22.11.2024
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Dokument-Nr. 9455

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Beschluss18.02.2010Bundesverfassungsgericht1 BvR 2477/08
passende Fundstellen in der Fachliteratur:
  • GRUR 2010, 544Zeitschrift: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht (GRUR), Jahrgang: 2010, Seite: 544
  • JuS 2010, 1034 (Dieter Dörr)Zeitschrift: Juristische Schulung (JuS), Jahrgang: 2010, Seite: 1034, Entscheidungsbesprechung von Dieter Dörr
  • NJW 2010, 1587Zeitschrift: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), Jahrgang: 2010, Seite: 1587
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Bundesverfassungsgericht Beschluss18.02.2010

BVerfG: Verurteilung zur Unterlassung wörtlicher Zitate auf Homepage stellt Verstoß gegen Grundrecht auf Meinungs­freiheit darVerfassungs­beschwerde gegen zivilrechtliche Unterlassungs­verurteilung erfolgreich

Veröffentlicht der Betreiber einer Homepage auf seinem Webauftritt Zitate aus einer persönlichen E-Mail, fällt dies unter das Recht auf freie Meinung­s­äu­ßerung. Dies entschied das Bundes­ver­fassungs­gericht und erklärte eine Verfassungs­beschwerde gegen eine zivilrechtliche Unterlassungs­verurteilung für zulässig.

Der Beschwer­de­führer betreibt die Internetseite www., auf der er die „N. Zeitung online“ publiziert. Er beabsichtigte, dort einen Artikel des Autors R. zu veröffentlichen, der sich mit einem Rechtsstreit befasste, in dem R. auf Unterlassung der Veröf­fent­lichung eines Buches in Anspruch genommen wurde. Deshalb fragte der Beschwer­de­führer schriftlich bei dem Sozius des Rechtsanwalts H., der den Kläger in jenem Rechtsstreit vertrat, an, ob er ein auf dessen Kanzleihomepage vorhandenes Foto für die Veröf­fent­lichung verwenden dürfe. Die Anfrage war in einem teils unfreundlichen, teils ironischen Ton gehalten. Der Sozius (im Folgenden: Kläger) widersprach ausdrücklich der Nutzung von Bildern seiner Person und seines Sozius H. und drohte dem Beschwer­de­führer mit rechtlichen Schritten. Im Zusammenhang mit dem anschließend veröf­fent­lichten Artikel des R. auf seiner Website, in dem sowohl das Auftreten als auch die äußere Erscheinung des Prozess­ver­treters H. kommentiert wurden, merkte die Redaktion an, dass der Beschwer­de­führer auf Anfrage "ein eindrucksvolles Homepage-Foto seiner Kanzlei zu R.s Glosse nicht habe freigeben wollen". Zudem wurde der Inhalt der E-Mail des Klägers sowie einer weiteren E-Mail, mit der H. ausdrücklich der Verwendung seines Bildes widersprochen hatte, wörtlich wiedergegeben.

Hintergrund

Der Kläger nahm den Beschwer­de­führer daraufhin beim Landgericht Berlin auf Unterlassung wörtlicher Zitate aus dem anwaltlichen Schreiben in Anspruch. Mit dem hier angegriffenen Urteil vom 5. Juni 2007 bejahte das Landgericht einen Unter­las­sungs­an­spruch aus § 823 Abs. 1 und Abs. 2 in Verbindung mit § 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB. Der Kläger werde durch die Wiedergabe seiner harsch formulierten Ablehnung auf der Website des Beschwer­de­führers öffentlich als jemand vorgeführt, der auf eine schlichte Anfrage mit einer scharfen Drohung reagiere. Die dadurch erfolgte Beein­träch­tigung des Persön­lich­keits­rechts des Klägers wiege schwerer als das Interesse der Öffentlichkeit an dieser Information. Die Berufung des Beschwer­de­führers wurde nach entsprechendem Hinweis gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen.

