24.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss09.06.2010

Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Verhinderung des "Euro-Rettungsschirms" nicht erfolgreichVorübergehender Rückzug Deutschlands aus Rettungs­maß­nahmen würde zu Vertrau­ens­min­derung an den Märkten mit unabsehbaren Folgewirkungen führen

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Verhinderung des "Euro-Rettungsschirms" abgewiesen, da aus einem auch nur vorübergehenden Rückzug Deutschlands aus den Rettungs­maß­nahmen voraussichtlich schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile resultieren würden.

Im Interesse der finanziellen Stabilität der gesamten Eurozone erklärten sich die Staaten der Euro-Gruppe auf Antrag Griechenlands im Mai 2010 bereit, im Zusammenhang mit einem dreijährigen Programm des Internationalen Währungsfonds (IWF) erhebliche Finanzhilfen bereitzustellen, um Griechenland zusätzlich zu einer Finanzierung durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) mit eigenen bilateralen Darlehen zu unterstützen. (vgl. Bundes­ver­fas­sungs­gericht, Beschluss v. 07.05.2010 - 2 BvR 987/10 -).

Sachverhalt

Am 7. Mai kamen die Staats- und Regierungschefs der Euro-Gruppe 2010 in Brüssel zusammen und vereinbarten unter anderem, dass die EU-Kommission einen europäischen Stabi­li­sie­rungs­me­cha­nismus zur Wahrung der Finanz­ma­rkt­sta­bilität in Europa vorschlagen sollte („Euro-Rettungsschirm“). Der Rat für Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN-Rat) beschloss daher die Schaffung eines europäischen Stabi­li­sie­rungs­me­cha­nismus, bestehend aus dem auf eine EU-Verordnung gestützten europäischen Finanz­sta­bi­li­sie­rungs­me­cha­nismus (EFSM) einerseits und aus der europäischen Finanz­sta­bi­li­sie­rungs­fa­zilität (EFSF), einer auf zwischen­staat­licher Vereinbarung der Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe beruhenden Zweck­ge­sell­schaft zur Gewährung von Darlehen und Kreditlinien, andererseits. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) beteiligte sich am 10. Mai 2010 an dem neuen Schutzprogramm, indem sie beschloss, ab sofort selbst Staatsanleihen aufzukaufen. Die Verordnung (EU) Nr. 407/2010 des Rates vom 11. Mai 2010 zur Einführung eines europäischen Finanz­sta­bi­li­sie­rungs­me­cha­nismus (ABl Nr. L 118/1) stützt sich auf Art. 122 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Danach kann einem Mitgliedstaat, der aufgrund außer­ge­wöhn­licher Ereignisse, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht ist, ein finanzieller Beistand der EU gewährt werden. Der Rat ist der Ansicht, dass die außer­ge­wöhnliche Situation darin liege, dass die Verschärfung der weltweiten Finanzkrise für mehrere Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe zu einer gravierenden Verschlech­terung ihrer Kredit­kon­di­tionen geführt habe, die über das hinausgehe, was sich durch wirtschaftliche Funda­men­ta­ldaten erklären lasse. Neben der Einführung des EFSM verpflichteten sich die Staats- und Regierungschefs der Euro-Gruppe, über eine noch in Gründung befindliche Zweck­ge­sell­schaft, die EFSF, finanziellen Beistand zu leisten. Deren zukünftiger Zweck sei die Emission von Anleihen sowie die Gewährung von Darlehen und Kreditlinien zur Deckung des Finan­zie­rungs­bedarfs von in Schwierigkeiten befindlichen Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe unter Auflagen. Die Garantien für die Zweck­ge­sell­schaft in Höhe von 440 Milliarden Euro werden anteilig unter den Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe entsprechend ihrer Beteiligung am Kapital der EZB aufgeteilt. Zwischen den teilnehmenden Staaten der Euro-Gruppe und der geplanten Zweck­ge­sell­schaft sollte zudem noch eine Rahmen­ver­ein­barung geschlossen werden, die Näheres zur Emission von Anleihen durch die Zweck­ge­sell­schaft am Kapitalmarkt, zur Garan­tie­er­klärung der Staaten der Euro-Gruppe sowie die Einzelheiten der Kredi­taus­reichung regelt (vgl. das seither mehrfach modifizierte EFSF Framework Agreement, Entwurf vom 20. Mai 2010). Entsprechend der Beteiligung Deutschlands am Kapital der EZB sollte der deutsche Anteil an dem Garantievolumen 123 Milliarden Euro betragen; im Falle unvor­her­ge­sehenen und unabweisbaren Bedarfs könne der Betrag um weitere 20 % überschritten werden (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP, BTDrucks 17/1685, S. 1), so dass sich danach ein maximales Volumen von rund 148 Milliarden Euro ergebe.

Deutsche Bundestag verabschiedet Gesetz zur Übernahme von Gewähr­leis­tungen im Rahmen eines europäischen Stabi­li­sie­rungs­me­cha­nismus

Um auf nationaler Ebene die Voraussetzungen für die Leistung finanziellen Beistands über die Zweck­ge­sell­schaft (EFSF) zu schaffen, verabschiedete der Deutsche Bundestag am 21. Mai 2010 das angegriffene Gesetz zur Übernahme von Gewähr­leis­tungen im Rahmen eines europäischen Stabi­li­sie­rungs­me­cha­nismus (im Folgenden: Euro-Stabi­li­sie­rungs­me­cha­nismus-Gesetz, BGBl I S. 627), das vom Bundesrat noch am gleichen Tag gebilligt und am 22. Mai 2010 verkündet wurde.

