23.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Urteil19.09.2018

Vorschriften über den Zensus 2011 verfas­sungsgemäßGesetzgebers steht bei Regelung des Erhebungs­ver­fahrens Prognose-, Gestaltungs- und Entscheidungs­spielraum zu

Das Bundes­verfassungs­gericht hat entschieden, dass die angegriffenen Vorschriften, die die Vorbereitung und Durchführung der zum Stand vom 9. Mai 2011 erhobenen Bevölkerungs-, Gebäude- und Wohnungszählung (Zensus 2011) zum Gegenstand haben, mit der Verfassung vereinbar sind. Sie verstoßen nicht gegen die Pflicht zur realitätsnahen Ermittlung der Einwohnerzahlen der Länder und widersprechen insbesondere nicht dem Wesentlichkeits­gebot, dem Bestimmt­heitsgebot oder dem Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung. Auch ein Verstoß gegen das Gebot föderativer Gleich­be­handlung liegt nicht vor, da die Ungleich­be­handlung von Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern gerechtfertigt ist, weil sie aus sachlichen Gründen erfolgte und zu hinreichend vergleichbaren Ergebnissen zu kommen versprach. Die Entscheidung des Bundes­verfassungs­gerichts erfolgte aufgrund von Anträgen der Senate von Berlin und Hamburg im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle. Das Gericht verwies zur Begründung insbesondere auf den Prognose-, Gestaltungs- und Entscheidungs­spielraum des Gesetzgebers bei der Regelung des Erhebungs­ver­fahrens.

In den Jahren 2001 bis 2003 wurde ein sogenannter Zensustest durchgeführt, mit dem die Methode eines regis­ter­ge­stützten Zensus erprobt und weiter­ent­wickelt wurde und aus dem die statistischen Ämter des Bundes und der Länder Empfehlungen für die Durchführung eines künftigen Zensus ableiteten. Mit dem Zensus 2011 wurde ein Methodenwechsel von einer traditionellen Volkszählung im Wege der Vollerhebung hin zu einer maßgeblich auf vorhandene Registerdaten gestützten Erhebung vorgenommen. Dieser Methodenwechsel steht im Mittelpunkt der durch die Antragsteller geltend gemachten verfas­sungs­recht­lichen Bedenken. Gerügt wird die Verfas­sungs­wid­rigkeit von § 7 Absätze 1 bis 3, § 8 Absatz 3, § 15 Absätze 2 und 3 und § 19 des Gesetzes über den regis­ter­ge­stützten Zensus im Jahre 2011 (Zensusgesetz 2011) vom 8. Juli 2009 sowie § 15 des Gesetzes zur Vorbereitung eines regis­ter­ge­stützten Zensus einschließlich einer Gebäude- und Wohnungszählung 2011 (Zensus­vor­be­rei­tungs­gesetz 2011) vom 8. Dezember 2007 sowie von § 2 Absätze 2 und 3 und § 3 Absatz 2 der Verordnung über Verfahren und Umfang der Haushalts­be­fragung auf Stich­pro­benbasis zum Zensusgesetz 2011 (Stich­pro­ben­ver­ordnung Zensusgesetz 2011) - insbesondere unter dem Aspekt der föderativen und interkommunalen Gleich­be­handlung.

Vorschriften formell verfas­sungsgemäß

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass die angegriffenen gesetzlichen Vorschriften formell verfas­sungsgemäß sind. Sie sind insbesondere von der Gesetz­ge­bungs­kom­petenz des Bundes für die Statistik für Bundeszwecke gedeckt (Art. 73 Abs. 1 Nr. 11 GG). Eine staatliche Volkszählung durch Auswertung vorhandener Register und ergänzende Befragungen unterfällt dem verfas­sungs­recht­lichen Statis­tik­begriff und dient auch Zwecken des Bundes.

Bedingungen eines Zensus und Interesse an realitätsnahen Ermittlung der Einwohnerzahlen erfüllt

Die gesetzlichen Vorschriften sind materiell mit dem Grundgesetz vereinbar. § 7 Abs. 1 bis 3 ZensG 2011 verstößt weder gegen die sich aus Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG ergebenden Anforderungen der Wesent­lich­keits­doktrin noch gegen Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG. Die verfas­sungs­rechtliche Beurteilung von § 7 Abs. 1 bis 3 ZensG 2011, der die Grundlagen für die Haushalts­s­tichprobe enthält, trägt den Bedingungen eines Zensus und insbesondere dem Interesse an einer realitätsnahen Ermittlung der Einwohnerzahlen Rechnung. Vor diesem Hintergrund ist die Regelung im Hinblick auf Regelungsdichte und Bestimmtheit nicht zu beanstanden, denn sie enthält die wesentlichen Festlegungen für die Haushalts­s­tichprobe, für das Programm der Stich­pro­ben­ver­ordnung und das Verwal­tungs­ver­fahren.

