15.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss07.09.2010

Zukunft­s­in­ves­ti­ti­o­ns­gesetz: Regelung zur Infor­ma­ti­o­ns­be­schaffung des Bundes bei der Gewährung von Finanzhilfen teilweise verfas­sungs­widrigBVerfG schränkt Kontrolle des Bundes beim Konjunkturpaket II ein

Die Regelung zur Infor­ma­ti­o­ns­be­schaffung des Bundes bei der Gewährung von Finanzhilfen an Kommunen und Länder nach dem Zukunft­s­in­ves­ti­ti­o­ns­gesetz ist teilweise verfas­sungs­widrig. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Das im Dezember 2008 durch die Bundesregierung beschlossene Maßnahmenpaket „Pakt für Beschäftigung und Stabilität in Deutschland zur Sicherung der Arbeitsplätze, Stärkung der Wachstumskräfte und Modernisierung des Landes“ (Konjunkturpaket II) sah unter anderem vor, dass der Bund zusätzliche Investitionen der Kommunen und der Länder unterstützt. Die Umsetzung des Maßnahmenpakts erfolgte insoweit durch das am 6. März 2009 in Kraft getretenen Zukunft­s­in­ves­ti­ti­o­ns­gesetz (ZuInvG). Danach stellt der Bund die Finanzhilfen für die in den Förderbereich fallenden Inves­ti­ti­o­ns­maß­nahmen den Ländern zur eigenen Bewirtschaftung zur Verfügung. In der zwischen Bund und Ländern getroffenen Verwal­tungs­ver­ein­barung zur Durchführung des Zukunft­s­in­ves­ti­ti­o­ns­ge­setzes sind Berichts- und Nachweis­pflichten der Länder festgelegt. In § 7 Abs. 1 ZuInvG ist ein Rückför­de­rungs­an­spruch des Bundes bei Nichterfüllung der Förder­vor­aus­set­zungen bzw. zweckwidriger Verwendung der Finan­zie­rungs­hilfen geregelt.

Vor diesem Hintergrund bestimmt § 6 a ZuInvG:

§ 6 a Prüfung durch den Bundes­rech­nungshof Der Bund kann in Einzelfällen weitergehende Nachweise verlangen und bei Ländern und Kommunen Bücher, Belege und sonstige Unterlagen einsehen sowie örtliche Erhebungen durchführen. Ein unver­hält­nis­mäßiger Verwal­tungs­aufwand ist zu vermeiden. Der Bundes­rech­nungshof prüft gemeinsam mit dem jeweiligen Landes­rech­nungshof im Sinne von § 93 der Bundes­haus­halts­ordnung, ob die Finanzhilfen zweck­ent­sprechend verwendet wurden. Dazu kann er auch Erhebungen bei Ländern und Kommunen durchführen.

Regierungen einiger Bundesländer sehen Grundsatz der Haushalts­au­tonomie der Länder verletzt

Die Regierungen der Länder Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, des Saarlandes, des Freistaates Bayern und des Freistaates Sachsen sowie der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg halten § 6 a Satz 1, Satz 3 und 4 ZuInvG für verfas­sungs­widrig und haben im abstrakten Normen­kon­troll­ver­fahren die Feststellung der Nichtigkeit der beanstandeten Vorschriften beantragt. Für die dem Bund danach zukommenden aktiven örtlichen Kontroll- und Erhebungsrechte fehle es an einer grund­ge­setz­lichen Ermäch­ti­gungs­grundlage. Sie verletzten daher den Grundsatz der Haushalts­au­tonomie der Länder. Zudem würden dem Bundes­rech­nungshof neue eigenständige Prüfungsrechte eingeräumt, die seinen verfas­sungs­rechtlich bestimmten Prüfungsraum überschritten.

Bestimmungen des § 6 a Satz 1 und 4 ZuInvG teilweise mit Verfassung unvereinbar

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat entschieden, dass die Bestimmungen des § 6 a Satz 1 und 4 ZuInvG aufgrund fehlender Bundeskompetenz mit der Verfassung teilweise unvereinbar sind, während die ebenfalls angegriffene Regelung des § 6 a Satz 3 ZuInvG mit dem Grundgesetz im Einklang steht.

