18.10.2024
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Bundesverfassungsgericht Beschluss08.12.2011

Bundes­netz­agentur darf Preisvorgaben im Mobilfunk machenZur gerichtlichen Kontrolle der telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­recht­lichen Markt­re­gu­lierung durch die Bundes­netz­agentur

Die Bundes­netz­agentur darf den Mobilfunk-Anbietern sogenannte Termi­nie­rungs­entgelte vorschreiben. Der Bunde­netz­agentur stehe bei ihrer Marktdefinition und der Marktanalyse ein Beurtei­lungs­spielraum zu. Dies sei verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden, entschied das Bundes­ver­fas­sungs­gericht.

Das Telekommunikationsgesetz (TKG) weist der Bundes­netz­agentur für Elektrizität, Gas, Telekom­mu­ni­kation, Post und Eisenbahnen die Aufgabe der Regulierung des Wettbewerbs im Bereich der Telekom­mu­ni­kation zu. Bei der sogenannten Markt­re­gu­lierung hat sie anhand bestimmter gesetzlicher Kriterien die Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­märkte festzulegen, die für eine Regulierung in Betracht kommen (Marktdefinition, § 10 TKG). Ihr obliegt ferner die Prüfung, ob auf dem betreffenden Markt wirksamer Wettbewerb besteht, was dann nicht der Fall ist, wenn ein oder mehrere Unternehmen auf dem Markt über beträchtliche Markmacht verfügen (Marktanalyse, § 11 TKG). Ende 2005 legte die Präsi­den­ten­kammer der Bundes­netz­agentur fest, dass mehrere Mobil­fun­knetz­be­treiber, darunter auch die Beschwer­de­führerin, auf dem Markt für Anrufzustellung in ihr jeweiliges Mobilfunknetz über eine solche beträchtliche Marktmacht verfügen. Auf dieser Grundlage erließ die Bundes­netz­agentur 2006 eine Regulie­rungs­ver­fügung, mit der sie der Beschwer­de­führerin unter anderem Zugangs­ver­pflich­tungen nach § 21 TKG, insbesondere die Terminierung von Anrufen in ihr Mobilfunknetz, aufgab und anordnete, dass die von der Beschwer­de­führerin für die Zugangs­leis­tungen erhobenen Entgelte vorab genehmigt werden müssen. Die damit auch der behördlichen Genehmigung unterworfenen Termi­nie­rungs­entgelte, die zunächst der Netzbetreiber des Anrufenden zu entrichten hat, haben für die Mobil­fun­knetz­be­treiber erhebliche wirtschaftliche Bedeutung.

BVerwG: Regulie­rungs­ver­fügung ist gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar

Mit ihrer gegen die Regulie­rungs­ver­fügung erhobenen Klage hatte die Beschwer­de­führerin vor dem Bundes­ver­wal­tungs­gericht keinen Erfolg (siehe Bundes­ver­wal­tungs­gericht, Urteile v. 02.04.2008 - BVerwG 6 C 14.07, 6 C 15.07, 6 C 16.07, 6 C 17.07 -). Das Gericht vertritt die Auffassung, dass die Regulie­rungs­ver­fügung gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar sei, weil der Bundes­netz­agentur hinsichtlich der von ihr vorzunehmenden Marktdefinition und Marktanalyse ein Beurtei­lungs­spielraum zustehe. Die Bundes­netz­agentur habe zudem bei der Auferlegung der Regulie­rungs­ver­pflich­tungen die Grenzen des ihr insoweit eingeräumten Regulie­rungs­er­messens nicht überschritten.

Bundes­ver­fas­sungs­gericht nimmt Verfas­sungs­be­schwerde nicht zur Entscheidung an

Die Beschwer­de­führerin rügt mit ihrer Verfas­sungs­be­schwerde eine Verletzung ihres Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz und sieht sich zudem in ihrer Berufs­aus­übungs­freiheit verletzt. Die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts hat die Verfas­sungs­be­schwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Annah­me­vor­aus­set­zungen nicht vorliegen. Die Beschwer­de­führerin ist nicht in ihren Grundrechten verletzt.

Entscheidungsgründe

Das Urteil des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts verletzt die Beschwer­de­führerin nicht in ihrem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG). Aus der Garantie effektiven Rechtsschutzes folgt zwar grundsätzlich die Pflicht der Gerichte, die angefochtenen Verwaltungsakte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht vollständig nachzuprüfen. Sie schließt aber nicht aus, dass der Gesetzgeber der Verwaltung Gestaltungs-, Ermessens- und Beurtei­lungs­spielräume eröffnet, welche die Rechtskontrolle von Exekutivakten durch die Gerichte einschränken. Ein Gericht verletzt das Gebot wirksamen Rechtsschutzes, wenn es ein behördliches Letztent­schei­dungsrecht annimmt, das mangels gesetzlicher Grundlage nicht besteht, und deshalb die vollständige Prüfung der Behör­den­ent­scheidung auf ihre Gesetzmäßigkeit unterlässt. Auch der Gesetzgeber ist nicht frei in der Einräumung behördlicher Letztent­schei­dungs­be­fugnisse. Die Freistellung der Rechtsanwendung von gerichtlicher Kontrolle bedarf stets eines hinreichend gewichtigen, am Grundsatz eines wirksamen Rechtsschutzes ausgerichteten Sachgrunds.