Verfahren zur Korrektur von Unrichtigkeiten der Melde­re­gis­terdaten genügen verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen

Die durch § 7 Abs. 1 bis 3 und § 15 Abs. 2 und 3 Alt. 1 ZensG 2011 angeordneten Verfahren zur Korrektur von Unrichtigkeiten der Melde­re­gis­terdaten im Rahmen der Feststellung der amtlichen Einwohnerzahlen großer Gemeinden genügen verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen.

Das Grundgesetz misst der Einwohnerzahl der Länder für ihre Stimmenanzahl im Bundesrat, ihre Stellung im Bund-Länder-Finanzausgleich sowie die Voraussetzungen ihrer Neugliederung (Art. 29 GG) eine spezifische Bedeutung zu. Insoweit muss der Gesetzgeber eine hinreichend realitätsnahe Ermittlung sicherstellen. Dabei muss die Verfah­rens­ge­staltung insbesondere den Anforderungen an eine "gültige" Prognose genügen.

Der Gesetzgeber hat an die für Vollerhebungen zu erwartende Genauigkeit der Einwohn­er­zah­len­fest­stellung angeknüpft. Da davon ausgegangen werden kann, dass die Vollerhebung als traditionelle Erhebungsweise auch den Vorstellungen des Verfas­sungs­gebers zur Genauigkeit der Ermittlung der von ihm vorausgesetzten Einwohnerzahlen zugrunde lag, kann von einer neuen statistischen Methode jedenfalls nicht mehr verlangt werden als von der Vollerhebung.

Das Gebot, eine hinreichend genaue Ermittlung der Einwohnerzahl zu einem bestimmten Stichtag nach einem rechtlich geregelten Verfahren vorzunehmen, stellt eine komplexe Gestal­tungs­aufgabe dar und kollidiert mit rechtlich geschützten Interessen anderer Beteiligter. Eine solche Regelung ist daher notwen­di­gerweise mit einer Abwägung unter­schied­licher Belange verbunden, bei der dem Gesetzgeber ein Einschätzungs- und Gestal­tungs­spielraum zukommt. Sowohl die Auswahl des Verfahrens als auch seine konkrete Ausgestaltung müssen unter­schiedliche Gesichtspunkte wie Genauigkeit, Erfor­der­lichkeit von Grund­recht­s­ein­griffen oder den Ressour­cen­aufwand berücksichtigen. Dabei muss der Gesetzgeber die Entwicklung der statistischen Methoden daraufhin beobachten, ob grund­rechts­scho­nendere Verfahren zur Verfügung stehen.

Unionsrecht lässt ausdrücklich Wahl zwischen Vollerhebung und regis­ter­ge­stütztem Zensus

Eine klare Überlegenheit der Vollerhebung gegenüber einer regis­ter­ge­stützten Erhebung ist nach dem gegenwärtigen Stand der statistischen Wissenschaft nicht feststellbar. So kommt es bei Vollerhebungen erfahrungsgemäß zu Ungenauigkeiten im Rahmen der primär­sta­tis­tischen Befragungen, zu in Massenverfahren nicht vermeidbaren Komplikationen sowie zu Schwierigkeiten bei der Gewährleistung der Einheitlichkeit des Verfahrens und der Schulung der großen Zahl von Erhebungs­be­auf­tragten. Demgegenüber ist das gewählte Verfahren mit erheblich geringeren Belastungen der Befragten verbunden. Dies ermöglicht eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung und verringert das Risiko von fehlerhaften oder unvollständigen Antworten und Antwort­ver­wei­ge­rungen und verbessert damit auch die Präzision der Erhebung. Das Unionsrecht lässt angesichts der Gleich­wer­tigkeit von Vollerhebung und regis­ter­ge­stütztem Zensus aus fachwis­sen­schaft­licher Sicht den Mitglieds­s­taaten im Übrigen ausdrücklich die Wahl zwischen beiden Verfahren sowie kombinierten Methoden. Vor diesem Hintergrund haben sich zahlreiche Mitgliedstaaten ebenfalls für ein regis­ter­ge­stütztes Verfahren entschieden.

