15.11.2024
15.11.2024  
Sie sehen das Schild des Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
ergänzende Informationen

Bundesverfassungsgericht Beschluss02.05.2012

Rückwirkende Neuregelung der vorübergehenden Erhöhung des versor­gungs­recht­lichen Ruhege­halts­satzes verfas­sungsgemäßBundes­ver­fas­sungs­gericht verneint Verstoß gegen das verfas­sungs­rechtliche Vertrau­ens­schutzgebot

Die rückwirkende Neuregelung der vorübergehenden Erhöhung des versor­gungs­recht­lichen Ruhege­halts­satzes ist verfas­sungsgemäß. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht und erklärte, das Art. 17 Abs. 1 des Dienst­rechts­neu­ord­nungs­gesetz mit dem Grundgesetz, insbesondere mit den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen an den Vertrau­ens­schutz vereinbar ist.

Beamte, die neben ihrem beamten­recht­lichen Versor­gungs­an­spruch aus einer früheren Tätigkeit einen Anspruch auf Rente aus einer gesetzlichen Renten­ver­si­cherung erworben haben, befinden sich in einer besonderen Versorgungslage, wenn sie vor Erreichen der Regel­al­ters­grenze - etwa wegen Dienst­un­fä­higkeit oder aufgrund einer besonderen Altersgrenze - in den Ruhestand treten. Sie sind zunächst ausschließlich auf ihre beamten­recht­lichen Versor­gungs­bezüge angewiesen, da sie ihre Altersrente erst mit Erreichen der Regel­al­ters­grenze beziehen können. Dies kann sich für diese Beamten nachteilig auswirken, wenn durch eine späte Übernahme in das Beamten­ver­hältnis und den vorzeitigen Eintritt in den Ruhestand nur wenige Dienstjahre für die Berechnung der Versor­gungs­bezüge berücksichtigt werden können. § 14 a Beamten­ver­sor­gungs­gesetz (BeamtVG) wirkt dieser „Versor­gungslücke“ bei so genannten gemischten Erwer­bs­kar­rieren durch eine vorübergehende Erhöhung des Ruhege­halts­satzes bis zum Beginn des Rentenbezugs entgegen.

BVerwG erklärt auch Minde­stru­he­ge­haltssatz von 35 % der ruhege­halt­fähigen Dienstbezüge für „berechneten“ Ruhegehaltssatz

Berech­nungs­grundlage für die Erhöhung war nach der ursprünglichen Fassung des § 14 a Abs. 1 BeamtVG der „nach den sonstigen Vorschriften berechnete Ruhegehaltssatz“. Dies wurde von der Verwaltung in Übereinstimmung mit verwal­tungs­ge­richt­licher Rechtsprechung und einem Teil des Schrifttums zunächst dahingehend ausgelegt, dass nur ein auf der Grundlage der ruhege­halt­fähigen Dienstzeit berechneter („erdienter“) Ruhegehaltssatz maßgeblich sei. Demgegenüber kam das Bundes­ver­wal­tungs­gericht in seinem Urteil vom 23. Juni 2005 zu dem Ergebnis, dass es sich auch bei dem Minde­stru­he­ge­haltssatz von 35 % der ruhege­halt­fähigen Dienstbezüge um einen „berechneten“ Ruhegehaltssatz im Sinne des § 14 a Abs. 1 BeamtVG handele. Dieser Rechts­auf­fassung folgte die Verwaltung jedoch nicht; auch die unteren Instanzgerichte schlossen sich ihr nur teilweise an.

Berech­nungs­grundlage für vorübergehende Erhöhung des Ruhege­halts­satzes ist nur „erdienter“ Ruhegehaltssatz

Durch das am 11. Februar 2009 verkündete Dienst­rechts­neu­ord­nungs­gesetz (DNeuG) wurde § 14 a Abs. 1 BeamtVG dahingehend geändert, dass als Berech­nungs­grundlage für die vorübergehende Erhöhung des Ruhege­halts­satzes nur noch der „erdiente“ Ruhegehaltssatz in Betracht kommt. Art. 17 Abs. 1 DNeuG ordnete das Inkrafttreten dieser Änderung mit Wirkung vom 24. Juni 2005 an, das heißt zum Zeitpunkt der entge­gen­ste­henden Rechtsprechung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts.

