15.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss20.07.2010

BVerfG: Hamburgisches Hochschulgesetz teilweise verfas­sungs­widrigGericht beanstandet Verstoß gegen grundgesetzlich garantierte Wissen­schafts­freiheit

Die §§ 90 und 91 des Hamburgischen Hochschul­ge­setzes sind teilweise verfas­sungs­widrig, da die Regelungen hinsichtlich der Bestellung und der Kompetenzen des Dekanats in ihrem Zusammenwirken den Anforderungen der Wissen­schafts­freiheit nicht gerecht werden. Dies entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Der Beschwer­de­führer ist Univer­si­täts­pro­fessor an der Fakultät für Rechts­wis­sen­schaften der Universität Hamburg. Seine Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die §§ 90, 91 des Hamburgischen Hochschul­ge­setzes (HmbHG), die das Binnen­ver­hältnis der Hochschulorgane auf Fakultätsebene regeln. Während § 90 HmbHG die Rechtsstellung und Aufgaben des Dekanats normiert, regelt § 91 HmbHG die Stellung und Aufgaben des Fakultätsrats. Beide Vorschriften sind in der Vergangenheit zunehmend zu Lasten des Fakultätsrats geändert worden.

Univer­si­täts­pro­fessor fühlt sich in Wissen­schafts­freiheit verletzt

Der Beschwer­de­führer macht geltend, durch diese Vorschriften in seiner Wissenschaftsfreiheit verletzt zu sein, da ihm kollegial-repräsentative Mitbe­stim­mungs­be­fugnisse vorenthalten würden. § 90 HmbHG bündele nahezu alle grundlegenden wissen­schafts­re­le­vanten Kompetenzen beim Dekanat. Der Fakultätsrat habe demgegenüber keine hinreichenden Entscheidungs-, Kontroll- oder Sankti­o­ns­be­fugnisse. Die ungleiche Kompe­tenz­ver­teilung zeige sich insbesondere in den Regelungen über das Berufungs­ver­fahren und über die Amtsstellung des Dekans sowie über dessen Wahl und Abwahl.

§§ 90 und 91 des Hamburgischen Hochschul­ge­setzes mit Grundgesetz unvereinbar

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat entschieden, dass § 90 Abs. 1 Satz 3, Abs. 4 Satz 2 und 3 sowie Abs. 5 Nr. 1, Nr. 2 1. Alternative und Nr. 7, § 91 Abs. 2 des Hamburgischen Hochschul­ge­setzes vom 18. Juli 2001 (HmbGVBl S. 171; zuletzt geändert durch das Gesetz zur Verbesserung des Hochschul­zugangs für beruflich Qualifizierte und des Bachelor-Master-Studiensystems vom 6. Juli 2010, HmbGVBl S. 473) mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG unvereinbar sind. Diese Regelungen über Bestellung und Kompetenzen des Dekanats werden in ihrem Zusammenwirken den Anforderungen der Wissen­schafts­freiheit nicht gerecht.

Angegriffene Bereiche des Hochschul­ge­setzte genügen verfas­sungs­recht­lichen Ansprüchen an Wissen­schafts­freiheit nicht in vollem Umfang

Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: Soweit die gegen die §§ 90, 91 HmbHG insgesamt gerichtete Verfas­sungs­be­schwerde zulässig ist, ist sie teilweise begründet. Die in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG normierte Wissen­schafts­freiheit fordert, die Hochschu­l­or­ga­ni­sation und damit auch die hochschu­l­or­ga­ni­sa­to­rische Willensbildung so zu regeln, dass in der Hochschule freie Wissenschaft ungefährdet betrieben werden kann. Die Teilhabe der Wissenschaftler als Grund­recht­s­träger an der Organisation des Wissen­schafts­be­triebs dient dem Schutz vor wissen­schaft­s­i­na­d­äquaten Entscheidungen und ist daher grundrechtlich garantiert, soweit ihre Freiheit, zu forschen und zu lehren durch hochschu­l­or­ga­ni­sa­to­rische Entscheidungen gefährdet werden kann. Daher verlangt die Sicherung der Wissen­schafts­freiheit durch organi­sa­to­rische Regelungen, dass die Träger der Wissen­schafts­freiheit sich durch ihre Vertreter in Hochschu­l­organen gegen Gefährdungen der Wissen­schafts­freiheit wehren und ihre fachliche Kompetenz zur Verwirklichung der Wissen­schafts­freiheit in die Universität einbringen können. Der Gesetzgeber muss ein hinreichendes Niveau der Partizipation der Grund­recht­s­träger gewährleisten. Zur Klärung der Frage, ob eine Regelung Strukturen schafft, die sich gefährdend auswirken können, sind nicht die zugewiesenen Kompetenzen im Einzelnen maßgebend, sondern das Gesamtgefüge der Hochschul­ver­fassung. Dieses kann insbesondere dann verfas­sungs­widrig sein, wenn dem Leitungsorgan substantielle personelle und sachliche Entschei­dungs­be­fugnisse im wissen­schafts­re­le­vanten Bereich zugewiesen werden, dem mit Hochschul­lehrern besetzten Gremium im Verhältnis hierzu jedoch kaum Kompetenzen und auch keine maßgeblichen Mitwirkungs- und Kontrollrechte verbleiben. Diesen verfas­sungs­recht­lichen Maßstäben genügen die angegriffenen Regelungen nicht in vollem Umfang.