Eignung der Register für Erhebung wurden erprobt

Die Entscheidung für das mit dem Zensusgesetz 2011 geregelte Verfahren eines regis­ter­ge­stützten Zensus beruht auch auf einer gültigen Prognose. Im Anschluss an die politischen Grund­sat­z­ent­schei­dungen in den Jahren 1997/98 wurde mit dem Zensustest eine empirische Untersuchung eines entsprechenden Modells vorgenommen, wobei verschiedene Verfah­ren­s­elemente sowie die Eignung der Register für eine solche Erhebung erprobt wurden. Auf dieser Grundlage wurden verschiedene Modelle verglichen und eine Empfehlung für eine Erhebungs­methode abgegeben, die im Wesentlichen dem letztlich Gesetz gewordenen Modell entsprach. Zudem gab es eine Begleitung durch eine mit unabhängigen Fachwis­sen­schaftlern besetzte Zensus­kom­mission sowie zwei Sachver­stän­di­ge­nan­hö­rungen während des Gesetz­ge­bungs­ver­fahrens.

Abweichungen von gesetz­ge­be­rischer Prognose stellen Gültigkeit nicht in Frage

Soweit der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass sich auf die im Zensustest untersuchte Weise Daten in der erforderlichen Qualität gewinnen ließen, ist dies nicht zu beanstanden. Sämtliche Bausteine des regis­ter­ge­stützten Zensus - mit Ausnahme der abschließenden Verfahren zur Regis­ter­feh­ler­kor­rektur - waren bereits im Zensustest erprobt und als grundsätzlich geeignet eingeschätzt worden. Der Gesetzgeber war daher nicht gehalten, das vollständige Verfahren in einer weiteren, für den Verwal­tungs­vollzug nicht verwertbaren, Testerhebung zu untersuchen. Im Nachhinein erkennbar gewordene Abweichungen von der gesetz­ge­be­rischen Prognose stellen deren Gültigkeit nicht in Frage. Die amtliche Evaluation spricht vielmehr für einen hohen Grad der Zielerreichung.

Der Gesetzgeber hat jedoch bei zukünftigen Volkszählungen die Erfahrungen mit dem verfah­rens­ge­gen­ständ­lichen Zensus 2011 zu berücksichtigen und die Erfor­der­lichkeit von Anpassungen zu prüfen.

Anwendung unter­schied­licher Methoden der Volkszählung stellt recht­fer­ti­gungs­be­dürftige Ungleich­be­handlung dar

Die Differenzierung im Verfahren für die Ermittlung der amtlichen Einwohnerzahlen entlang der 10.000-Einwohner-Schwelle kann sich in den Ländern aufgrund der jeweiligen Bevöl­ke­rungs­struktur unterschiedlich auswirken. Diese Differenzierung ist am Gebot föderativer Gleich­be­handlung (Art. 20 Abs. 1 GG) zu messen. Die Anwendung unter­schied­licher Methoden der Volkszählung stellt eine recht­fer­ti­gungs­be­dürftige Ungleich­be­handlung dar, wenn nicht nur geringfügige Auswirkungen auf die Vergleich­barkeit der Ergebnisse naheliegend erscheinen. Das gilt auch mit Blick auf die angegriffenen Regelungen, da sich der Anteil der in großen und kleinen Gemeinden lebenden Bevölkerung von Land zu Land zum Teil erheblich unterscheidet und beide Verfahren jedenfalls nicht zu identischen Ergebnissen führen.

Die Ungleich­be­handlung ist jedoch gerechtfertigt, weil sie aus sachlichen Gründen erfolgte und bei der gebotenen ex-ante-Betrachtung nur geringfügig war.

Beschränkung der Haushalts­s­tichprobe auf Gemeinden mit mindestens 10.000 Einwohnern nicht zu beanstanden

Die Verwendung unter­schied­licher Verfahren zur Korrektur von Über- und Unterer­fas­sungen in den Melderegistern gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 einerseits und § 16 ZensG 2011 andererseits erscheint vor dem Hintergrund des dem Gesetzgeber zur Verfügung stehenden Erkennt­niss­tandes vertretbar. Der Differenzierung lag ersichtlich die Vorstellung zugrunde, dass die Verfahren trotz unter­schied­licher Gemein­de­struktur in den Ländern geeignet waren, deren Einwohnerzahlen mit zumindest vergleichbarer Genauigkeit zu bestimmen. Die Beschränkung der Haushalts­s­tichprobe auf Gemeinden mit mindestens 10.000 Einwohnern ermöglichte neben einer Verringerung des Verwal­tungs­auf­wandes insbesondere die Vermeidung von zusätzlichen Grund­recht­s­ein­griffen durch die geringere Zahl zu befragender Personen. Sachgerecht ist auch die Erwägung des Gesetzgebers, dass ein durch die Beschränkung des Stich­pro­ben­ver­fahrens verringerter Erhebungsumfang eine höhere Ergeb­nis­qualität der primär­sta­tistisch erhobenen Daten erwarten lasse. Der Gesetzgeber ist insoweit ersichtlich Einschätzungen gefolgt, die auf Erfah­rungs­werten der amtlichen Statistik beruhen.

