13.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss29.06.2016

Wahre Tatsachen­behauptungen über Vorgänge aus der Sozialsphäre sind grundsätzlich hinzunehmenVerbot zur Äußerung unstreitig wahrer Tatsachen würde Meinungs­freiheit einschränken

Das Bundes­verfassungs­gericht hat einer Verfassungs­beschwerde gegen eine zivil­ge­richtliche Verurteilung stattgegeben, mit der dem Beschwer­de­führer die Behauptung wahrer Tatsachen über einen drei Jahre zurückliegenden Rechtsstreit auf Internet-Portalen untersagt worden war. Die Fachgerichte haben die Bedeutung und Tragweite der Meinungs­freiheit nicht hinreichend gewürdigt. Die Schwelle zur Persönlichkeits­rechts­verletzung wird bei der Mitteilung wahrer Tatsachen über die Sozialsphäre regelmäßig erst überschritten, wo sie einen Persönlichkeits­schaden befürchten lässt, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht.

Der Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Verfahrens führte mit dem Kläger des Ausgangs­ver­fahrens einen Rechtsstreit um Rückzah­lungs­ansprüche aus einem gewerblichen Mietverhältnis. Der Kläger verpflichtete sich in einem Vergleich zur Zahlung von 1.100 Euro an den Beschwer­de­führer. Nachdem der Beschwer­de­führer das Raten­zah­lungs­angebot des Klägers abgelehnt hatte, erfolgte die vollständige Zahlung erst nach Stellung einer Strafanzeige und Erteilung eines Zwangs­voll­stre­ckungs­auftrags. Drei Jahre später berichtete der Beschwer­de­führer unter namentlicher Nennung des Klägers über diesen Vorgang auf Internet-Portalen, welche die Möglichkeit bieten, Firmen zu suchen und eine Bewertung abzugeben. Der Kläger begehrte im Ausgangs­ver­fahren die Unterlassung dieser Äußerungen. Das Landgericht verurteilte den Beschwer­de­führer antragsgemäß; das Oberlan­des­gericht wies die Berufung des Beschwer­de­führers zurück. Mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde rügt der Beschwer­de­führer die Verletzung seines Rechts auf freie Meinung­s­äu­ßerung (Art. 5 Abs. 1 GG).

Entstehende Nachteile für Genannten müssen im Verhältnis zur Schwere des geschilderten Verhaltens für die Öffentlichkeit stehen

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass die angegriffenen Entscheidungen die Meinungsfreiheit des Beschwer­de­führers aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzen. Die Gerichte legen zunächst zutreffend dar, dass die Behauptung wahrer Tatsachen über die Sozialsphäre grundsätzlich hingenommen werden müsse. Die Schwelle zur Persön­lich­keits­rechts­ver­letzung wird in diesen Fällen regelmäßig erst überschritten, wo sie einen Persön­lich­keits­schaden befürchten lässt, der außer Verhältnis zu dem Interesse an der Verbreitung der Wahrheit steht. Die Gerichte gehen weiter zutreffend davon aus, dass auch die Nennung des Namens im Rahmen einer solchen der allgemeinen Öffentlichkeit zugänglichen Bewertung das Persön­lich­keitsrecht des Klägers berührt. Hierbei darf der Einbruch in die persönliche Sphäre nicht weiter gehen, als eine angemessene Befriedigung des Infor­ma­ti­o­ns­in­teresses dies erfordert. Die für den Genannten entstehenden Nachteile müssen im rechten Verhältnis zur Schwere des geschilderten Verhaltens oder der sonstigen Bedeutung für die Öffentlichkeit stehen.

Äußerungen lassen nicht drohenden unver­hält­nis­mäßigen Verlust an sozialer Achtung des Klägers erkennen

Eine ausreichend schwere Beein­träch­tigung des allgemeinen Persön­lich­keits­rechts des Klägers zeigen die angegriffenen Entscheidungen nicht auf und begründen nicht in tragfähiger Weise, dass der Kläger die unbestritten wahren Äußerungen ausnahmsweise nicht hinnehmen muss. Sie lassen nicht erkennen, dass dem Kläger ein unver­hält­nis­mäßiger Verlust an sozialer Achtung droht. Auch die namentliche Nennung des Klägers, der seine Firma unter diesem Namen führt, steht nicht außer Verhältnis zum geschilderten Verhalten. Es ist verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Gerichte hier ein öffentliches Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse möglicher Kundinnen und Kunden des Klägers bejahen.

Nennung unstreitig wahrer Tatsachen auch nach drei Jahren noch zulässig

Soweit die Gerichte darauf abstellen, dass sich der Beschwer­de­führer erst drei Jahre nach dem Rechtsstreit äußert, führt dies nicht zu einem Überwiegen des allgemeinen Persön­lich­keits­rechts des Klägers. Es würde den Beschwer­de­führer unver­hält­nismäßig in seiner Meinungs­freiheit einschränken, wenn er nach einer solchen Zeitspanne von ihm erlebte unstreitig wahre Tatsachen nicht mehr äußern dürfte.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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