21.11.2024
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Dokument-Nr. 18616

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Beschluss25.02.2014Bundesverfassungsgericht2 BvR 2457/13
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • NJW 2014, 2266Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2014, Seite: 2266
  • WM 2014, 566Wertpapier-Mitteilungen Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht (WM), Jahrgang: 2014, Seite: 566
  • WuM 2014, 478Zeitschrift: Wohnungswirtschaft und Mietrecht (WuM), Jahrgang: 2014, Seite: 478
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Vorinstanzen:
  • Amtsgericht Günzburg, Beschluss18.07.2013, 1 M 1003/10
  • Landgericht Memmingen, Beschluss16.09.2013, 43 T 1332/13
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss25.02.2014

BVerfG: Pflicht des Vollstreckungs­gerichts zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Ermittlung der betroffenen Interessen bei bestehender Suizidgefahr aufgrund einer RäumungsklageGerichte haben grund­recht­lichen Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) zu gewährleisten

Beantragt der Bewohner eines Hauses im Rahmen einer Räumungsklage Vollstreckungs­schutz, weil die ernsthafte Gefahr eines Suizids besteht, so hat das Vollstreckungs­gericht den Sachverhalt aufzuklären und sämtliche Interessen der Betroffenen zu ermitteln sowie miteinander abzuwägen. Denn die Gerichte haben das Grundrecht auf Leben und körperlicher Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) bei ihren Entscheidungen zu beachten. Dies hat das Bundes­verfassungs­gericht entschieden.

Dem Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Im Oktober 2009 verlor ein Ehepaar das Eigentum an ihrem Haus. Der neue Eigentümer klagte daraufhin auf Räumung und Herausgabe. Da der Ehemann einen Suizid seiner 61-jährigen Ehefrau befürchtete, beantragten die Eheleute Vollstre­ckungs­schutz. Ihrem Antrag legten sie ein Gutachten bei, das der Ehefrau eine endogene Depression mit stark selbst­zer­stö­re­rischer Ausprägung bescheinigte. Es habe laut dem Gutachten aufgrund dessen die ernsthafte Gefahr eines Suizids bestanden, sollte es zur Räumung kommen.

Amtsgericht lehnte Vollstre­ckungs­schutz ab

Das Amtsgericht Günzburg wies den Antrag auf Vollstre­ckungs­schutz nach Einholung eines eigenen Gutachtens jedoch zurück. Denn es habe zwar laut dem Gutachten die Gefahr eines Suizids bestanden. Dessen Realisierung sei jedoch nicht zwangsläufig zu befürchten gewesen. Vielmehr habe eine Suizidabsicht durch therapeutische Maßnahmen vor, während und nach der Räumung erkannt werden können und somit ein Suizid verhindert werden können. Die Räumung sei daher zulässig gewesen. Angesichts der Suizidgefahr habe sie jedoch nur in Anwesenheit eines Arztes durchgeführt werden dürfen. Gegen diese Entscheidung legte das Ehepaar sofortige Beschwerde ein.

Landgericht verneinte ebenfalls Anspruch auf Vollstre­ckungs­schutz

Das Landgericht Memmingen verneinte jedoch ebenfalls einen Anspruch auf Vollstre­ckungs­schutz. Seiner Ansicht nach habe sowohl nach dem Gerichts­gut­achten als auch nach dem von den Eheleuten beauftragten Gutachten zwar eine latente, aber keine ernsthaft bevorstehende Suizidgefahr vorgelegen. Das Privatgutachten habe sich insofern in seiner Aussage relativiert, dass nicht mehr von einer an Sicherheit grenzenden Wahrschein­lichkeit eines Suizids gesprochen wurde, sondern nur noch von einem zusätzlichen Risiko. Nach dieser Entscheidung legte das Ehepaar nunmehr Verfassungsbeschwerde ein. Es sah in der Entscheidung eine Verletzung ihres Grundrechts auf Leben und körperlicher Unversehrtheit.

Bundes­ver­fas­sungs­gericht bejahte Verstoß gegen Grundrecht auf Leben und körperlicher Unversehrtheit

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied zu Gunsten der Eheleute und bejahte daher einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Leben und körperlicher Unversehrtheit (Art. 2 Abs.2 GG). Es sei zu beachten gewesen, dass in besonderen Einzelfällen eine Suizidgefahr aufgrund des Grundrechts auf Leben und körperlicher Unversehrtheit zu einer Einstellung einer Räumung für eine bestimmte oder in absoluten Ausnahmefällen auf unbestimmte Zeit führen kann. Dies müssen die Vollstre­ckungs­ge­richte bei ihren Entscheidungen mit berücksichtigen. Sie haben daher bei bestehender Gefahr eines Suizids aufgrund einer Räumung den Sachverhalt aufzuklären und die Interessen der Betroffenen sorgfältig zu ermitteln. Dieser Pflicht sei das Landgericht aber nicht nachgekommen.

Ungenügende Sachver­halts­auf­klärung durch Landgericht

Das Landgericht habe nicht hinreichend aufgeklärt, so das Bundes­ver­fas­sungs­gericht, ob aufgrund der Räumung ernsthaft mit einem Suizid der Ehefrau zu rechnen war. So sei es unzutreffend gewesen, dass das Privatgutachten die Selbst­mord­gefahr relativierte. Vielmehr habe es weiterhin die Gefahr einer Selbsttötung attestiert. Es sei unklar gewesen, wie das Landgericht aufgrund der Ausführungen des Privat­gut­achtens auf eine fehlende konkrete Suizidgefahr kam.

Unzureichende Berück­sich­tigung der Interessen der neuen Eigentümer

Zudem habe das Landgericht nach Ansicht des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts keine Feststellungen dahingehend getroffen, welches Interesse die neuen Eigentümer an der Räumung hatten, und wie dieses Interesse im Verhältnis zur Suizidgefahr der Ehefrau stand. Dies sei aber erforderlich gewesen. Denn der neue Eigentümer habe vorgetragen, dass seine zur damaligen Zeit schwangere Ehefrau aufgrund des Rechtsstreits über die Räumung psychisch belastet war und daher die Gefahr einer Risiko­schwan­ger­schaft bestand. Darüber hinaus habe er eine finanzielle Belastung geschildert, da er neben der Miete für seine Wohnung auch die Kosten für die Darlehensraten, der Gebäu­de­ver­si­cherung, der Grundsteuer sowie der Entsor­gungs­ge­bühren für das Haus aufkommen musste. Die Zahlung einer Nutzungs­ent­schä­digung durch die Eheleute aufgrund des Bewohnens des Hauses sei angesichts ihrer Zahlungs­un­fä­higkeit nicht in Betracht gekommen.

Quelle: Bundesverfassungsgericht, ra-online (vt/rb)

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