Beurteilungsspielraum

Bei Anwendung dieser Vorgaben ist die Annahme des Bundes­ver­wal­tungs­ge­richts, dass der Bundes­netz­agentur bei der Marktdefinition und der Marktanalyse ein Beurtei­lungs­spielraum zusteht, verfas­sungs­rechtlich nicht zu beanstanden. Das Bundes­ver­wal­tungs­gericht verwendet bei seiner Auslegung der §§ 10, 11 TKG anerkannte Ausle­gungs­me­thoden. Unter Berück­sich­tigung der Geset­zes­sys­tematik, des Normzwecks und des unions­recht­lichen Hintergrunds der Bestimmungen ist es vertretbar, diesen Regelungen die Einräumung eines weitreichenden Beurtei­lungs­spielraums der Bundes­netz­agentur als Regulie­rungs­behörde bei der Marktdefinition und der Marktanalyse beizumessen.

Des Weiteren bestehen für die Reduzierung der gerichtlichen Kontrolldichte durch den Gesetzgeber tragfähige Sachgründe. Die in § 10 TKG genannten Kriterien zur Bestimmung der für eine Regulierung in Betracht kommenden Märkte hängen wesentlich von ökonomischen Einschätzungen ab. Ähnliches gilt für die Beantwortung der Frage, ob auf dem untersuchten Markt wirksamer Wettbewerb besteht (§ 11 Abs. 1 TKG). Die erkennbaren Schwierigkeiten einer gerichtlichen Vollkontrolle dieser Tatbe­stands­merkmale durfte der Gesetzgeber zum Anlass nehmen, der Bundes­netz­agentur einen entsprechenden Beurtei­lungs­spielraum einzuräumen.

Zudem begrenzt das Bundes­ver­wal­tungs­gericht durch seine Interpretation der gesetzlichen Regelung den grundsätzlich auch für den Bereich der Markt­re­gu­lierung vorausgesetzten wirksamen Rechtsschutz durch die Gerichte nicht insgesamt, sondern belässt den Fachgerichten genügend Möglichkeiten, aber auch die Pflicht zu einer substantiellen Kontrolle des behördlichen Handelns.

Weder die angegriffenen Entscheidungen noch die zugrunde liegende Rechtslage verletzen die Beschwer­de­führerin in ihrer Berufs­aus­übungs­freiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG, da der Grund­recht­s­eingriff gerechtfertigt ist. Die Regulierung der Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­märkte nach dem Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­gesetz verfolgt mit dem Schutz der Verbrau­che­r­in­teressen und der Sicherstellung chancengleichen Wettbewerbs gewichtige Gemeinwohlziele. Dem Gesetz liegt die Vorstellung zugrunde, dass im Telekom­mu­ni­ka­ti­o­ns­sektor insgesamt und nicht nur in ehemaligen Monopol­be­reichen die Gefahr unzureichender Markt­ver­hältnisse besteht, der nicht allein mit den Mitteln des allgemeinen Wettbe­wer­bs­rechts begegnet werden kann. Auch trifft die Regulie­rungs­ver­fügung die Beschwer­de­führerin nicht unver­hält­nismäßig in ihrer Berufs­aus­übungs­freiheit. Ihr Interesse an freier unter­neh­me­rischer Betätigung wird durch die Zugangs­ver­pflichtung nicht übermäßig eingeschränkt, zumal auch sie selbst ein Interesse an der umfassenden Erreichbarkeit ihrer eigenen Mobilfunkkunden haben wird. Die finanziellen Folgen der Verfügung insbesondere der Geneh­mi­gungs­pflicht für die Entgelte der Zugangs­ge­währung erscheinen ebenfalls nicht unangemessen. Der Beschwer­de­führerin wird kein finanzielles Sonderopfer zugunsten der Allgemeinheit auferlegt, sondern lediglich eine möglicherweise lukrative Preisgestaltung zulasten der Kunden der anderen Mobilfunknetz- sowie der Festnetz­be­treiber unmöglich gemacht.

Weitere Beschlüsse des Bundes­ver­fas­sungs­ge­richts

Mit Beschlüssen vom 21. Dezember 2011 hat die Kammer unter Verweisung auf den Beschluss vom 8. Dezember 2011 gleichgelagerte Verfas­sungs­be­schwerden von drei weiteren Mobilfunkunternehmen nicht zur Entscheidung angenommen (1 BvR 1933/08, 1 BvR 1934/08 und 1 BvR 1935/08).

Quelle: ra-online, Bundesverfassungsgericht (pm/pt)

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