer Jugend­hil­fe­ein­richtung untergebrachten Kindes begehrt Steuer­klas­sen­wechsel zur Erzielung einer Beitrags­min­derung

Der Vater eines in einer Jugend­hil­fe­ein­richtung untergebrachten Kindes kann den Kostenbeitrag für diese Unterbringung nicht durch einen Steuer­klas­sen­wechsel reduzieren, wenn dieser als rechts­miss­bräuchlich anzusehen ist. Dies entschied das Bundes­ver­wal­tungs­gericht.

In dem zugrunde liegenden Fall war der Sohn des Klägers wegen einer seelischen Behinderung vollstationär in einer speziellen Jugend­hil­fe­ein­richtung aufgenommen (mtl. Kosten etwa 6 500 Euro). Daraufhin setzte das Jugendamt der beklagten Stadt nach Ermittlung des in den vergangenen zwölf Monaten von dem Kläger erzielten Durch­schnitt­s­ein­kommens einen monatlichen Kostenbeitrag in Höhe von 635 Euro fest. Für die Bemessung des Kostenbeitrags ist nach § 93 SGB VIII* das um Belastungen, insbesondere gezahlte Steuern, bereinigte Nettoeinkommen maßgeblich. Damals hatte der Kläger die Steuerklasse III und seine in geringem Umfang erwerbstätige Ehefrau die Steuerklasse V. Sie wurde auf Grund ihrer geringen Einkünfte nicht zu einem Kostenbeitrag herangezogen.

Steuer­klas­sen­wechsel nur zum Zweck der Kosten­bei­trags­min­derung

Der Kläger beantragte eine Reduzierung des Kostenbeitrags unter Berufung auf sein gesunkenes Nettoeinkommen. Das Jugendamt stellte fest, dass das vom Kläger bezogene Bruttogehalt sich nicht verringert habe, sondern leicht angestiegen sei. Hingegen sei der (vorläufige) Steuerabzug des Klägers um etwa 900 Euro angestiegen, weil der Kläger freiwillig in die Steuerklasse V und seine Ehefrau in die Steuerklasse III gewechselt seien. Die Beklagte lehnte den Herab­set­zungs­antrag des Klägers ab, weil der Steuerklassenwechsel nur zum Zweck der Kosten­bei­trags­min­derung erfolgt sei.

OVG: Steuer­klas­sen­wechsel jederzeit ohne Angabe von Gründen möglich

Während das Verwal­tungs­gericht die Klage abgewiesen hat, hat das Oberver­wal­tungs­gericht der Berufung des Klägers u.a. mit Hinweis darauf stattgegeben, dass die Berechnung des Kostenbeitrags auf der Grundlage des monatlichen Durch­schnitt­s­ein­kommens zu beanstanden sei. Außerdem sei der hier vorgenommene Steuer­klas­sen­wechsel jederzeit ohne Angabe von Gründen möglich und mangels grob unbilligen Ergebnisses auch nicht rechts­miss­bräuchlich.

BVerwG: Steuer­klas­sen­wahlrecht kann im Einzelfall nach Grundsatz von Treu und Glauben rechts­miss­bräuchlich sein

Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht hat die Entscheidung des Oberver­wal­tungs­ge­richts aufgehoben und den Rechtsstreit an das Berufungs­gericht zurückverwiesen. Die Durch­schnitts­be­rechnung ist nicht zu beanstanden. Dem Oberver­wal­tungs­gericht ist auch nicht darin zu folgen, dass die durch den Wechsel der Steuerklasse hervorgerufene Verringerung des Nettoeinkommens zwingend zu einer Herabsetzung des Kostenbeitrags führt. Die Ausübung des dem Bürger generell zustehenden Steuer­klas­sen­wahl­rechts kann im Einzelfall nach dem Grundsatz von Treu und Glauben rechts­miss­bräuchlich sein, wenn dafür keine schutzwürdigen Gründe vorliegen und deshalb anzunehmen ist, dass der Steuer­klas­sen­wechsel vorwiegend zur Schmälerung des dem Jugend­hil­fe­träger zustehenden Kostenbeitrags erfolgt ist. In diesem Fall ist die Minderung des Nettoeinkommens bei der Bemessung des Kostenbeitrags zu vernachlässigen. Ob die tatsächlichen Voraussetzungen eines Rechts­miss­brauchs hier vorliegen, wird das Oberver­wal­tungs­gericht bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung der Streitsache zu prüfen haben.

*Die maßgeblichen Bestimmungen des Kinder- und Jugend­hil­fe­ge­setzes (SGB VIII) lauten:

§ 92 Ausgestaltung der Heranziehung

(1) Aus ihrem Einkommen nach Maßgabe der §§ 93 und 94 heranzuziehen sind: 1. - 4. 5. Elternteile zu den Kosten der in § 91 Absatz 1 genannten Leistungen und vorläufigen Maßnahmen; ….

(2) Die Heranziehung erfolgt durch Erhebung eines Kostenbeitrags, der durch Leistungs­be­scheid festgesetzt wird; Elternteile werden getrennt herangezogen.

(3) Ein Kostenbeitrag kann bei Eltern, Ehegatten und Lebenspartnern ab dem Zeitpunkt erhoben werden, ab welchem dem Pflichtigen die Gewährung der Leistung mitgeteilt und er über die Folgen für seine Unter­halts­pflicht gegenüber dem jungen Menschen aufgeklärt wurde. ….

(4) -(5)

§ 93 Berechnung des Einkommens (1) Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Grundrente nach oder entsprechend dem Bundes­ver­sor­gungs­gesetz sowie der Renten und Beihilfen, die nach dem Bundes­ent­schä­di­gungs­gesetz für einen Schaden an Leben sowie an Körper und Gesundheit gewährt werden bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundes­ver­sor­gungs­gesetz. Eine Entschädigung, die nach § 253 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs wegen eines Schadens, der nicht Vermö­gens­schaden ist, geleistet wird, ist nicht als Einkommen zu berücksichtigen. Geldleistungen, die dem gleichen Zwecke wie die jeweilige Leistung der Jugendhilfe dienen, zählen nicht zum Einkommen und sind unabhängig von einem Kostenbeitrag einzusetzen. Leistungen, die auf Grund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, sind nicht als Einkommen zu berücksichtigen.

(2) Von dem Einkommen sind abzusetzen 1. auf das Einkommen gezahlte Steuern und 2. Pflichtbeiträge zur Sozia­l­ver­si­cherung einschließlich der Beiträge zur Arbeits­för­derung sowie 3. nach Grund und Höhe angemessene Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen zur Absicherung der Risiken Alter, Krankheit, Pflege­be­dürf­tigkeit und Arbeits­lo­sigkeit.

(3) Von dem nach den Absätzen 1 und 2 errechneten Betrag sind Belastungen der kosten­bei­trags­pflichtigen Person abzuziehen. In Betracht kommen insbesondere 1. Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, 2. die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben, 3. Schuld­ver­pflich­tungen. Der Abzug erfolgt durch eine Kürzung des nach den Absätzen 1 und 2 errechneten Betrages um pauschal 25 vom Hundert. Sind die Belastungen höher als der pauschale Abzug, so können sie abgezogen werden, soweit sie nach Grund und Höhe angemessen sind und die Grundsätze einer wirtschaft­lichen Lebensführung nicht verletzen. Die kosten­bei­trags­pflichtige Person muss die Belastungen nachweisen.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht/ra-online

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