Befugnis des Bundes zu aktiver Infor­ma­ti­o­ns­be­schaffung bedarf eines grund­ge­setz­lichen Kompetenztitels

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde:

Die in § 6 a Satz 1 ZuInvG vorgesehene Befugnis des Bundes zu einer aktiven Infor­ma­ti­o­ns­be­schaffung bei den Landes­ver­wal­tungen - einschließlich der nachgeordneten Stellen und der Kommu­na­l­ver­wal­tungen - berühren den Grundsatz der Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Haushalts­wirt­schaft von Bund und Ländern gemäß Art. 109 Abs. 1 GG und die grundsätzliche Länderkompetenz gemäß Art. 30 GG. Sie bedarf daher eines grund­ge­setz­lichen Kompetenztitels.

Weiterreichende Befugnisse des Bundes zu örtlichen Erhebungs­maß­nahmen aus § 6 a Satz 1 ZuInvG verfas­sungs­widrig und nichtig

Eine solche Bundeskompetenz besteht nur insoweit, als der Bund nach § 6 a Satz 1 ZuInvG zu örtlichen Erhebungs­maß­nahmen bei den Ländern und Kommunen ermächtigt wird, die der Prüfung eines Rückforderungs- bzw. Haftungs­an­spruchs nach § 7 Abs. 1 ZuInvG und Art. 104a Abs. 5 Satz 1 2. Halbsatz GG dienen, vorausgesetzt, das Vorliegen eines solchen Anspruchs erscheint aufgrund konkreter Tatsachen im Einzelfall möglich. Soweit § 6 a Satz 1 ZuInvG dem Bund darüber hinaus gehende Befugnisse einräumt, ist die Norm verfas­sungs­widrig und nichtig.

Bund erhält keine Verwal­tungs­be­fugnisse gegenüber den Ländern

Art. 104b Abs. 2 Satz 1 GG ermächtigt den Bund lediglich, das Nähere zu den Voraussetzungen der von ihm gewährten Finan­zie­rungs­hilfen an die Länder, insbesondere die Art der zu fördernden Investitionen, gesetzlich zu regeln, enthält aber keine Ermächtigung zu Regelungen, die dem Bund Verwal­tungs­be­fugnisse gegenüber den Ländern einräumen.

Bundesorgane informieren sich nicht selbst sondern sind nach dem Wortlaut der Vorschrift zu unterrichten

Die in § 6 a Satz 1 ZuInvG geregelten Befugnisse des Bundes können auch nicht auf Art. 104b Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG gestützt werden. Nach Art. 104b Abs. 2 Satz 2 GG besteht die Pflicht des Bundes, die Verwendung der Mittel regelmäßig zu überprüfen; Art. 104b Abs. 3 sieht vor, dass Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat auf Verlangen über die Durchführung der Maßnahmen und die erzielten Verbesserungen zu unterrichten sind. Diese Unterrichtung besteht darin, dass der Verpflichtete Informationen zusammenstellt und berichtsmäßig zusammenfasst. Die Bundesorgane informieren sich nicht durch Ermittlungen selbst, vielmehr sind sie nach dem Wortlaut der Vorschrift zu unterrichten. Demgegenüber schafft § 6 a Satz 1 ZuInvG eine Befugnis der Bundes­ver­waltung, nach ihrem Ermessen Nachweise erstellen und vorlegen zu lassen, Unterlagen einzusehen und am Sitz der betroffenen Stelle Erhebungen durchzuführen, bei denen außer der Vorlage von Unterlagen auch die Erteilung von Auskünften gefordert werden darf. Zudem können diese Informationen nach Wahl der Bundes­ver­waltung nicht allein bei den obersten Landesbehörden, sondern bei jeder Stelle, also auch nachgeordneten Landesbehörden und unmittelbar bei den Kommunen, angefordert werden. Für eine solche aktive und unmittelbare Infor­ma­ti­o­ns­be­schaffung verleihen Art. 104b Abs. 2 Satz 2 GG und 104b Abs. 3 GG der Bundes­ver­waltung keine Kompetenz.

Schließlich kann § 6 a Satz 1 ZuInvG nicht als Ausprägung der Bundesaufsicht gemäß Art. 84 Abs. 3 GG verstanden werden, da sie nicht der Einheitlichkeit der Geset­zes­aus­führung durch die Länder dient, sondern der Kontrolle der Ausgabenpraxis ihrer Verwal­tungs­be­hörden.