Beschwer­de­führer in Grundrecht auf Meinungs­freiheit verletzt

Der Beschwer­de­führer hat mit seiner Verfas­sungs­be­schwerde die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG gerügt. Das Bundes­ver­fas­sungs­gericht hat die gerichtlichen Entscheidungen aufgehoben und zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen. Die Verurteilung zur Unterlassung wörtlicher Zitate aus dem anwaltlichen Schreiben des Klägers verletzt den Beschwer­de­führer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 GG). In den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fallen auch Tatsa­chen­be­haup­tungen, sofern sie - wie im vorliegenden Fall - zur Bildung von Meinungen beitragen können. Zwar können § 823 Abs. 1 und § 1004 BGB als grund­rechts­be­schränkende Normen i.S.d. Art. 5 Abs. 2 GG herangezogen werden. Die Gerichte haben aber bei der Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften die wertsetzende Bedeutung des beein­träch­tigten Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt.

Möglich „Prangerwirkung“ von Gericht nicht nachvollziehbar begründet

Bereits die Annahme der Gerichte, dass die Veröf­fent­lichung des Zitats das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers beeinträchtige, begegnet erheblichen verfas­sungs­recht­lichen Bedenken. Soweit die Gerichte hier auf die in der zivil­ge­richt­lichen Rechtsprechung entwickelte Fallgruppe der so genannten „Prangerwirkung“ abgestellt haben, fehlt es an einer nachvoll­ziehbaren Begründung. Die Urteilsgründe lassen insbesondere nicht erkennen, dass das mit dem Zitat berichtete Verhalten des Klägers ein schwerwiegendes Unwerturteil des Durch­schnitts­pu­blikums oder wesentlicher Teile desselben nach sich ziehen könnte, wie es der Annahme einer Anprangerung vorausgesetzt ist. Es erscheint vielmehr schon zweifelhaft, ob die Mitteilung, dass jemand sich in scharfer Form gegen die Veröf­fent­lichung des eigenen Bildes verwahrt, überhaupt geeignet ist, sich abträglich auf dessen Ehre oder dessen Ansehen auszuwirken.

Auch die ergänzende Erwägung des Kammergerichts, die Äußerung rufe insgesamt einen falschen Eindruck hervor, indem sie den Kläger als jemanden darstelle, der auf eine schlichte Anfrage sogleich mit einer scharfen Drohung reagiere, erweist sich als nicht tragfähig. Der Text verhält sich ausdrücklich nicht zu dem Wortlaut oder dem Charakter der Anfrage, sondern teilt lediglich mit, dass der Kläger das Foto nicht habe freigeben wollen. Das Gericht hat hier insbesondere den Textzu­sam­menhang nicht hinreichend gewürdigt und insoweit die verfas­sungs­recht­lichen Maßstäbe für die Deutung in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG fallender Äußerungen verfehlt.

BVerfG bemängelt unzureichende Abwägung zwischen allgemeinem Persön­lich­keitsrecht und Recht auf Meinungs­freiheit

Ebenfalls zu beanstanden ist die von den Gerichten vorgenommene Abwägung zwischen dem ihrer Auffassung nach betroffenen allgemeinen Persön­lich­keitsrecht des Klägers und der Meinungs­freiheit des Beschwer­de­führers. Die Gerichte stellen im Wesentlichen darauf ab, dass das öffentliche Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse an der streit­ge­gen­ständ­lichen Äußerung gering sei. Die Meinungs­freiheit ist jedoch nicht allein unter dem Vorbehalt des öffentlichen Interesses geschützt, sondern gewährleistet primär die Selbst­be­stimmung des einzelnen Grund­recht­s­trägers über die Entfaltung seiner Persönlichkeit in der Kommunikation mit anderen. Bereits hieraus bezieht die Meinungs­freiheit ihr in eine Abwägung mit dem allgemeinen Persön­lich­keitsrecht einzustellendes Gewicht, das durch ein mögliches öffentliches Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse lediglich weiter erhöht werden kann. Angesichts dessen stellt es eine verfas­sungs­rechtlich bedenkliche Verkürzung dar, wenn die Gerichte dem Kläger vorliegend allein deshalb einen Unter­las­sungs­an­spruch zuerkannt haben, weil dessen allgemeines Persön­lich­keitsrecht das Infor­ma­ti­o­ns­in­teresse der Öffentlichkeit überwiege.

Quelle: ra-online, BVerfG

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