18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss29.06.2016

Bei Einstufung kritischer Äußerungen als Schmähkritik sind strenge Maßstäbe anzulegenFalsche Einordnung einer Äußerung als Schmähkritik verkürzt grund­recht­lichen Schutz der Meinungs­freiheit

Das Bundes­verfassungs­gericht hat in einer Entscheidung darauf hingewiesen, dass der Begriff der Schmähkritik wegen seines die Meinungs­freiheit verdrängenden Effekts von Verfassungs wegen eng zu verstehen. Schmähkritik ist ein Sonderfall der Beleidigung, der nur in seltenen Ausnahme­konstellationen gegeben ist. Die Anforderungen hierfür sind besonders streng, weil bei einer Schmähkritik anders als sonst bei Beleidigungen keine Abwägung mit der Meinungs­freiheit stattfindet. Wird eine Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft, liegt darin ein eigenständiger verfassungs­rechtlicher Fehler, auch wenn die Äußerung im Ergebnis durchaus als Beleidigung bestraft werden darf.

Der Beschwer­de­führer des zugrunde liegenden Verfahrens ist Rechtsanwalt und vertrat als Straf­ver­teidiger den Beschuldigten in einem Ermitt­lungs­ver­fahren wegen Veruntreuung von Spendengeldern. Nachdem gegen den Beschuldigten auf Antrag der Staats­an­walt­schaft Haftbefehl erlassen worden war, kam es bei der Haftbe­fehls­ver­kündung zu einer heftigen Ausein­an­der­setzung zwischen der mit dem Verfahren betrauten Staatsanwältin und dem Beschwer­de­führer, der der Ansicht war, dass sein Mandant zu Unrecht verfolgt wurde. Am Abend desselben Tages meldete sich ein Journalist, der eine Reportage über den Beschuldigten plante, telefonisch beim Beschwer­de­führer. Der Beschwer­de­führer wollte mit dem ihm unbekannten Journalisten nicht sprechen. Auf dessen hartnäckiges Nachfragen und weil er immer noch verärgert über den Verlauf der Ermittlungen war, äußerte er sich dann doch über das Verfahren und bezeichnete im Laufe des Telefonats die mit dem Verfahren betraute Staatsanwältin unter anderem als "dahergelaufene Staatsanwältin" und "durchgeknallte Staatsanwältin".

Beschwer­de­führer rügt Verletzung seines Grundrechts auf Meinungs­freiheit

Das Landgericht verurteilte den Beschwer­de­führer wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 120 Euro. Die Revision des Beschwer­de­führers war erfolglos. Mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde rügt der Beschwer­de­führer vornehmlich die Verletzung seines Grundrechts auf Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG).

Bei Formal­be­lei­di­gungen und Schmähkritik sind strenge Maßstäbe anzuwenden

Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht entschied, dass die angegriffenen Entscheidungen den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht auf Meinungs­freiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG verletzten. Das Grundrecht auf Meinungs­freiheit schützt nicht nur sachlich-differenzierte Äußerungen. Vielmehr darf Kritik auch pointiert, polemisch und überspitzt erfolgen. Einen Sonderfall bilden herabsetzenden Äußerungen, die sich als Formal­be­lei­digung oder Schmähung darstellen. In diesen Fällen ist ausnahmsweise keine Abwägung zwischen der Meinungs­freiheit und dem Persön­lich­keitsrecht notwendig, weil die Meinungs­freiheit regelmäßig hinter den Ehrenschutz zurücktritt. Diese für die Meinungs­freiheit einschneidende Folge gebietet es aber, hinsichtlich des Vorliegens von Formal­be­lei­di­gungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden. Bedeutung und Tragweite der Meinungs­freiheit sind auch dann verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Schutz des Grundrechts teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind.

LG hätte Beschwer­de­führer nicht ohne Abwägung zwischen Meinungs­freiheit und Persön­lich­keitsrecht der Staatsanwältin verurteilen dürfen

Das Landgericht geht bei seiner Verurteilung ohne hinreichende Begründung vom Vorliegen einer Schmähkritik aus. Zwar sind die in Rede stehenden Äußerungen ausfallend scharf und beeinträchtigen die Ehre der Betroffenen. Die angegriffenen Entscheidungen legen aber nicht in einer den besonderen Anforderungen für die Annahme einer Schmähung entsprechenden Weise dar, dass ihr ehrbe­ein­träch­ti­gender Gehalt von vornherein außerhalb jedes in einer Sachaus­ein­an­der­setzung wurzelnden Verwen­dungs­kon­textes stand. Es hätte insoweit näherer Darlegungen bedurft, dass sich die Äußerungen von dem Ermitt­lungs­ver­fahren völlig gelöst hatten oder der Verfahrensbezug nur als mutwillig gesuchter Anlass oder Vorwand genutzt wurde, um die Staatsanwältin als solche zu diffamieren. So lange solche Feststellungen nicht tragfähig unter Ausschluss anderer Deutungs­mög­lich­keiten getroffen sind, hätte das Landgericht den Beschwer­de­führer nicht wegen Beleidigung verurteilen dürfen, ohne eine Abwägung zwischen seiner Meinungs­freiheit und dem Persön­lich­keitsrecht der Staatsanwältin vorzunehmen. An dieser fehlt es hier. Auch das Kammergericht hat diese nicht nachgeholt, denn es verweist lediglich auf eine "noch hinreichende" Abwägung durch das Landgericht, die indes nicht stattgefunden hat.

Gericht muss erneut über strafrechtliche Beurteilung der Äußerung entscheiden

Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf diesem Fehler. Die Gerichte haben folglich erneut über die strafrechtliche Beurteilung der Äußerung nunmehr im Rahmen einer Abwägung zu entscheiden. Dabei ist freilich festzuhalten, dass ein Anwalt grundsätzlich nicht berechtigt ist, aus Verärgerung über von ihm als falsch angesehene Maßnahmen einer Staatsanwältin oder eines Staatsanwalts diese gerade gegenüber der Presse mit Beschimpfungen zu überziehen. Insoweit muss sich im Rahmen der Abwägung grundsätzlich das allgemeine Persön­lich­keitsrecht der Betroffenen durchsetzen. Die insoweit gebotene Abwägung - die sich gegebenenfalls auch auf die Strafzumessung auswirkt - obliegt jedoch den Fachgerichten.

Quelle: Bundesverfassungsgericht/ra-online

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