Auch unter­schiedliche Regelung der Mehrfach­fa­ll­prüfung nicht zu beanstanden

Für die unter­schiedliche Regelung der Mehrfach­fa­ll­prüfung in § 15 Abs. 2 und 3 ZensG 2011 gelten vergleichbare Erwägungen. Der Gesetzgeber hat die Verwendung unter­schied­licher Methoden zur Korrektur von Mehrfachfällen damit begründet, dass für Personen mit mehr als einer Hauptwohnung, die in Gemeinden mit mindestens 10.000 Einwohnern gemeldet sind, eine Überprüfung im Rahmen der Haushalts­s­tichprobe genüge, und hat damit im Ausgangspunkt konsequent an die Differenzierung in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und § 16 ZensG 2011 angeknüpft. Er ist ersichtlich davon ausgegangen, dass dies nicht zu einer wesentlichen Verfälschung des Ergebnisses führen würde, und dass daher auf die bei Erstreckung des Verfahrens nach § 15 Abs. 3 ZensG 2011 auf die größeren Gemeinden erforderlichen zusätzlichen Befragungen verzichtet werden könne. Das ist nicht zu beanstanden. Dem Gesetzgeber stand nach den Ergebnissen des Zensustests vor Augen, dass für die Gemeinden unterhalb der 10.000-Einwohner-Schwelle im Wesentlichen das dort erprobte Verfahren verwendet werden konnte, während für die größeren Gemeinden eine umfassende Fehlerkorrektur im Stich­pro­ben­ver­fahren erfolgen musste. Die Bewertung des Zensustests hatte insbesondere auch ergeben, dass der weitaus größte Teil der in der Mehrfach­fa­ll­prüfung auffällig gewordenen Fälle ohne Rückfragen geklärt werden konnte. Die Evaluation des Zensus 2011 hat diese Einschätzung bestätigt.

Festlegung der Schwelle für Metho­den­dif­fe­ren­zierung gerechtfertigt

Auch die Festlegung der Schwelle für die Metho­den­dif­fe­ren­zierung beruht auf sachlichen Erwägungen. Der Zensustest hat Regis­ter­feh­ler­quoten für Gemeinden mit weniger als 10.000 Einwohnern, für Gemeinden zwischen 10.000 und 50.000 Einwohnern, für Gemeinden zwischen 50.000 und 800.000 Einwohnern sowie für Gemeinden mit mehr als 800.000 Einwohnern ermittelt. Auf dieser Grundlage haben die statistischen Ämter des Bundes und der Länder die Ergänzung des regis­ter­ge­stützten Zensus um Stich­pro­be­n­er­he­bungen in Gemeinden ab 10.000 Einwohnern empfohlen. Dies beruhte auf der - im Zensustest festgestellten - Korrelation zwischen Gemeindegröße und (unbereinigten) Regis­ter­feh­ler­quoten sowie der Erwägung, dass sich eine Stich­pro­be­n­er­hebung bei abnehmender Gemeindegröße immer mehr einer Totalerhebung annähern muss, um hinreichend genaue Ergebnisse liefern zu können. Zudem wurde die Methode der Indivi­du­al­be­fra­gungen jenseits der Grenze von 10.000 Einwohnern als ungeeignet eingeschätzt.

Ländern hatten ausreichend Kontroll- und Mitwir­kungs­mög­lich­keiten

Für ein strukturelles Vollzugsdefizit ist nichts ersichtlich. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Länder in Konzeption und Vollzug des Zensus 2011 über ihre Statis­tik­be­hörden eng eingebunden waren. Den Ländern, in deren Händen der Vollzug im Wesentlichen lag, standen von Anfang an ausreichende Kontroll- und Mitwir­kungs­mög­lich­keiten zu Gebote, um ihre Interessen an einem ordnungsgemäßen Vollzug zu wahren. Sie hatten insbesondere die Kontrolle über alle erforderlichen Befragungen und primär­sta­tis­tischen Erhebungen. Außerhalb des Verant­wor­tungs­be­reichs der Länder liegende Kontrolllücken sind allenfalls mit Blick auf die zentralisierten Vorgänge denkbar; es ist jedoch weder ersichtlich, dass die Statis­tik­be­hörden der Länder insofern Zweifel an der Nachvoll­zieh­barkeit der Verfah­rens­schritte geäußert hätten, noch, dass entsprechende Nachfragen nicht innerhalb des Bereichs der amtlichen Statistik hätten geklärt werden können.