Verfas­sungs­rechtlich unbedenklich sind solche Kompetenzen des Dekanats, bei denen dieses in weitem Umfang rechtliche Vorgaben und Beschlüsse von Kolle­gi­a­l­organen vollzieht.

Aufgaben des Dekanat gemäß § 90 Abs. 5 Nr. 3 HmbHG nicht zu beanstanden

So ist es nicht zu beanstanden, dass dem Dekanat nach § 90 Abs. 5 Nr. 3 HmbHG die Aufgabe zukommt, dem Präsidium der Hochschule Vorschläge für die leistungs­ori­en­tierte Verteilung von Leistungs­bezügen an Professoren zu unterbreiten. Denn die Vorschläge entfalten keine bindende Wirkung. Zudem ist diese Kompetenz durch eine differenzierte Regelung bezüglich der Verga­be­kri­terien sowie der Höhe der Leistungsbezüge und des Vergaberahmens beschränkt.

Keine verfas­sungs­recht­lichen Bedenken hinsichtlich der Kompetenz des Dekanats zur Entscheidung über Lehrver­pflich­tungen

Ferner begegnet die in § 90 Abs. 5 Nr. 4 HmbHG normierte Kompetenz des Dekanats zur Entscheidung über Lehrver­pflich­tungen ebenfalls keinen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken, weil sie von anderen Bestimmungen des Hamburgischen Hochschul­ge­setzes wissen­schafts­si­chernd begleitet wird. Die aufgrund der Kompetenz getroffenen Entscheidungen müssen sich an die das Dienst­ver­hältnis des Hochschul­lehrers konsti­tu­ie­renden Regelungen halten. Zudem ist sichergestellt, dass die Kompetenz in erster Linie der Organisation des Lehrbetriebs und der Koordination des Lehrangebots dient und nicht dazu genutzt werden darf, die Freiheit von Forschung oder Lehre zu beeinträchtigen.

Kompetenz des Dekanats verstößt in Bezug auf Beschlüsse zu vorgelegten Berufungs­vor­schlägen bei verfas­sungs­kon­former Auslegung nicht gegen Wissen­schafts­freiheit

Schließlich verstößt auch die in § 90 Abs. 5 Nr. 2 2. Alternative HmbHG geregelte Kompetenz des Dekanats, über die vom Berufungs­aus­schuss vorgelegten Berufungs­vor­schläge zu beschließen, bei verfas­sungs­kon­former Auslegung nicht gegen die Wissen­schafts­freiheit. Der Fakultätsrat, in dem die Gruppe der Hochschullehrer über die absolute Mehrheit der Sitze und Stimmen verfügt, hat es selbst in der Hand, in der von ihm zu beschließenden Fakul­täts­satzung zu bestimmen, dass die die Berufungs­vor­schläge vorbereitenden Berufungs­aus­schüsse vom Fakultätsrat und nicht vom Dekanat eingesetzt werden. Das Dekanat entscheidet zwar über die Berufungs­vor­schläge, ohne formal an den vom Berufungs­aus­schuss aufgestellten Berufungs­vor­schlag gebunden zu sein; es wird jedoch bei verfas­sungs­kon­former Auslegung nur in besonderen Ausnahmefällen vom Vorschlag des Berufungs­aus­schusses abweichen dürfen. Zudem hat das Hochschul­prä­sidium bei seiner endgültigen Entscheidung nicht nur den Dekanat­s­vor­schlag, sondern auch das Votum des Berufungs­aus­schusses zu berücksichtigen.

Kompetenzen des Dekanats hinsichtlich der Verwaltung von Haushalts­mitteln und Zuordnung von Stellen innerhalb der Fakultät nicht mit Wissen­schafts­freiheit vereinbar

Demgegenüber sind die Kompetenzen des Dekanats, die der Fakultät vom Präsidium zugewiesenen Haushaltsmittel zu bewirtschaften und über die Zuordnung von Stellen innerhalb der Fakultät zu entscheiden (§ 90 Abs. 5 Nr. 1 HmbHG) sowie die zukünftige Verwendung der Stelle bei freien oder frei werdenden Professuren und Junio­r­pro­fessuren auf der Grundlage des Struktur- und Entwick­lungsplans der Hochschule zu überprüfen (§ 90 Abs. 5 Nr. 2 1. Alternative HmbHG), in Verbindung mit der subsidiären Auffang­zu­stän­digkeit des Dekanats nach § 90 Abs. 5 Nr. 7 HmbHG nicht mit der Wissen­schafts­freiheit vereinbar.