Nach Billigung des Euro-Stabi­li­sie­rungs­me­cha­nismus-Gesetzes durch den Bundesrat hat der Beschwer­de­führer am 21. Mai 2010 Verfas­sungs­be­schwerde wegen Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 38 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt.

„Euro-Rettungsschirm“ soll Vertrau­ens­verlust in die Zahlungs­fä­higkeit einzelner Staaten der Euro-Gruppe entgegenwirken

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat den Antrag des Beschwer­de­führers auf Erlass der begehrten Anordnung abgelehnt. Die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Folgenabwägung ergibt, dass der Allgemeinheit schwere Nachteile drohen würden, wenn die einstweilige Anordnung ergehe und sich die Gewähr­leis­tungs­er­mäch­tigung später als verfas­sungs­rechtlich zulässig erweise. Der „Euro-Rettungsschirm“ und der Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB sollen einem Vertrau­ens­verlust in die Zahlungs­fä­higkeit einzelner Staaten der Euro-Gruppe entgegenwirken. Die Bundesrepublik Deutschland trägt im Rahmen dieser Siche­rungs­maß­nahmen gemäß ihrer wirtschaft­lichen Leistungskraft einen erheblichen Anteil. Würde die Bundesrepublik Deutschland, die an den Finanzmärkten als uneingeschränkt solvent gilt, durch den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung ihre Zusagen auch nur vorübergehend aussetzen müssen, könnte dies nach Einschätzung der Bundesregierung bereits zu einer Vertrau­ens­min­derung an den Märkten führen, deren Folgewirkungen nicht absehbar sind.

Diese Einschätzung der Bundesregierung wird zwar von dem Beschwer­de­führer nicht geteilt, der in den Maßnahmen gerade für die Stabilität der europäischen Währung eher zusätzliche Risiken sieht. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht kann aber im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes diese Frage nicht aufklären und muss dies auch nicht tun. Bei der Beurteilung außen­po­li­tischer Situationen, zu der hier auch die Lage der internationalen Finanzmärkte zu rechnen ist, kommt der Bundesregierung im gewal­ten­teiligen System aufgrund ihrer fachlichen Zuständigkeit, ihrer besonderen Sachnähe und ihrer politischen Verant­wort­lichkeit ein Einschät­zungs­vorrang zu, der vorbehaltlich eindeutiger Widerlegung vom Bundes­ver­fas­sungs­gericht zu respektieren ist .

Durch Rückzug Deutschlands aus Rettungs­maß­nahmen entstünden Allgemeinheit voraussichtlich schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile

Ein auch nur vorübergehender Rückzug Deutschlands aus den Rettungs­maß­nahmen würde nicht nur das Volumen des „Euro-Rettungsschirms“ anteilig vermindern, sondern könnte nach Auffassung der Bundesregierung die Reali­sier­barkeit des Rettungspaketes jedenfalls aus Sicht der Finanzmärkte insgesamt in Frage stellen. Damit entstünden der Allgemeinheit voraussichtlich schwerwiegende wirtschaftliche Nachteile. Sollte das mit dem Euro-Stabi­li­sie­rungs­me­cha­nismus verfolgte Ziel verfehlt werden, mithin eine möglicherweise drohende Illiquidität an wichtigen Handelsplätzen europäischer Staatsanleihen nicht abgewendet werden können, wäre nach Auffassung der Bundesregierung die Stabilität der gesamten Europäischen Währungsunion gefährdet. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat keine hinreichenden Anhaltspunkte, die zu der Annahme zwingen, dass die währungs- und finanz­po­li­tische Einschätzung der Bundesregierung fehlerhaft ist.

Demgegenüber wiegen die Nachteile weniger schwer, die entstehen, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen wird, das Gebrauchmachen von der Gewähr­leis­tungs­er­mäch­tigung sich später aber als unzulässig erweist.

Schwere und irreversible Beein­träch­ti­gungen der Grundrechte des Beschwer­de­führers durch Übernahme von Kreditgarantien nicht plausibel vorgetragen

Ein wesentlicher Schaden erwächst dem Gemeinwohl nicht aus der bloßen Möglichkeit einer Inanspruchnahme des Bundes im Eintrittsfall, also der drohenden Notlage eines Staates der Euro-Gruppe, deren Wahrschein­lichkeit die Bundesregierung für gering hält. Der Beschwer­de­führer hat keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass demgegenüber seine Grundrechte und grund­rechts­gleichen Rechte, insbesondere aus Art. 14 GG, unmittelbar gerade in Folge einer etwaigen Übernahme von Kreditgarantien oder des Aufkaufs von Staatsanleihen durch die EZB bereits schwer und irreversibel beeinträchtigt sein könnten. Soweit der Beschwer­de­führer vorträgt, die Enttäuschung des Rechts­ver­trauens durch die von ihm behauptete Verletzung der europäischen Verträge führe zu einer irreversiblen Schädigung der Gemein­schafts­währung, setzt er sich damit in Widerspruch zur Einschätzung der Bundesregierung, die das Bundes­ver­fas­sungs­gericht aus den genannten Gründen zu respektieren hat.

Quelle: ra-online, Bundesverfassungsgericht

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