21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss12.05.2009

BVerfG: Regelung zur staatlichen finanziellen Förderung jüdischer Gemeinden in Brandenburg ist verfas­sungs­widrigJüdische Religi­o­ns­ge­mein­schaften müssen finanziell gleichmäßig gefördert werden

Eine Bevorzugung der Jüdischen Gemeinde in Brandenburg gegenüber der Gesetzestreuen Jüdischen Landesgemeinde Brandenburg ist verfas­sungs­widrig. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Nach dem Vertrag vom 11. Januar 2005 zwischen dem Land Brandenburg und der Jüdischen Gemeinde - Land Brandenburg wendet das Land Brandenburg der jüdischen Gemeinschaft in Brandenburg zur Aufrecht­er­haltung jüdischen Gemeindelebens jährlich einen Betrag von 200.000 € zu. Dieser Betrag wird nach Art. 8 Abs. 1 des Vertrages von dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden - Land Brandenburg, der den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzt und die mitglie­der­stärkste jüdische Religionsgemeinschaft in Brandenburg ist, für alle jüdischen Gemeinden des Landes unabhängig von ihrer Mitgliedschaft im Landesverband verwaltet; der Landesverband ist verpflichtet, sämtliche Gemeinden angemessen daran zu beteiligen. Darüber hinaus gewährt der Vertrag dem Landesverband bestimmte Privilegien u. a. in den Bereichen Feiertagsrecht, Anstalts­seelsorge, Betreiben von Schulen und Friedhöfen, Befreiung von Gebühren und Zurver­fü­gung­s­tellung von Sendezeiten im öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

Konkurrenz zwischen Religi­o­ns­ge­mein­schaften

Außer dem Landesverband existiert in Brandenburg der eingetragene Verein Gesetzestreue Jüdische Landesgemeinde Brandenburg, der die Glaubens­richtung des Landesverbandes nicht teilt und ihm daher auch nicht angehört. Zwischen beiden Religi­o­ns­ge­mein­schaften besteht vielmehr ein Konkur­renz­ver­hältnis. Nach Abschluss des Vertrages beteiligte der Landesverband die Gesetzestreue Jüdische Landesgemeinde zunächst nicht an der vom Land zugewendeten Summe; erst seit Dezember 2007 wird ihr rückwirkend und für die Zukunft ein monatlicher Betrag von 1020 € zugewandt.

Gesetzestreue Jüdische Landesgemeinde sieht Grundrechte verletzt

Mit ihren Verfas­sungs­be­schwerden wenden sich die Gesetzestreue Jüdische Landesgemeinde Brandenburg und eines ihrer Mitglieder unmittelbar gegen die vertraglichen Regelungen in Verbindung mit dem vom Branden­bur­gischen Landtag erlassenen Zustim­mungs­gesetz. Sie sehen sich dadurch in ihren Grundrechten verletzt, dass sie durch die vertragliche Regelung von einem unmittelbaren Leistungs­an­spruch gegen das Land Brandenburg und darüber hinaus auch von den übrigen Privi­le­gie­rungen des Vertrages ausgeschlossen würden.

Regelung zur Mittelvergabe mit Grundrecht der Religi­o­ns­freiheit und Gebot der Unpar­tei­lichkeit unvereinbar

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied daraufhin, dass die Regelung zur Vergabe der Mittel durch den Landesverband in Art. 8 Abs. 1 des Vertrages mit den aus Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG folgenden leistungs- und teilha­be­recht­lichen Gehalten des Grundrechts der Religionsfreiheit in Verbindung mit dem aus dem Rechts­s­taats­prinzip des Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitenden Gebot der Unpar­tei­lichkeit unvereinbar und daher nichtig ist. Für die vergangene Zeit bis zu einer Neuregelung hat das Land Brandenburg der Gesetzestreuen Jüdischen Landesgemeinde Brandenburg unter Anrechnung der vom Landesverband bereits zugewendeten Beträge eine finanzielle Förderung zukommen zu lassen, die gemessen an der dem Landesverband zugewandten Summe Paritäts­ge­sichts­punkten entspricht.

Soweit sich die Verfas­sungs­be­schwerden gegen weitere Vorschriften des Vertrages wenden, sind sie unzulässig.

Materielle Mittel für Freiheit der Religi­o­ns­ausübung von großer Bedeutung

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:

Das Grundrecht auf Glaubens­freiheit nach Art. 4 GG gewährleistet unter anderem die religiöse Verei­ni­gungs­freiheit, also die Freiheit, aus gemeinsamem Glauben sich zu einer Religi­o­ns­ge­sell­schaft zusam­men­zu­schließen. Dabei ist die materielle Ausstattung von hoher Bedeutung für die Freiheit der Religionsausübung der Religi­o­ns­ge­sell­schaften. Zwar lassen sich aus Art. 4 GG keine Ansprüche auf bestimmte staatliche Leistungen ableiten, doch entfaltet Art. 4 GG bezogen auf die finanzielle Förderung von Religi­o­ns­ge­sell­schaften auch eine leistungs- und teilha­be­rechtliche Komponente. Diese kann den Staat auch zu Vorkehrungen organi­sa­to­rischer Art verpflichten. Dabei ist auch das Gebot religiöser und weltan­schau­licher Neutralität des Staates zu berücksichtigen.

