21.11.2024
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Dokument-Nr. 25963

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Bundesverfassungsgericht Beschluss09.04.2018

Anspruch auf Gegen­dar­stellung besteht trotz unterlassener Stellungnahme im Vorfeld einer Berich­t­er­stattungNachrich­ten­ma­gazins scheitert mit Verfassungs­beschwerde wegen angeblicher Verletzung der Presse- und Meinungs­freiheit

Das Bundes­verfassungs­gericht hat entschieden, dass der Anspruch auf Abdruck einer Gegen­dar­stellung auch dann besteht, wenn die betroffene Person zuvor keine Stellungnahme zu einer geplanten Berich­t­er­stattung abgegeben hat, obwohl der Redakteur ihr eine solche Möglichkeit eingeräumt hat. Eine unterlassene Erklärung begründet grundsätzlich keine Obliegenheits­verletzung, welche einen Gegen­darstellungs­anspruch entfallen ließe. Mit dieser Entscheidung nahm das Bundes­verfassungs­gericht die Verfassungs­beschwerde eines Nachrich­ten­ma­gazins nicht zur Entscheidung, in der dieses die Verletzung der Presse- und Meinungs­freiheit rügt, nachdem es zum Abdruck einer Gegen­dar­stellung verurteilt wurde.

Die Beschwer­de­führerin des zugrunde liegenden Falls ist Verlegerin eines Nachrich­ten­ma­gazins und veröffentlichte im Februar 2013 einen Bericht über Schleich­wer­bungs­vorwürfe gegen einen bekannten Fernseh­mo­derator (Antragsteller des Ausgangs­ver­fahrens), welcher in Fernseh­sen­dungen versteckt Werbung für Produkte verschiedener Firmen gemacht habe. Vor der Veröf­fent­lichung konfrontierte der Redakteur den Prozess­be­voll­mäch­tigten des Antragstellers mit der geplanten Berich­t­er­stattung und forderte zur Stellungnahme auf. Der Prozess­be­voll­mächtigte wies die Vorwürfe telefonisch zurück, äußerte, dass keine Erklärung abgegeben werde, und teilte mit, dass der Inhalt des Gesprächs für die geplante Berich­t­er­stattung nicht verwendet werden dürfe. Nach der Veröf­fent­lichung des Berichts forderte der Antragsteller die Beschwer­de­führerin zum Abdruck einer Gegendarstellung auf, was diese zurückwies. Das Landgericht erließ daraufhin eine einstweilige Anordnung, wonach die Beschwer­de­führerin zum Abdruck der beantragten Gegen­dar­stellung verurteilt wurde. Der dagegen gerichtete Widerspruch blieb ebenso erfolglos wie die vor dem Oberlan­des­gericht erhobene Berufung. Mit ihrer Verfas­sungs­be­schwerde rügt die Beschwer­de­führerin eine Verletzung ihrer Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG, da sie zu Unrecht zu einer Gegen­dar­stellung verpflichtet worden sei. Sie begründet dies damit, dass der Antragsteller durch die unterlassene vorherige Stellungnahme seinen Anspruch auf Abdruck einer Gegen­dar­stellung verloren habe.

Entscheidungen der Fachgerichte ergingen in verfas­sungs­kon­former Art und Weise

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass die angegriffenen Entscheidungen verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden seien und keine Verletzung der Meinungs- und Pressefreiheit der Beschwer­de­führerin darstellen. Die Zivilgerichte hätten bei der Auslegung und Anwendung der Normen zum Gegen­dar­stel­lungsrecht eine Inter­es­se­n­ab­wägung zwischen dem Persön­lich­keits­schutz des Betroffenen und der Pressefreiheit vorzunehmen und dabei unver­hält­nis­mäßige Grund­rechts­be­schrän­kungen zu vermeiden. Gemessen an diesen Grundsätzen seien die Entscheidungen der Fachgerichte in verfas­sungs­kon­former Art und Weise ergangen.

Notwendigkeit der vorherigen Stellungnahme würde Gegen­dar­stel­lungsrecht entwerten

Es bestehe keine Obliegenheit, sich im Vorfeld einer geplanten Berich­t­er­stattung zu dieser zu äußern und Stellung zu beziehen. Die Gründe, von einer Stellungnahme abzusehen, könnten vielfältig sein. Die Annahme einer Obliegenheit zur Stellungnahme würde zu einer Verpflichtung erwachsen, auch an einer gegen den eigenen Willen geplanten Berich­t­er­stattung mitzuwirken, nur um den Anspruch auf Gegen­dar­stellung zu behalten. Im Übrigen hätte sie zur Folge, dass sich Medien­un­ter­nehmen Gegen­dar­stel­lungs­ansprüchen entziehen könnten, indem sie den Betroffenen vorab um Stellungnahme bitten. Dies würde das Gegen­dar­stel­lungsrecht entwerten.

Grundsätzlicher Verlust des Gegen­dar­stel­lungs­an­spruchs bei unterlassener Stellungnahme würde Schutzzweck des Gegen­dar­stel­lungs­rechts entgegenstehen

Die Fachgerichte haben die unter­schiedliche publizistische Wirkung einer vom Betroffenen selbst verfassten Gegen­dar­stellung und einer unter Umständen nur kurzen Erwähnung des eigenen Standpunkts im ursprünglichen Artikel in der Abwägung der wider­strei­tenden Grundrechte in verfas­sungs­kon­former Weise berücksichtigt. Das Gegen­dar­stel­lungsrecht soll Betroffenen die Möglichkeit einräumen, Tatsa­chen­be­haup­tungen entgegen zu treten und damit deren Wahrheitsgehalt in Frage zu stellen. Der Schutzzweck reichte weiter als lediglich die nachträgliche Möglichkeit zu Wort zu kommen, falls dies in der Erstbe­rich­t­er­stattung nicht ausreichend geschehen ist. Wird der vom Betroffenen geäußerte Standpunkt neutral dargestellt, entfällt zwar in der Regel der spätere Gegen­dar­stel­lungs­an­spruch. Ein grundsätzlicher Verlust des Gegen­dar­stel­lungs­an­spruchs bei unterlassener Stellungnahme würde dem Schutzzweck jedoch nicht gerecht.

Einzel­fa­ll­ab­wägung nicht erforderlich

Es ist nicht erforderlich, zur Entscheidung über einen Gegen­dar­stel­lungs­an­spruch eine einzel­fa­ll­be­zogene Grund­rechts­ab­wägung zu treffen. Vielmehr tragen die Pressegesetze der Länder sowie der Rundfunkstaats­vertrag dem Spannungs­ver­hältnis zwischen den Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ausreichend Rechnung. Eine Einzel­fa­ll­ab­wägung würde dazu führen, dass die generellen Voraussetzungen des Gegen­dar­stel­lungs­an­spruchs aus § 11 Hamburgisches Pressegesetz, die den verfas­sungs­gemäßen Ausgleich der betroffenen Grund­rechts­po­si­tionen gewährleisten, unterlaufen würden. Besonderheiten des Einzelfalls können über das Kriterium des "berechtigten Interesses" des § 11 HbgPrG auf ausreichend berücksichtigt werden. Zudem ermöglicht § 11 Abs. 3 HbgPrG es dem Medien­un­ter­nehmen, eine Anmerkung zu der Gegen­dar­stellung zu veröffentlichen und damit faktisch das "letzte Wort" zu haben. Der Verhält­nis­mä­ßig­keits­grundsatz ist dadurch in der Regel gewahrt.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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