14.11.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss29.06.2016

Falsche Einordnung einer Äußerung als Tatsache verkürzt grund­recht­lichen Schutz der Meinungs­freiheitGesamt­zu­sam­menhang entscheidend für Einstufung der Äußerung als Meinung­s­äu­ßerung oder Tatsa­chen­be­hauptung

Wird eine Äußerung unzutreffend als Tatsa­chen­be­hauptung eingestuft, liegt darin eine Verkürzung des Grundrechts auf freie Meinung­s­äu­ßerung, da die Vermutung zugunsten der freien Rede für Tatsachen­behauptungen nicht in gleicher Weise gilt wie für Meinung­s­äu­ße­rungen im engeren Sinne. Dies geht aus einer Entscheidung des Bundes­verfassungs­gerichts hervor. Das Gericht gab damit einer Verfassungs­beschwerde gegen die straf­ge­richtliche Verurteilung des Beschwer­de­führers wegen übler Nachrede statt und wies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurück.

Der Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Verfahrens wurde mehrfach vom selben Polizeibeamten kontrolliert. An einem Abend im November 2013 bemerkte er diesen Polizeibeamten in einem Polizeifahrzeug vor seinem Haus, als er in der Einfahrt gegenüber wendete und dabei das vom Beschwer­de­führer bewohnte Gebäude anleuchtete. Nachdem er dasselbe Fahrzeug im späteren Verlauf des Abends nochmals gesehen hatte, veröffentlichte er hierzu einen Eintrag auf seiner Facebook-Seite. Er warf dem namentlich genannten Polizeibeamten vor, dass er nichts Besseres zu tun habe als in irgendwelchen Einfahrten mit Auf- und Abblendlicht zu stehen und in die gegen­über­lie­genden Häuser zu leuchten und bezeichnete ihn als "Spanner". Das Amtsgericht verurteilte den Beschwer­de­führer wegen übler Nachrede (§ 186 StGB) zu einer Geldstrafe. Die Sprungrevision zum Oberlan­des­gericht blieb erfolglos. Mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde rügt der Beschwer­de­führer die Verletzung seines Rechts auf freie Meinung­s­äu­ßerung (Art. 5 Abs. 1 GG).

BVerfG bejaht Verletzung des Grundrechts auf Meinungs­freiheit

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass die angegriffenen Entscheidungen den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzen. Die Gerichte verkürzen den Schutzgehalt des Grundrechts hinsichtlich der gegen­ständ­lichen Äußerungen insofern, als sie in verfas­sungs­rechtlich nicht mehr tragbarer Art und Weise annehmen, dass es sich um eine nicht erweislich wahre, ehrverletzende Tatsachenbehauptung im Sinne von § 186 StGB handelt.

Isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird Anforderungen an zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht

Bei der Frage, ob eine Äußerung ihrem Schwerpunkt nach als Meinung­s­äu­ßerung oder als Tatsa­chen­be­hauptung anzusehen ist, kommt es entscheidend auf den Gesamt­zu­sam­menhang dieser Äußerung an. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine zuverlässige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht. Anders als bei Meinungen im engeren Sinne, bei denen insbesondere im öffentlichen Meinungskampf im Rahmen der regelmäßig vorzunehmenden Abwägung eine Vermutung zugunsten der freien Rede gilt, gilt dies für Tatsa­chen­be­haup­tungen nicht in gleicher Weise. Bedeutung und Tragweite der Meinungs­freiheit sind deshalb auch dann verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsa­chen­be­hauptung, Formal­be­lei­digung oder Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind.

Falsche Einordnung der Äußerung als Tatsache führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen

Diesen verfas­sungs­recht­lichen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Die Gerichte gehen zu Unrecht vom Vorliegen einer Tatsa­chen­be­hauptung aus und verkürzen damit den grund­recht­lichen Schutz der Meinungs­freiheit. Der Beschwer­de­führer schildert zwar ein tatsächliches Geschehen, nämlich den Wendevorgang des Polizeibeamten. Die Äußerung "Spanner" war in vorliegendem Zusammenhang keine Tatsa­chen­be­hauptung, sondern eine Bewertung des Beobachteten, die dem Beweis nicht zugänglich ist. Bereits die falsche Einordnung der Äußerung als Tatsache führt zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen.

Bezeichnung des Polizeibeamten als "Spanner" dennoch nicht zwingend von Meinungs­freiheit gedeckt

Damit ist nicht entschieden, dass die Bezeichnung des Polizeibeamten als "Spanner" im Ergebnis von der Meinungs­freiheit gedeckt war, und schon gar nicht, dass der Beschwer­de­führer den Polizeibeamten künftig beliebig als "Spanner" bezeichnen könnte. Soweit es sich bei der Äußerung nicht um eine Tatsa­chen­be­hauptung, sondern naheliegender Weise um ein Werturteil handeln sollte, läge hierin eine Herabsetzung des Polizeibeamten und damit eine Beein­träch­tigung seines allgemeinen Persön­lich­keits­rechts, die nicht ohne weiteres zulässig ist. Wieweit diese Äußerung durch die Meinungs­freiheit gerechtfertigt sein kann, entscheidet sich grundsätzlich nach Maßgabe einer Abwägung, die freilich nicht Gegenstand vorliegenden Verfahrens ist, das sich mit der Verbreitung von Tatsa­chen­be­haup­tungen (Üble Nachrede nach § 186 StGB), nicht aber mit dem Tatbestand der Beleidigung nach § 185 StGB befasst.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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