Religi­o­ns­ge­mein­schaften dürfen nicht unterschiedlich behandelt werden

Gibt der Staat die Vergabe von ihm bereit­ge­stellter Mittel an Religi­o­ns­ge­sell­schaften aus der Hand, so hat er darüber hinaus die Anforderungen des Rechts­s­taats­prinzips zu beachten. Dem Rechts­s­taats­prinzip ist zu entnehmen, dass Entscheidungen eines Aufgabenträgers in eigener Sache nur in begrenztem Umfang zulässig sind. Zwar ist von der Rechtsprechung in anderen Rechtsbereichen ein generelles Gebot der Unpar­tei­lichkeit des Verwal­tungs­trägers und der ihn vertretenden Behörde bisher nicht angenommen worden. Jedenfalls in dem von Art. 4 GG geprägten Bereich finanzieller Förderung von Religi­o­ns­ge­sell­schaften durch den Staat ist dieser aber verpflichtet, die Entstehung einer strukturellen Gefährdungslage hinsichtlich der Gehalte des Art. 4 GG zu verhindern. Durch die Aufga­be­n­über­tragung darf nicht eine Situation entstehen, in der die mit der Aufgabe betraute Religi­o­ns­ge­sell­schaft als selbst anspruchs­be­rech­tigter Grund­recht­s­träger regelmäßig über einen Gegenstand zu entscheiden hat, in Bezug auf den eine andere, möglicherweise konkurrierende Religi­o­ns­ge­sell­schaft die gleiche grundrechtliche Berechtigung geltend machen kann. Eine derartige Inter­es­sen­kol­lision, die gleichzeitig mit einem Abhän­gig­keits­ver­hältnis zulasten der anderen betroffenen Religi­o­ns­ge­sell­schaft verbunden ist, steht der Grund­rechts­ver­wirk­lichung im Bereich des Art. 4 GG entgegen.

Die angegriffene Regelung ist nach ihrer Entste­hungs­ge­schichte und ihrem Sinn und Zweck so zu verstehen, dass mit ihr eine abschließende Regelung der Förderung jüdischer Gemeinden in Brandenburg getroffen und darüber hinausgehende Ansprüche von jüdischen Gemeinden gegen das Land ausgeschlossen werden sollten. Damit war beabsichtigt, das Land von der Verantwortung für eine gerechte Verteilung der Mittel zu entlasten und die Fördermittel für jüdische Gemeinden auf den vertraglich vereinbarten Betrag zu begrenzen. Dementsprechend lehnte das Land in der Folge gegenüber der Gesetzestreuen Jüdischen Landesgemeinde Brandenburg seine Verant­wort­lichkeit unter Verweis auf die vertragliche Regelung stets ab.

Die angegriffene Regelung ist nicht deshalb verfas­sungs­rechtlich unbedenklich, weil es sich bei der Mittelvergabe um die Wahrnehmung einer eigenen Angelegenheit des Landesverbandes handelte. Trotz der zunächst vollständigen Zuweisung der Mittel an den Landesverband werden diese nicht vollständig zum Gegenstand seines Selbst­be­stim­mungs­rechtes nach Art. 137 Abs. 3 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG, da dieses nicht die rechtliche Einwirkung auf den internen Bereich anderer Religi­o­ns­ge­sell­schaften decken kann.

Die angegriffene Regelung verletzt die Gesetzestreue Jüdische Landesgemeinde in ihrem Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 GG, weil die Beauftragung des Landesverbandes mit der Weitergabe der vom Land bereit­ge­stellten Mitteln diesen in eine Situation insti­tu­ti­o­neller Befangenheit versetzt. Der Landesverband steht dem Land selbst als Grund­recht­s­träger gegenüber. Da der Vertrag die Entscheidung über die Höhe des weiter­zu­rei­chenden Betrags vollständig in die Hände des Landesverbandes legt, wird dieser dadurch verpflichtet, die Grenzen seiner eigenen Berechtigung selbst abzustecken. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Landesverband ein starkes Eigeninteresse an den Geldern hat. Mit den Geboten staatlicher Neutralität sowie einer rechts­s­taat­lichen Verwal­tungs­or­ga­ni­sation ist ebenfalls unvereinbar, dass die Gesetzestreue Jüdische Landesgemeinde durch die angegriffene Regelung in ein Verhältnis der Abhängigkeit gegenüber dem Landesverband gebracht wird.

Der festgestellte Grund­rechts­verstoß betrifft nur die Beauftragung des Landesverbandes mit der Verwaltung der vom Land bereit­ge­stellten Mittel und der Beteiligung aller jüdischen Gemeinden daran; gegen die Zuwendung finanzieller Mittel zur Förderung und zum Aufbau jüdischen Gemeindelebens bestehen keine verfas­sungs­recht­lichen Bedenken. Es besteht auch weder Notwendigkeit noch Anlass, die Nichti­g­er­klärung über die Beauftragung des Landesverbandes mit der Verwaltung der Mittel hinaus auf andere Bestimmungen zu erstrecken.

Quelle: ra-online, Pressemitteilung Nr. 60/09 des BVerfG vom 16.06.2009

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