Sachverhalt

Der Kläger des verwal­tungs­ge­richt­lichen Ausgangs­ver­fahrens war seit 1992 als Polizeibeamter beim Bundes­grenz­schutz beziehungsweise bei der Bundespolizei tätig. Er wurde nach Vollendung des 60. Lebensjahres mit Ablauf Februar 2008 wegen Erreichens der Altersgrenze in den Ruhestand versetzt. Die Bundes­fi­nanz­di­rektion Nord setzte sein Ruhegehalt auf 1.691,89 Euro fest, wobei sie den „erdienten“ Ruhegehaltssatz in Höhe von 32,64 % gemäß § 14 a Abs. 1 BeamtVG a. F. vorübergehend um 24,58 % auf insgesamt 57,22 % der ruhege­halt­fähigen Dienstbezüge erhöhte. Der Kläger begehrte, den Ruhegehaltssatz auf Basis des Minde­stru­he­ge­halts­satzes auf insgesamt 59,58 % der ruhege­halt­fähigen Dienstbezüge vorübergehend zu erhöhen, woraus sich ein Ruhegehalt in Höhe von 1.761,68 Euro ergeben hätte. Dies lehnte die Bundes­fi­nanz­di­rektion Nord ab. Die hiergegen erhobene Klage hat zur Vorlage durch das Bundes­ver­wal­tungs­gericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG geführt, das in der rückwirkenden Änderung des § 14 a Abs. 1 BeamtVG einen Verstoß gegen das verfas­sungs­rechtliche Vertrau­ens­schutzgebot sieht.

Vertrauen versor­gungs­be­rech­tigter Beamter auf amtsangemessene Versorgung im Alter nicht verletzt

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass Art. 17 Abs. 1 DNeuG mit dem Grundgesetz, insbesondere den verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen an den Vertrauensschutz, vereinbar ist. Die Vorschrift enthält keine verfas­sungs­rechtlich unzulässige Rückwirkung und verletzt nicht das durch Art. 33 Abs. 5 GG geschützte Vertrauen versor­gungs­be­rech­tigter Beamter darauf, im Alter amtsangemessen versorgt zu sein.

Vom Gesetzgeber beanspruchte Befugnis zu „authentischer“ Interpretation der rückwirkend geänderten Norm ist nicht anzuerkennen

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Art. 17 Abs. 1 DNeuG kommt - jeweils gemessen an der vom Bundes­ver­wal­tungs­gericht zugrunde gelegten Rechtslage - Rückwirkung zu. Daran ändert sich nichts, weil die rückwirkende Änderung von § 14 a Abs. 1 BeamtVG a. F., wie es in der Geset­zes­be­gründung heißt, aus Sicht der Verwaltung lediglich klarstellender Natur sei. Die verbindliche Auslegung von Rechtssätzen ist Aufgabe der Gerichte. Eine vom Gesetzgeber etwa beanspruchte Befugnis zu „authentischer“ Interpretation der rückwirkend geänderten Norm ist daher nicht anzuerkennen. Für die Beantwortung der Frage, ob eine rückwirkende Regelung konstitutiven Charakter hat, genügt die Feststellung, dass die geänderte Norm von den Gerichten nach den anerkannten Methoden der Geset­zes­aus­legung in einem Sinn ausgelegt werden konnte und ausgelegt worden ist, die mit der Neuregelung ausgeschlossen werden soll. So liegt es hier. Der Gesetzgeber hat mit der Neuregelung des § 14 a Abs. 1 BeamtVG a. F. eine Streitfrage abweichend von der höchst­rich­ter­lichen Rechtsprechung in einem bestimmten Sinne und damit konstitutiv entschieden.

