21.11.2024
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Dokument-Nr. 24614

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Beschluss25.07.2017Bundesverfassungsgericht2 BvR 1287/17, 2 BvR 1583/17, 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1562/17
Vorinstanzen zu 2 BvR 1287/17 und 2 BvR 1583/17:
  • Landgericht München I, Beschluss06.06.2017, 6 Qs 5/17, 6 Qs 6/17
  • Amtsgericht München, Beschluss21.03.2017, ER II Gs 2811/17
  • Amtsgericht München, Beschluss06.03.2017, ER II Gs - 2238/17
Vorinstanzen zu 2 BvR 1405/17:
  • Landgericht München I, Beschluss08.05.2017, 6 Qs 5/17, 6 Qs 6/17
  • Amtsgericht München, Beschluss06.03.2017, ER II Gs - 2238/17
Vorinstanzen zu 2 BvR 1562/17:
  • Landgericht München I, Beschluss07.06.2017, Qs 12/17, 6 Qs 13/17, 6 Qs 14/17
  • Landgericht München I, Beschluss07.06.2017, 6 Qs 9/17, 6 Qs 10/17, 6 Qs 11/17
  • Amtsgericht München, Beschluss26.04.2017, ER II Gs 4214/17
  • Amtsgericht München, Beschluss21.03.2017, ER II Gs 2811/17
  • Amtsgericht München, Beschluss06.03.2017, ER II Gs 2238/17
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss25.07.2017

VW-Dieselskandal: Sichergestellte Unterlagen dürfen vorerst nicht ausgewertet werdenFolgeabwägungen zu Gunsten der Beschwer­de­führer

Die aus den Büroräumen der Rechts­an­walts­kanzlei Jones Day sicher­ge­stellten Unterlagen und Daten bezüglich des Ermitt­lungs­ver­fahrens gegen Unbekannt im sogenannten "VW-Dieselskandal" müssen beim Amtsgericht München hinterlegt werden und dürfen einstweilen nicht ausgewertet werden. Dies hat das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschieden.

Anlässlich eines in den USA geführten straf­recht­lichen Ermitt­lungs­ver­fahrens wegen Abgas­ma­ni­pu­la­tionen an Diesel­fahr­zeugen beauftragte die Volkswagen AG die Rechts­an­walts­kanzlei Jones Day im September 2015 mit internen Ermittlungen, rechtlicher Beratung und der Vertretung gegenüber den US-amerikanischen Straf­ver­fol­gungs­be­hörden. Zum Zwecke der Sachaufklärung sichteten die Rechtsanwälte von Jones Day innerhalb des Volkswagen-Konzerns eine Vielzahl von Dokumenten und führten konzernintern über 700 Befragungen von Mitarbeitern durch. Mit dem Mandat waren auch Rechtsanwälte aus dem Münchener Büro der Kanzlei Jones Day befasst.

Beschwerden gegen Durch­su­chungs­a­n­ordnung und Sicherstellung erfolglos

Die Staatsanwaltschaft München II führt wegen der Vorgänge im Zusammenhang mit den 3, Liter-Dieselmotoren der Audi AG ein Ermittlungsverfahren wegen Betruges und strafbarer Werbung, das sich bislang gegen Unbekannt richtet. Auf ihren Antrag ordnete das Amtsgericht München die Durchsuchung der Münchener Geschäftsräume der Kanzlei Jones Day an. Im Rahmen der Durchsuchung am 15. März 2017 wurden zahlreiche Aktenordner sowie ein umfangreicher Bestand an elektronischen Daten mit den Ergebnissen der internen Ermittlungen sichergestellt. Die Beschwerden der Volkswagen AG, der Rechts­an­walts­kanzlei Jones Day sowie der sachbe­a­r­bei­tenden Rechtsanwälte aus dem Münchener Büro gegen die Durch­su­chungs­a­n­ordnung und die Bestätigung der Sicherstellung waren erfolglos.