Bundes­ge­setzgeber kann Bundes­ver­waltung die Befugnis einräumen, bei Landes­ver­wal­tungen Berichte anzufordern, Akten beizuziehen und Unterlagen einzusehen

Jedoch hat der Bundes­ge­setzgeber nach Art. 104a Abs. 5 GG die Möglichkeit, der Bundes­ver­waltung die Befugnis einzuräumen, zum Zwecke der Feststellung des Vorliegens eines Haftungs­an­spruchs und unter der Voraussetzung, dass aufgrund konkreter Tatsachen ein solcher Anspruch möglich erscheint, bei den Landes­ver­wal­tungen Berichte anzufordern, Akten beizuziehen und Unterlagen einzusehen; dazu kann die Bundes­ver­waltung sich unmittelbar an nachgeordnete Behörden auch der Länder und Kommu­na­l­ver­wal­tungen wenden und örtliche Erhebungen durchführen. Denn es ist eine wirksame Geltendmachung von Rückfor­de­rungs­ansprüchen bei nicht zweck­ent­spre­chender Verwendung von Finanzmitteln geboten. § 6 a Satz 1 ZuInvG ist daher verfas­sungsgemäß, soweit die darin vorgesehenen Befugnisse der Wahrnehmung dieser Kompetenz dienen und auf Einzelfälle beschränkt bleiben, in denen aufgrund konkreter Tatsachen ein Rückfor­de­rungs­an­spruch möglich erscheint.

Erhebungen des Bundes­rech­nungshofs bedürfen einer Ermächtigung im Grundgesetz

Auch die Erhebungen des Bundes­rech­nungshofs bei Ländern und Kommunen gemäß § 6 a Satz 4 ZuInvG berühren die grundsätzliche Zuständigkeit der Länder und bedürfen daher einer Ermächtigung im Grundgesetz.

Erhebungs­be­fugnisse des Bundes­rech­nungshofs

Nach Art. 114 Abs. 2 Satz 1 GG ist der Bundes­rech­nungshof zur Rechnungs­prüfung sowie zur Prüfung der Wirtschaft­lichkeit und Ordnungs­mä­ßigkeit der Haushalts- und Wirtschafts­führung des Bundes ermächtigt. Unter Berück­sich­tigung der Haushalts­au­tonomie der Länder rechtfertigt Art. 114 Abs. 2 Satz 2 GG jedoch Erhebungs­be­fugnisse des Bundes­rech­nungshofs bei Ländern und Kommunen im Falle der Gewährung von Finanzhilfen nur in dem Umfang, in dem dem Bund Verwal­tungs­kom­pe­tenzen zukommen. Die Rechtsaufsicht des Bundes gemäß Art. 84 Abs. 3 GG verleiht dem Bundes­rech­nungshof somit zunächst die Befugnis, zum Zwecke der Feststellung von Rechts­ver­let­zungen seitens der Landesbehörden Erhebungen bei den obersten Landesbehörden durchzuführen. Hierzu kann er sich, wenn konkrete Anhaltspunkte für einen Rechtsverstoß vorliegen, von diesen Behörden auch Akten übersenden lassen. Erhebungen unmittelbar bei nachgeordneten Landesbehörden und Kommunen sind dem Bundes­rech­nungshof von Verfassungs wegen dagegen nur dann gestattet, wenn entweder die Zustimmung der obersten Landesbehörde vorliegt bzw. durch den Bundesrat ersetzt wurde oder wenn die Erhebungen die Feststellung eines Haftungs­an­spruchs im Sinne des Art. 104a Abs. 5 Satz 1 2. Halbsatz GG bezwecken, der aufgrund konkreter Tatsachen möglich erscheint.

Soweit § 6 a Satz 4 ZuInvG auch ohne das Vorliegen einer dieser Voraussetzungen den Bundes­rech­nungshof zu Erhebungen ermächtigt, ist die Norm verfas­sungs­widrig, weil die erforderliche Bundeskompetenz fehlt.

Prüfung zweck­ent­spre­chender Verwendung der Finanzhilfen durch Bundes- und Landes­rech­nungshof gerechtfertigt

Die Vorschrift des § 6 a Satz 3 ZuInvG ist dagegen mit dem Grundgesetz vereinbar. Denn der dem Bundes­rech­nungshof darin erteilte Auftrag, gemeinsam mit dem jeweiligen Landes­rech­nungshof die zweck­ent­spre­chende Verwendung der Finanzhilfen zu prüfen, berührt nicht den Kompe­tenz­bereich der Länder. Die Regelung hält den Bundes­rech­nungshof lediglich zu einer kooperativen und Verwal­tungs­res­sourcen schonenden Vorgehensweise an.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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