21.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss20.02.2013

Sächsische Rechtsgrundlage zur Zwangs­be­handlung im Maßregelvollzug nichtigPatient darf nicht gegen seinen Willen mit Psychopharmaka behandelt werden

Die Regelung des sächsischen Landesrechts, auf deren Grundlage der Beschwer­de­führer gegen seinen Willen mit Psychopharmaka behandelt wird, ist nichtig (§ 22 Abs. 1 Satz 1 des sächsischen Gesetzes über die Hilfen und die Unterbringung bei psychischen Krankheiten - SächsPsychKG). Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hervor. In zwei früheren Beschlüssen aus dem Jahr 2011, an die die vorliegende Entscheidung anschließt, hatte der Senat bereits Regelungen zur Zwangs­be­handlung im rheinland-pfälzischen und im baden-württem­ber­gischen Landesrecht für nichtig erklärt.

In dem zugrunde liegenden Fall wurde der Beschwer­de­führer im Jahr 2002 wegen Schul­d­un­fä­higkeit vom Vorwurf der schweren räuberischen Erpressung freigesprochen und in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Nach Diagnose der Klinik leidet er an einer chronifizierten paranoiden Schizophrenie. Der Beschwer­de­führer zeigte krank­heits­bedingt schwerwiegende, auch seine Umgebung massiv belastende Verhal­tens­auf­fäl­lig­keiten. Er steht unter rechtlicher Betreuung und wird, seitdem eine Betreuerin die Einwilligung hierzu erteilt hatte, mit einem antipsy­cho­tischen Medikament behandelt. Er selbst lehnt die Behandlung ab und nimmt sie nur hin, um eine Durchsetzung der verordneten Medikation mit unmittelbarem Zwang zu vermeiden.

Beschwer­de­führer wollte Einstellung der medikamentösen Zwangs­heil­be­handlung bewirken

Zunächst hatte der Beschwer­de­führer erfolglos versucht, in einem betreu­ungs­ge­richt­lichen Verfahren feststellen zu lassen, dass eine Rechtsgrundlage für eine Einwilligung der damaligen Betreuerin in die zwangsweise Behandlung mit Neuroleptika nicht bestehe. Sodann hat er im gerichtlichen Verfahren nach dem Straf­voll­zugs­gesetz beantragt, jegliche medikamentöse Zwangs­heil­be­handlung einzustellen, zumindest bis eine - näher spezifizierte - neue gesetzliche Regelung zur Zwangsbehandlung geschaffen sei. Mit diesem Rechts­schutz­an­liegen blieb er sowohl vor der Straf­voll­stre­ckungs­kammer des Landgerichts als auch vor dem Oberlan­des­gericht ohne Erfolg.

LG: notwendige Behandlungen auch gegen Willen des Patienten

Das Landgericht nahm an, bei einem krank­heits­bedingt nicht einwil­li­gungs­fähigen Patienten stehe, wenn der Betreuer wirksam eingewilligt habe, der natürliche Wille des Untergebrachten einer Behandlung nicht entgegen. Werde eine Behandlung als notwendig erkannt, ärztlicherseits angeraten und vom Betreuer für erforderlich gehalten, dann müsse die Möglichkeit bestehen, sie auch gegen den durch Krankheit beeinflussten Willen des Patienten durchzusetzen. Die Rechtmäßigkeit der Zustimmung des Betreuers könne nicht durch das Vollstre­ckungs­gericht, sondern nur durch das Betreu­ungs­gericht überprüft werden, da § 22 SächsPsychKG allein an das Vorliegen einer Einwilligung anknüpfe.

OLG: Achtung und Schutz der unantastbaren Würde des Menschen rechtfertigen Zwangs­be­handlung

Das Oberlan­des­gericht befand, anders als in den vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschiedenen Fällen werde eine Zwangs­be­handlung des Beschwer­de­führers nicht nur durch das grundrechtlich geschützte Freiheits­in­teresse des Untergebrachten selbst gerechtfertigt, sondern auch durch die sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergebende Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, die unantastbare Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Sollte die Zwangs­be­handlung des Beschwer­de­führers unterlassen werden, sei mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit zu befürchten, dass sich der Gesund­heits­zustand des Beschwer­de­führers dramatisch verschlechtern werde. Der Beschwer­de­führer werde dann erneut die massiven Verhal­tens­auf­fäl­lig­keiten zeigen, deretwegen er in der Vergangenheit fortgesetzt im Krisen­in­ter­ven­ti­o­nsraum habe untergebracht werden müssen.