Sichere Grundlage für Vertrauen in den Fortbestand des Minde­stru­he­ge­haltssatz als „berechneten“ Ruhegehaltssatz war nicht vorhanden

Art. 17 Abs. 1 DNeuG ist jedoch im Hinblick auf die verfas­sungs­recht­lichen Grenzen rückwirkender Gesetzgebung nicht zu beanstanden. Der rückwirkenden Inkraftsetzung des § 14 a Abs. 1 BeamtVG steht kein schutzwürdiges Vertrauen der betroffenen Beamten entgegen. Das durch das Rechts­s­taats­prinzip und Art. 33 Abs. 5 GG gewährleistete Vertrauen auf die geltende Rechtslage ist nur schutzwürdig, wenn die gesetzliche Regelung generell geeignet ist, ein Vertrauen auf ihr Fortbestehen zu begründen und darauf gegründete Entscheidungen - insbesondere Vermö­gens­dis­po­si­tionen - herbeizuführen, die sich bei Änderung der Rechtslage als nachteilig erweisen. Ein hinreichend gefestigtes und damit schutzwürdiges Vertrauen, dass es sich bei dem Minde­stru­he­ge­haltssatz um einen „berechneten“ Ruhegehaltssatz im Sinne des § 14 a Abs. 1 BeamtVG a. F. handele, konnte sich unter den gegebenen Umständen nicht entwickeln. Der Regelungsgehalt des § 14 a Abs. 1 BeamtVG a. F. war in dieser Hinsicht nicht eindeutig. Eine gefestigte höchst­rich­terliche Rechtsprechung bestand nicht. Vielmehr wich das Urteil des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts vom 23. Juni 2005 von der bis dahin bestehenden Verwal­tung­s­praxis sowie von der in der Insta­nz­recht­sprechung und von einem Teil des Schrifttums vertretenen Auslegung des § 14 a Abs. 1 BeamtVG a. F. ab. Das Urteil stieß auf erhebliche Kritik im Schrifttum; auch zumindest ein Oberver­wal­tungs­gericht folgte der Rechtsprechung des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts nicht. Die für die Beamten­ver­sorgung zuständigen Behörden haben zudem ganz überwiegend keinen Zweifel daran gelassen, dass dem Urteil vom 23. Juni 2005 über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht gefolgt werden solle und eine gesetzliche Klarstellung erforderlich sei. Hinzu kamen Geset­ze­s­i­n­i­tiativen auf Bundes- wie auf Landesebene, mit denen die unveränderte Verwal­tung­s­praxis gesetzlich abgesichert werden sollte. Unter diesen Umständen lag es nicht fern, dass das Bundes­ver­wal­tungs­gericht seine Rechts­auf­fassung korrigieren werde. Dementsprechend fehlte es an einer hinreichend sicheren Grundlage für ein Vertrauen in den Fortbestand der auf dieser Entscheidung beruhenden Rechtslage.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

Nicht gefunden, was Sie gesucht haben?

Urteile sind im Originaltext meist sehr umfangreich und kompliziert formuliert. Damit sie auch für Nichtjuristen verständlich werden, fasst urteile.news alle Entscheidungen auf die wesentlichen Kernaussagen zusammen. Wenn Sie den vollständigen Urteilstext benötigen, können Sie diesen beim jeweiligen Gericht anfordern.

Wenn Sie einen Link auf diese Entscheidung setzen möchten, empfehlen wir Ihnen folgende Adresse zu verwenden: https://urteile.news/Beschluss13558

Bitte beachten Sie, dass im Gegensatz zum Verlinken für das Kopieren einzelner Inhalte eine explizite Genehmigung der ra-online GmbH erforderlich ist.

Die Redaktion von urteile.news arbeitet mit größter Sorgfalt bei der Zusammenstellung von interessanten Urteilsmeldungen. Dennoch kann keine Gewähr für Richtigkeit und Vollständigkeit der über uns verbreiteten Inhalte gegeben werden. Insbesondere kann urteile.news nicht die Rechtsberatung durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt in einem konkreten Fall ersetzen.

Bei technischen Problemen kontaktieren Sie uns bitte über dieses Formular.

VILI