Dem Dekanat werden in diesen Bereichen weitreichende Steue­rungs­mög­lich­keiten zugewiesenen, die nicht hinreichend durch Mitwirkungs-, Einfluss-, Informations- und Kontrollrechte des Fakultätsrats als kollegialem Vertre­tungsorgan der Grund­recht­s­träger in den §§ 90, 91 HmbHG kompensiert werden.

Fakultät hat rechtlich keine Möglichkeit, auf Gestaltung des Struktur- und Entwick­lungsplans einzuwirken

So fehlt dem Fakultätsrat ein Recht zur Mitwirkung an der Struktur- und Entwick­lungs­planung, die die Grundlage zur Überprüfung der Stellen­ver­wendung bildet. Es ist gesetzlich nicht vorgesehen, dass der Struktur- und Entwick­lungsplan der Hochschule aus den Fachbereichen heraus entwickelt wird. Dieser wird vielmehr vom Hochschulrat beschlossen, in dem der Einfluss der Hochschullehrer stark begrenzt ist. Die einzelne Fakultät hat nach Maßgabe des § 91 Abs. 2 HmbHG rechtlich keine Möglichkeit, auf die Gestaltung des Struktur- und Entwick­lungsplans einzuwirken.

Die Kontroll­mög­lichkeit des Fakultätsrats ist lediglich auf eine nicht näher konkretisierte „Kontrolle des Dekanats“ sowie ein Recht zur „Stellungnahme zu allen Angelegenheiten der Fakultät“ begrenzt. Selbst ein die sinnvolle und wirksame Ausübung dieses Kontrollrechts ermöglichendes umfassendes Infor­ma­ti­o­nsrecht gegenüber dem Dekanat steht ihm nach § 91 Abs. 2 HmbHG nicht zu.

Fakultätsrat steht nur beschränktes Mitwir­kungsrecht bei Wahl des Dekans zu

Dieses Ungleichgewicht im Verhältnis von Leitungsorgan und Kollegialorgan wird auch nicht durch die Möglichkeit einer wirkungsvollen Einflussnahme auf die Zusammensetzung des Dekanats ausgeglichen. Der Fakultätsrat hat nach dem Hamburgischen Hochschulgesetz nur ein beschränktes Mitwir­kungsrecht bei der Wahl des Dekans (§ 90 Abs. 1 Satz 3 HmbHG). Der Fakultätsrat hat den vom Präsidium ausgewählten Dekan, der nicht einmal Mitglied der Hochschule gewesen sein muss, lediglich zu bestätigen. Zwar ist durch das Bestä­ti­gungsrecht sichergestellt, dass niemand gegen den Willen des Fakultätsrats zum Dekan bestellt werden kann. Die Regelung begegnet aber dann Bedenken, wenn das Wahlrecht des Fakultätsrats für dieses Kollegialorgan ein notwendiges Kontrol­l­in­strument ist, weil ihm im Übrigen zugunsten des Leitungsorgans nahezu alle wesentlichen Kompetenzen entzogen sind.

Rechte des Fakultätsrats bezüglich der Abwahl des Dekans nur unzureichend

Die Verfas­sungs­wid­rigkeit des durch die §§ 90, 91 HmbHG konstituierten hochschu­l­or­ga­ni­sa­to­rischen Gesamtgefüges ergibt sich jedenfalls aus den unzureichenden Rechten des Fakultätsrats bezüglich der Abwahl des Dekans. Dem Fakultätsrat kommt lediglich das Recht zu, mit einer Mehrheit von drei Vierteln seiner Mitglieder dem Präsidium die Abwahl des Dekans vorzuschlagen (§ 90 Abs. 4 Satz 3 HmbHG), und ist nicht selbst befugt, über die Abwahl zu entscheiden (§ 90 Abs. 4 Satz 2 HmbHG). An seinen Vorschlag ist das Präsidium auch nicht gebunden, so dass der Fakultätsrat keine Möglichkeit hat, sich selbstbestimmt von einem Dekan zu trennen, der nicht mehr als Leitungsorgan akzeptiert wird. Das ist deshalb im hochschu­l­or­ga­ni­sa­to­rischen Gesamtgefüge besonders schwerwiegend, weil der Fakultätsrat nach dem Hamburgischen Hochschulgesetz auch nicht über andere Einfluss-, Kontroll-, Veto- und Infor­ma­ti­o­ns­rechte verfügt, so dass das Fehlen einer Befugnis zur Abwahl des Dekans eine Kontrolle des Dekanats durch den Fakultätsrat faktisch unmöglich macht.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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