Die Verfas­sungs­be­schwerde richtet sich gegen die Beschlüsse dieser Gerichte sowie gegen die zugrun­de­lie­genden gesetzlichen Regelungen.

Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt

Die zulässige Verfas­sungs­be­schwerde ist begründet.

Die herangezogene Eingriffs­grundlage des § 22 Absatz 1 Satz 1 SächsPsychKG ist mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig. Daher verletzen die angegriffenen Entscheidungen den Beschwer­de­führer bereits deshalb in seinem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG), weil es für die Zwangs­be­handlung, die sie als rechtmäßig bestätigen, an einer verfas­sungs­mäßigen gesetzlichen Grundlage fehlt. Das Erfordernis einer verfas­sungs­kon­formen gesetzlichen Grundlage für Grund­recht­s­ein­griffe besteht auch dann, wenn für den jeweils betrachteten Eingriff gute oder sogar zwingende sachliche Gründe sprechen mögen. Der verfas­sungs­rechtliche Grundsatz, dass in Grundrechte nur auf der Grundlage eines Gesetzes eingegriffen werden darf (Vorbehalt des Gesetzes), hat gerade den Sinn, die primäre Zuständigkeit für die Bewertung von Grund­rechts­be­schrän­kungen als wohlbegründet oder ungerecht­fertigt zu bestimmen. Er stellt sicher, dass die Grenzen zwischen zulässigem und unzulässigem Grund­rechts­ge­brauch, zwischen zulässiger und unzulässiger Grund­recht­s­ein­schränkung nicht fallweise nach eigener Einschätzung von beliebigen Behörden oder Gerichten, sondern primär - in der Form eines allgemeinen Gesetzes - durch den Gesetzgeber gezogen werden.

Vorschriften des Betreu­ungs­rechts gestatten Betreuer keine Einwilligung in die Zwangs­be­handlung

§ 22 Abs. 1 Satz 1 SächsPsychKG beschränkt die medizinische Zwangs­be­handlung des Untergebrachten zur Erreichung des Vollzugsziels nicht, wie verfas­sungs­rechtlich geboten, auf den Fall seiner krank­heits­bedingt fehlenden Einsichts­fä­higkeit. Eine ausreichende Beschränkung in diesem Sinne liegt nicht darin, dass die Einwilligung des Betreuers ihrerseits die krank­heits­be­dingte Einsichts­un­fä­higkeit des Betreuten voraussetzt. Denn die in Bezug genommenen Vorschriften des Betreu­ungs­rechts gestatten dem Betreuer nicht, in die Zwangs­be­handlung eines im Maßregelvollzug Untergebrachten einzuwilligen.

Fehlende Bestimmung zur Rechtfertigung des Eingriffs

Es fehlt zudem an der Bestimmung des Zwecks oder der Zwecke, die den Eingriff rechtfertigen sollen. Auch sonst ist dem Erfordernis, die materiellen Voraussetzungen einer Zwangs­be­handlung über die Anforderung der Zumutbarkeit und Verhält­nis­mä­ßigkeit hinaus gesetzlich zu konkretisieren, nicht Genüge getan.

Krankenhaus hat sich um freiwllige Zustimmung des Betroffenen zu bemühen

Auch mit Blick auf die Ausgestaltung des Verfahrens wird die gesetzliche Regelung den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen nur teilweise gerecht. Es fehlt an den notwendigen Regelungen dazu, dass der Zwangs­be­handlung eine hinreichend konkrete Ankündigung vorauszugehen hat und dass sich das Krankenhaus vor der Zwangs­be­handlung ernsthaft um eine auf Vertrauen gegründete und freiwillige Zustimmung des Betroffenen bemühen muss. Entgegen den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen ist zudem keine vorausgehende Überprüfung der Maßnahme in gesicherter Unabhängigkeit von der Unter­brin­gungs­ein­richtung vorgesehen. Dass § 22 Abs. 1 Satz 1 SächsPsychKG die Zwangs­be­handlung an das Einverständnis des gesetzlichen Vertreters – bei Erwachsenen also des Betreuers – bindet, genügt insoweit nicht. Diese Vorschrift sieht keine Überprüfung der Entscheidung der Klinik anhand der vorgegebenen gesetzlichen Maßstäbe vor. Vielmehr setzt sie die Entscheidung des Betreuers an die Stelle solcher Maßstäbe.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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