Kein Verstoß gegen Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung

Die angegriffenen Vorschriften verstoßen ferner nicht gegen das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung (Art. 2 Nr. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG). Das Zensusgesetz 2011 ermächtigt zu Eingriffen in das Recht auf informationelle Selbst­be­stimmung. Diese waren geeignet, erforderlich und den Auskunfts­ver­pflichteten zumutbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass für die Aussagekraft der amtlichen Statistik ein möglichst hoher Grad an Genauigkeit der erhobenen Daten erforderlich ist. Das gewählte Stich­pro­ben­ver­fahren hat auf der einen Seite den erforderlichen Grad an Genauigkeit garantiert, auf der anderen Seite aber auch Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbst­be­stimmung auf ein möglichst geringes Maß begrenzt.

Keine Verletzung der verfas­sungs­rechtlich geschützten Rechts­schut­z­in­teressen der Länder oder Kommunen

Durch die angegriffenen Vorschriften werden schließlich auch keine verfas­sungs­rechtlich geschützten Rechts­schut­z­in­teressen der Länder oder Kommunen verletzt. Soweit das Grundgesetz für den Bund eine Pflicht zur reali­täts­ge­rechten Ermittlung der Bevöl­ke­rungs­zahlen enthält, folgt aus dem Bundess­taats­prinzip des Art. 20 Abs. 1 GG zumindest ein Anspruch der Länder auf föderative Gleich­be­handlung durch den Bundes­ge­setzgeber. Ein allgemeiner Geset­zes­voll­zie­hungs­an­spruch lässt sich aus Art. 20 Abs. 1 GG jedoch nicht ableiten. Fehler in der Durchführung des Zensus 2011 sind daher grundsätzlich nicht geeignet, das Recht der Länder auf föderative Gleich­be­handlung zu beeinträchtigen. Allein den Vollzug und seine Kontrolle aber betreffen die angegriffenen Löschungs­vor­schriften der § 8 Abs. 3, § 19 Abs. 1 und 2 ZensG 2011 und § 15 ZensVorbG 2011.

Weitergehender Rechts­schutz­mög­lich­keiten bedarf es von Verfassungs wegen nicht. Dass den Ländern grundsätzlich kein fachge­richt­licher Rechtsschutz gegen die Feststellung ihrer Einwohnerzahl zur Verfügung steht, ist verfas­sungs­rechtlich unbedenklich. Die Feststellung der Einwohnerzahlen ist durch Behörden der Länder erfolgt. Es gehörte im Rahmen ihrer Zuständigkeiten daher zu ihren Aufgaben, bei der Erhebung Rechtmäßigkeit und Einheitlichkeit des Vollzugs sicherzustellen.

Löschungs­vor­schriften haben keine Auswirkungen auf subjektive Rechts­stel­lungs­ga­rantie der Kommunen

Die angegriffenen Löschungs­re­ge­lungen verstoßen auch nicht gegen Art. 28 Abs. 2 GG. Soweit es sich - wie bei den Antragstellern - um Stadtstaaten handelt, sind sie nicht Träger der Garantie kommunaler Selbst­ver­waltung. Ihre Stellung als Kommunen wird in dem vorliegend allein maßgeblichen Rechts­ver­hältnis zum Bund durch ihren staats­recht­lichen Status als Länder vollständig überlagert. Die anderen Kommunen werden in ihrer durch Art. 28 Abs. 2 GG geschützten Rechtsstellung nicht beeinträchtigt. Das Zensusgesetz 2011 regelt weder die Rechts­ver­hältnisse der Kommunen zum Bund noch zu den Ländern. Insofern können auch die hier in Rede stehenden Löschungs­vor­schriften keine Auswirkungen auf die subjektive Rechts­stel­lungs­ga­rantie der Kommunen haben.

Vorschriften der Stich­pro­ben­ver­ordnung nicht zu beanstanden

§ 2 Abs. 2 und 3 und § 3 Abs. 2 StichprobenV genügen den für sie geltenden verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen. Die Vorschriften der Stich­pro­ben­ver­ordnung entsprechen den Vorgaben der Ermäch­ti­gungs­grundlage und beinhalten keine unzulässige Subdelegation an die Verwaltung oder Private. § 2 Abs. 2 StichprobenV verstößt schließlich auch nicht gegen das aus dem Demokratie- und Rechts­s­taats­prinzip abgeleitete Gebot der Klarheit und Wider­spruchs­freiheit der Rechtsordnung (Art. 20 Abs. 1 bis 3 GG).

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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