Verfas­sungs­be­schwerden nach erfolglosen Beschwerden

Mit ihren Verfas­sungs­be­schwerden rügen die Beschwer­de­führer vornehmlich die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 13 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG und begehren mit den Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, die Auswertung der sicher­ge­stellten Unterlagen und Daten bis zu einer Entscheidung über die eingelegten Verfas­sungs­be­schwerden einstweilen auszusetzen.

Bundes­ver­fas­sungs­gericht muss Folgenabwägung vornehmen

Folgendes sind die Erwägungen des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts:

1. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht kann einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist (§ 32 Abs. 1 BVerfGG). Die Erfolgs­aus­sichten in der Hauptsache haben außer Betracht zu bleiben, es sei denn, der in der Hauptsache gestellte Antrag erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Haupt­sa­che­ver­fahrens muss das Bundes­ver­fas­sungs­gericht eine Folgenabwägung vornehmen.

Gründe für Erlass der einstweiligen Anordnung überwiegen

2. Die Verfas­sungs­be­schwerden sind weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Im Rahmen der somit erforderlichen Folgenabwägung überwiegen die Gründe für den Erlass der einstweiligen Anordnungen.

Irreparable Beein­träch­tigung des rechtlich geschützten Vertrau­ens­ver­hält­nisses durch zwischen­zeitliche Auswertungen der Straf­ver­fol­gungs­be­hörden möglich

a) Erginge die einstweilige Anordnung nicht, erwiese sich die Verfassungsbeschwerde später aber als begründet, könnte die Staats­an­walt­schaft in der Zwischenzeit eine Auswertung des sicher­ge­stellten Materials vornehmen. Dieser Zugriff der Straf­ver­fol­gungs­be­hörden könnte nicht nur zu einer - möglicherweise irreparablen - Beein­träch­tigung des rechtlich geschützten Vertrau­ens­ver­hält­nisses zwischen der Volkswagen AG einerseits und der Rechts­an­walts­kanzlei Jones Day und damit auch den sachbe­a­r­bei­tenden Rechtsanwälten führen. Auch andere Mandanten, die mit dem Ermitt­lungs­ver­fahren in keinem Zusammenhang stehen, könnten im Falle einer Auswertung - zumal angesichts der medialen Aufmerksamkeit, die dem Fall zukommt - ihre Geschäfts­ge­heimnisse und persönlichen Daten bei der Rechts­an­walts­kanzlei Jones Day in Unsicherheit wähnen und deshalb ihre Aufträge zurückziehen. Dies hätte unmittelbare Folgen auch für die berufliche Tätigkeit der sachbe­a­r­bei­tenden Rechtsanwälte. Darüber hinaus könnte die Staats­an­walt­schaft durch die Auswertung Kenntnis von Informationen erlangen, die allesamt aufgrund des von der Volkswagen AG erteilten Mandats in die Sphäre der Rechts­an­walts­kanzlei Jones Day gelangt sind und über deren Preisgabe sie als Auftraggeberin bisher selbst entscheiden konnte. Zudem könnten durch die Auswertung auch persönliche Daten unbeteiligter Dritter, insbesondere von Mitarbeitern der Volkswagen AG oder ihrer Tochter­ge­sell­schaften wie etwa der Audi AG, zur Kenntnis der Straf­ver­fol­gungs­be­hörden gelangen.

Bei einstweilige Anordnung trotz unbegründeter Verfas­sungs­be­schwerde lediglich Zeitverzögerung zu befürchten

b) Erginge dagegen die einstweilige Anordnung, erwiesen sich die Verfas­sungs­be­schwerden später jedoch als unbegründet, würde damit lediglich eine Verzögerung der staats­an­walt­lichen Ermittlungen für eine begrenzte Zeitspanne einhergehen. Ein Beweisverlust hinsichtlich der Informationen aus dem sicher­ge­stellten Material wäre nicht zu befürchten.

Schwerwiegende Nachteile für Beschwer­de­führer

c) Bei Abwägung der jeweiligen Folgen wiegen die möglichen Nachteile für die Beschwer­de­führer schwerer als die durch den Erlass der einstweiligen Anordnung eintretende vorübergehende Beschränkung der staatlichen Strafverfolgung.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ ra-online

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